KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Mittwoch, 25. März 2009, 16:26
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ZERLÖSCHT

140. Kolumne

ZERBOMBT von Sarah Kane in Bonn

Platte Inszenierung: Ein mattes Plagiat der Wirklichkeit

„Es gibt nichts, was sich auf der Bühne nicht darstellen ließe. Wenn man behauptet, etwas nicht darstellen zu können, dann hieße das, darüber nicht sprechen zu können, zu leugnen, dass es existiert.“ (Sarah Kane)

Die evidente Wahrheit dieser These hämmert Regisseur Volker Lösch mit so vielen Nägeln auf die Bühne, dass der Zuschauer die Bildlichkeit des Stückes nicht mehr erkennt. Lösch verifiziert die gegenseitigen Vergewaltigungen der Bühnenfiguren auf der Bühne, der matte Naturalismus der Inszenierung macht das Stück platt. Einzelne Szenen wirken in ihrer Sucht nach Realität sogar lächerlich. Sie bleiben an der Bedeutungsoberfläche, in der Perspektive der Äußerlichkeit, stecken. Immerhin: Gezeigt werden die äußerlichen Verletzungen und Selbstverletzungen in einem aseptischen Raum: Ein Hotelzimmer mit Kühlschrank, Bett und abgeteilter Dusche - alles weiß und klinisch rein - der Schein von Unschuld und Korrektheit in einer Welt, in der der Mensch sich selber zur Ware macht. Aber diese Bedeutungserweiterung wirkt sich kaum auf die Bühnenaktionen aus.
Cate muss ihre Debilität herausschreien, sie ist enttäuscht und verletzt, absolut einsam und auf sich selbst zurückgeworfen, beinahe entmenscht - Cate ist der seelisch zerstörte Körper. Aber das kommt in dieser manierierten Schreierei und Unterschichteninfantilität nicht rüber. Ian, das unbefriedigte Tier, bleibt ebenso einsam wie die Geliebte, die er nicht lieben kann, die ihn auch nicht liebt. Die Verletzungen dringen vom Körper in die Seele ein. Der nackte Körper Ians zeigt die entblößte Seele.
Die Inszenierung setzt darauf, dass die naturalistisch gezeigten Verletzungen, Vergewaltigungen und Befriedigungsversuche vom Zuschauer als ‘Realmetaphern’ verstanden werden, die er als innerliche Konflikte deutet. Kane, die noch stärker als Kafka unter den Widersprüchen von Geist und Körper litt, dekliniert diese Konflikte zunächst auf der realen Handlungsebene eines ernsten Boulevardstücks. Einsamkeit, Kommunikationsunfähigkeit, gegenseitige Verletzungen werden in äußerlich wahrnehmbaren Handlungen zunehmend ins Groteske und Absurde gesteigert: Wirkliche Liebe oder Nähe scheitert, auch in der Szene unter der Dusche, als Ian von Cate selbstbefriedigt wird.

Wenn der Soldat mit einem Donnerschlag im Zimmer steht, mit dem Gewehrlauf auf Ians Brust, da steht die ganze Gesellschaft, der äußere Feind, der Krieg im Raum. Auch hier muss das Äußere zugleich als Projektion des Inneren verstanden werden: „Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt.“ (Carl Schmitt)

Der rohe Naturalismus der Inszenierung scheitert gerade hier, wo Kane krasse ‘Realmetaphern’ verwendet: Der Soldat saugt Ians Augen auf und isst sie. Er zeigt Ians Blindheit als Journalist, seine Erkenntnisunfähigkeit als Mensch, und den eigenen Hunger nach Erkenntnis. Der Hunger nach Liebe (der Soldat vergewaltigt Ian, weil er Cate nicht bekommt: Ersatz und Abreaktion) wird auch hier viel zu direkt dargestellt, während am Ende der Mut fehlt, die ins Surrealistische gesteigerten Metaphern Kanes umzusetzen. Der Schluss des Stückes ist gestrichen. Lösch beendet das Stück, wie es begann, nur ist jetzt klar, dass Ian blind ist. Aber blind war er schon zu Beginn.

Die alptraumhafte Bilderflut des Wahnsinns in Ians Kopf passt offenbar nicht zur inszenierten Eindimensionalität: Cate kommt aus dem Bad zurück und trägt ein totes Baby im Arm. Ian begräbt es unter den Parkettbohlen im Hotelzimmer. Später holt der an seinen Verletzungen Sterbende es wieder heraus und isst es vor lauter Hunger nach Liebe auf - das alles fehlt in dieser viel zu einfachen Vorstellung des äußeren Wahnsinns. Damit fehlt der Inszenierung die ganze Wirklichkeit des Stücks, die Imagination des inneren Wahnsinns und seine Konsequenz - der Weg in den Freitod, den Sarah Kane in „4.48 Psychosis“, ihrem letzten Werk, erklärt.

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