KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Freitag, 30. Juli 2010, 11:19
(bisher 2.985x aufgerufen)

Die Verse sind dem Nichts ein schönes Kleid - Gedanken zum Sonett. Dominik Riepe. Lyrik (34)

208. Kolumne


Pflichtübung

Weh mir! Welch Schicksal hieß mich ein Sonett erdichten?
Drei Tage Frist sind mir gesetzt: Welch streng Gebot!
Des Geistes Leere bringt Verderben, Pein und Not!
Wann endlich (bang ist’s mir!) wird mein Verstand sich lichten?

Groß ist des Reimes Wohlklangs Reichtum. O hätt ich den!
Doch dies allein mitnichten ist die schlimmste Not:
Das Metrum gerät mir nicht ins rechte Lot.
Zu elend scheint mir das Gedicht. Man mög’s vernichten!

Welch Wunder nur: Zwei Strophen stehn schon auf dem Blatt.
Fürwahr! Es naht das Ende meiner Schuldigkeit.
Vier Zeilen noch, hernach bin ich von ihr befreit.

Man möge mir verzeihn: Ich bin das Dichten satt!
Nur – dies habe ich erfahren in der Zeit:
Die Verse sind dem leeren Nichts ein schönes Kleid!

Dominik Riepe



Dieses Sonett schrieb einer meiner Schüler in 11,1 als Hausaufgabe im Jahr 1981.

Es sind 6-hebige Jamben, nur teilweise in Alexandrinern (mit Zäsur in der Versmitte). Ein gewisses Anklingen an barocke Sonette à la Gryphius ist erkennbar. Mir gefällt die generelle Kritik am Sonett (letzter Vers in Verbindung mit dem Titel), auch das sanft ironische Montieren von Fehlern:

Etwa der Reim (d)„ichten“ – „ich den“. Im 5. Vers muss „O“ und „ich“ betont werden, damit sich „O hätt ich den“ rückwirkend auf „lichten“ und vorwirkend auf „vernichten“ einigermaßen reimt.

Bei der Klage über das metrische Versagen ächzt das Metrum:
Dás Metrúm gerät mir nicht ins rechte Lot – hier muss der Akzent auf der zweiten Silbe des Wortes Metrum liegen, wenn es stimmen soll; gleichzeitig wird aber vorher noch ein Binnenreim („mitnichten“) eingebaut.

Ich glaube, Dominik ließ sich von seiner Schwester Julia helfen, die ich gleichzeitig im 12er Grundkurs (Goethes „Faust“) hatte.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Theseusel (30.07.10)
"Geschrieben steht: "Im Anfang war das Wort!"
Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muss es anders übersetzen,"
(Faust zu sich selbst, Studierzimmer I)

Die Schwester hat ihn bestenfalls inspiriert ... das leere Nichts hat spätestens in der Physikstunde eine Sogwirkung! Gern gelesen.

 AlmaMarieSchneider (30.07.10)
Der Vermutung mit der hilfsbereiten Schwester würde ich auch widersprechen.

 Bergmann (30.07.10)
Nun ja - ihr kennt die sprachgewaltige Schwester nicht.
Ich werde sie auch noch in einer meiner nächsten Kolumnen vorstellen: Mit einem Sonett und mit Gedanken über Adorno.

 Lala (01.08.10)
Hallo Grabkasteninlay,

leider ist diese Freitagskolumne von Dominik oder der Schwester seines Nachbarn zugepastet worden, während ich noch voller Völle auf den Mittagsschweinebraten vom 14.7. warte.

Gruß

Lala
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram