KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Freitag, 17. Juli 2009, 15:41
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Wirklichkeitsplagiat? Peeperkorn

155. Kolumne

Thomas Mann und Gerhart Hauptmann: Hiddensee und Peeperkorn (1924/1925)



Katja Mann in Meine ungeschriebenen Memoiren:

Unsere Nachbarschaft auf Hiddensee war etwas ärgerlich, weil Hauptmann doch der König von Hiddensee war. Er hatte uns sehr geraten, dort hinzukommen. Nun war er aber dermaßen eindeutiger König, daß für uns dort wenig Aufmerksamkeit abfiel. Wir wohnten im ‚Haus am Meer’, ‚seinem’ Haus, hatten aber mit den übrigen Gästen im Speisesaal zu essen und bekamen sehr mäßiges Essen, wohingegen Hauptmann köstliche Speisen auf die Zimmer hinaufgetragen wurden. Das Ganze war etwas verdrießlich.



Klaus Mann in Kind dieser Zeit:

Das gesellige Leben des Ortes wurde beherrscht von Gerhart Hauptmann. Den abendlichen Trinkereien wohnten wir manchmal bei, manchmal nicht. Wenn wir dabei waren, blieben wir stumm aus Schüchternheit und Renitenz. [Klaus Mann erinnert sich,] daß Hauptmann einmal beim Weine eine Art Segen über mich aussprach, wozu mein Vater sagte: ‚Na, wenn das nicht anschlägt’ – eine Bemerkung, die mich nachhaltig verletzte, ohne daß ich eigentlich den Grund dafür angeben könnte.



Klaus Mann in Der Wendepunkt:

Gerhart Hauptmann, der sich auch zuweilen sehen ließ, sah bekanntlich wie Goethe aus, was ihn an sich schon zu einer interessanten Figur in unseren Augen machte. Dazu kam noch das eindrucksvolle Spiel der Falten auf seiner mächtigen Stirn, die suggestive Undeutlichkeit seiner Rede und der prophetische Flug des blassen, dabei gebieterischen Blickes.
Aber seiner eigentlichen Faszination wurde ich wohl erst später, durch Mijnheer Peeperkorn hin durch, gewahr. Die Figur aus dem Zauberberg gibt die Essenz, das Geheimnis der Hauptmannschen Persönlichkeit, die uns Kinder damals impressionierte: das zugleich Elementare und Unzulängliche dieser Dichternatur, den Charme, die Tragik, der maskenhaft pseudo-bedeutenden Physiognomie...



München, den 12.XI.24
Poschingerstr. 1

Lieber Herr Loerke,

ich bitte Sie um Rat und Meinung in einer Sache, von der ich hoffen muß, daß Sie darüber lachen werden. Ich las hier neulich in der Galerie Casparie vor einem intelligenten Publikum aus dem Zauberberg vor und zwar den ersten Teil der Peeperkorn-Episode, das Gelage, Sie erinnern sich. Es las sich gut in dem intimen Raum, die Leute waren in Stimmung, und die Kritik fand die Figur des Holländers prachtvoll. Am Abend selbst aber, in Gesellschaft nachher, sprach ich mit einem befreundeten Maler, der voriges Jahr auf Hiddensee war [Jaeckel], und im Laufe des Gesprächs, nach einem lächelnden Zögern, gestand er mir, Gott möge ihm die Sünde verzeihen, aber er hätte angesichts Mynheer Peeperkorns ein paar mal an – Hauptmann denken müssen.
Meine Reaktion war Lachen, Stutzen, Nachdenken und Besorgnis. Sagen Sie mir aufrichtig: Besteht die Gefahr, daß noch andere auf diesen waghalsigen Gedanken kommen können?
...
Sie kennen Hauptmann. Warnen Sie mich? Ist etwas allgemein zu Befürchtendes an dem persönlichen Eindruck jenes Malers, und halten Sie für möglich, daß die Berliner Freundes des Dichters auf den Gedanken kommen könnten, mit Peeperkorn sei Hauptmann „gemeint“? Und daß es also Ärgernis geben könnte?
Ich bitte Sie dringend, meine Frage mit äußerster Diskretion zu behandeln!
Der Gedanke darf kein Leben bekommen, und wenn er welches hat, so muß man ihn ersticken, ermorden, mit allen Mitteln auf der Welt leugnen ...

Herzlich Ihr
Thomas Mann



Gerhart Hauptmanns Randbemerkungen in seinem Exemplar des Zauberberg:

Was soll das alles? ... Wieso erst so große Worte, hier nun doch uninteressante Gestalt? ... Wer ist nun hier der Schwätzer: Peeperkorn oder Mann? ... Dieses idiotische Schwein soll Ähnlichkeit mit meiner geringen Person haben. ...



Gerhart Hauptmann im Tagebuch 13.1.1925, Rapallo:

Ich habe 60 Jahre nichts vermisst und doch ohne Thomas Mann gelebt. Heute bedaure ich sogar, ihm begegnet zu sein. Ich werde jedenfalls mein früheres Thomas Mannfreies Dasein, soweit es an mir liegt, ohne Bedauern wieder aufnehmen.



Rapallo, den 14. Januar 1925
Via Avenaggi 6

Mein lieber Fischer!

Du hast nun doch den alten Panoptikums-Onkel, Peeperkorn aus seinem Motten-Winkel herausgeholt, wohin ich ihn geschoben hatte, um ihn dort seinem Schicksal zu überlassen...
Ich hatte eigentlich immer gedacht, daß ich mehr zu den bildenden Künstlern gehöre. Mein Bedarf nach Verkehr mit Kollegen war nie sehr groß. Ich habe zum Beispiel, ohne Thomas Mann zu vermissen, sechzig Jahre in der Welt gelebt. Bozen brachte uns dann zufällig für mehrere Wochen unter das gleiche Dach. Der Kollege gewann meine wirkliche Sympathie, und das drückte sich unter anderem darin aus, daß ich ihn in Stockholm brieflich für den Nobelpreis empfahl. Damals muß ihm beim Essen der Appetit gekommen sein. Er ist mir nach Hiddensee nachgereist, wo wir ja, wie du weisst, im Sommer meist den ersten Stock im sogenannten HAUS AM MEER innehaben. Dort ist er mit Max von Schillings, dem Regierungspräsidenten Haussmann und einigen Schriftstellern, Malern und Musikern öfter unser Gast gewesen. Am nächsten Tag war er dann wohl jeweilen so glücklich, als pflichtgetreuer Lumpensammler, einen Sack voll frischer Lumpen und Flicken für seine Peeperkorn-Puppe zur Hand zu haben. Er hockte dann den Morgen über versteckt im oberen Stock, und man hörte den Braven förmlich sticheln.
Aus einer solchen sehr angeregten Abend-Bowlen-Gesellschaft wird dann eine unmotivierte, sinnlose Orgie Peeperkorns mit den mediocren Gästen eines Davoser Sanatoriums.
Kurz: einem Holländer, einem Säufer, einem Giftmischer, einem Selbstmörder, einer intellektuellen Ruine, von einem Luderleben zerstört, behaftet mit Goldsäcken und Quartanfieber, zieht Thomas Mann meine Kleider an.
Der Golem lässt Sätze unvollendet, wie es zuweilen meine Unart ist. Wie ich, wiederholt er oft die Worte „erledigt“ und „absolut“. Ich bin sechzig Jahre alt, er auch. Ich trage, wie Peeperkorn, Wollhemden, Gehrock, eine Weste, die bis zum Hals geschlossen ist. In dem herrlichen Hiddenseer Klima hatten sich meine Fingernägel beinahe zu Teufelskrallen entwickelt, wie Peeperkorns.
Meine Augen sind klein und blass und werden nicht grösser, wenn ich auch, wie Peeperkorn, nach Kräften versuche, die Augenbrauen heraufzuziehen. Ich bin oft von Bildhauern porträtiert worden und weiß also, dass die verstohlenen Fingerabtastungen meiner Stirn und Schläfen durch Thomas Mann bei Peeperkorn ins Panoptikale umgesetzt worden sind...
Zu sagen ist: seit langem wieder einmal hatte einem Menschen gegenüber mein Herz gesprochen. Im Falle Mann war dies eine Lächerlichkeit, ich habe meine Lehre verdient.
Damit schließe ich ein für allemal die Akten Peeperkorn, dieser Puppe, die in Wahrheit die Züge Thomas Manns und nicht die meinen zeigt. Die Thomas-Mann-Akten lege ich hinzu und beide miteinander ins Feuer.
Heute nur soviel und Dank für Deine, für Eure lieben Briefe.

Dein
Gerhart Hauptmann



München, 11.IV.1925
Poschingerstr. 1

Lieber großer, verehrter Gerhart Hauptmann,

lassen Sie mich Ihnen endlich schreiben! Ich habe längst gewünscht, es zu tun, habe es aber nicht gewagt. Ich habe ja ein schlechtes Gewissen, weiß, daß ich gesündigt habe... Ich habe mich an Ihnen versündigt. Ich war in Not, wurde in Versuchung geführt und gab ihr nach. Die Not war künstlerisch: Ich trachtete nach einer Figur, die notwendig und kompositionell längst vorgesehen war, die ich aber nicht sah, nicht hörte, nicht besaß. Unruhig, besorgt und ratlos kam ich nach Bozen – und dort beim Weine bot sich mir an, unwissentlich, was ich, menschlich-persönlich gesehen, nie und nimmer hätte annehmen dürfen, was ich aber, in einem Zustande herabgesetzter menschlicher Zurechnungsfähigkeit, annahm, annehmen zu dürfen glaubte, blind von der begeisterten Überzeugung, der Voraussicht, der Sicherheit, daß in meiner Übertragung ... die auf immer merkwürdigste Figur eines, wie ich nicht länger zweifle, merkwürdigen Buches daraus werden würde.
Das war kein Wahn, ich hatte recht. Ich tat Unrecht, aber ich hatte recht. Ich sage nicht, daß der Erfolg die Mittel heiligt. Aber waren diese Mittel, war der Geist, in dem ich mich jener menschlichen Äußerlichkeiten bediente, infam, boshaft, lieblos, ehrfurchtslos?
Lieber, verehrter Gerhart Hauptmann, das war er nicht! Wenn ich Verrat geübt habe, so übte ich ihn gewiß nicht an meinen Empfindungen für Sie...
Lieber verehrter Mann! Soll eines schlechten Streichs, einer Künstlersünde wegen alles vergessen sein, was ich über Sie gesagt habe, als es sich wirklich um Sie und nicht eine großartige Maske handelte: jener Aufsatz zum Beispiel, der mir Ihre Freundschaft gewann und in dem ich Sie den König des Volkes nannte? In der Not darf ich Sie daran erinnern... Seien Sie versichert, daß ich keine übertriebenen Ansprüche an Ihre Güte stellen werde, wenn das Leben uns wieder einmal zusammenführt, - worauf ja Aussicht besteht. Ich bin mir klar darüber, daß mein Streich – auf Zeiten wenigstens – manches unmöglich gemacht hat, was sonst hätte sein können. Aber, wenn der Augenblick kommt, so, bitte ich, versagen Sie mir nicht die Hand, die ich Ihnen im Geiste mit all der wahren Empfindung zu drücken wage, die niemals, zu keiner Stunde des Lebens und der Arbeit, in Ihrer Gesellschaft oder fern von Ihnen, aufgehört hat für Sie in mir lebendig zu sein!

Ihr ergebener
Thomas Mann



Thomas Mann an Erika Mann 7.5.1925:

Gestern waren wir mit Hauptmann auf der Generalprobe seines Festspiels, fuhren sie und Benvenuto in unserem Wagen. Wir haben uns viel die Hände gedrückt, und alles ist wieder in der Reihe. Er ist ein so gutes Format, ich liebe ihn sehr. Und das Festspiel ist auch so eine zu Herzen gehende Quasselei.

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