Film & Fußball

Eine cineastische Mannschafts-Kolumne


Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"

Samstag, 16. Februar 2013, 13:40
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Die Welt als Alp und Wolkenwand

von  Dieter_Rotmund


Teammitglied  Lala über Take Shelter, einem US-amerikanischen Spielfilm aus dem Jahre 2001.

Ich habe mir gerade „Take Shelter“ bestellt, weil ich ihn kürzlich gesehen habe und begeistert war und bin.

Ganz erstaunt habe ich während der Bestellung die Ein Stern- Rezensionen gelesen. Es gibt da z. B. eine, die ganz frustriert war, dass es sich nicht um einen Endzeitkatastrophenfilm wie „End Of Days“ gehandelt habe. Das ist "Take Shelter" nun wirklich nicht und will es auch nicht sein.

"Take Shelter" kann man auf mehreren Ebenen betrachten und am Ende bleibt dem Zuschauer, oder einem Zuschauer wie ich es bin, genau die Verunsicherung, die auch die Hauptfigur Curtis beschlichen hat.

Die Reise, die diese Geschichte in die Welt von Curtis nimmt, beginnt in einer absolut gesicherten, ritualisierten, freundschaftlichen, kurzum heilen Welt. Curtis einzige "Sorge" ist, dass er seiner taubstummen Tochter eine Operation finanzieren kann, der ihr es ermöglichen würde zu hören*.
Der Zuschauer ahnt sofort, dass diesem zerbrechlichen, umschuldigen Idyll (verdichtet und symbolisiert durch die hilfsbedürftige, schutzbedürftige Figur der Tochter) eine Bedrohung entgegengestellt wird. Aber obwohl das gezeichnete Idyll nicht überzeichnet ist wie z. B. in Lynchs Blue Velvet wo die Zäune weißer, das Gras grüner und die Feuerwehrautos roter waren**, war ich trotzdem von der ersten Minute an gespannt, welche Herausforderungen Curtis wird meistern müssen.

Welche Dämonen diese Welt bedrohen, enthüllt der Film sehr bald. Sie offenbaren sich in Curtis Träumen und seiner Vergangenheit. Curtis leidet plötzlich unter sehr realen, sehr bedrohlichen, sich in ihren Mustern wiederholenden Alpträumen.

Anders als der ägyptische Pharao hat Curtis aber keinen Joseph, um diese Träume zu deuten; anders als beim Pharao verfolgen ihn diese Träume auch noch körperlich nach dem Erwachen. Er fühlt tagelang noch Schmerzen, er nässt sich ein oder er blutet aus dem Mund. Diese "Übergriffe" aus Curtis Traumwelt auf Curtis reale Welt verdeutlichen noch dahingehend, dass Curtis die Figuren meidet oder abstraft, die ihn in seinen Träumen bedroht haben und vor allem darin, dass er den alten Windschutzbunker auf seinem Grundstück reaktivieren und ausbauen will. Denn die Hauptbedrohung in seinen Träumen ist das Dräuen eines apokalyptischen Sturms mit zahlreichen Windhosen und etlichen Blitzen.

Dieser Bunker, der Zugang zu diesem Bunker, die filmische Einführung dieses Bunkers ist absolut gelungen. Wenn Curtis die verschlossenen, rostigen Stahltüren in Blick fasst, sie registriert, ihre Möglichkeiten stumm wahrnimmt, dann weiß der Zuschauer, dass hier auch, Betonung auf: auch, metaphorisch die Möglichkeiten durchgespielt werden, die, mitten auf Curtis gesundem Grundstück, einen Weg in seine Unterwelt, zu seinen eigenen Dämonen weisen. Und ab dieser Stelle ist dem Film nicht mehr zu trauen.

Dafür ein Beispiel: Curtis fährt des Nachts über dunkle Highways. Auf der Rückbank schlafen seine Frau und sein Kind. Curtis fährt durch die Nacht (sic) und registriert am weiten Horizont dichte Wolken und heftige Muster von Blitzen. Curtis nimmt – scheinbar aufs Geratewohl - eine Ausfahrt, einen Exit und fährt rechts ran. Er steigt aus, Mutter und Kind schlafen immer noch im Auto. Er steht draußen und blickt auf eine epische Wolkenwand am Horizont aus der dramatisch, parallel, zeitgleich und in ungeheurer Zahl Blitze zucken. Und Curtis? Er fragt sich die Frage aller Fragen: Sehe nur ich das? Das Bild ist besonders stark, weil diese Gewitterwolken auch, und wieder liegt die Betonung auf: auch, als eine Metapher für das neuronale Feuerwerk in Curtis Geist gelesen werden kann.

Ist Curtis also irrsinnig? Wer will das beantworten? Wer ist das schon bzw. wer ist das nicht? Curtis hat etwas zu verlieren. Curtis hat Angst. Curtis spürt das etwas passieren wird, dass groß genug ist, alles was er liebt und hat, zerstören zu können. Aber ob Curtis selbst, oder eine äußere Krise in Gestalt einer neuen Weltwirtschaftskrise, dies ist, bleibt glücklicherweise bis zum und nach dem Schluss offen.

Das Stichwort dieses Films ist für mich Zerbrechlichkeit. Michael Shanon, der Darsteller von Curtis, wirkt gegenüber seiner Frau und seinem Kind wie ein Hüne, der mächtig genug ist Kind und Frau zu zermalmen, aber auch wuchtig genug, um sie vor einem Sturm – wie auch immer der aussieht – zu beschützen.

Dramaturgisch kann der Film den Zuschauer nicht pausenlos von Ereignis zu Ereignis hetzen. Regisseur Nichols musste eine Balance finden, um Normalität zu beschreiben, die Bedrohung zu entwickeln und was ich als besonders schwer empfinde - die Lesart dieser Bedrohung offen zu lassen. In der ersten Stunde bedient Nichols die Erwartungshaltung derer, die einen Psychoschocker erwarten und konfrontiert die Zuschauer mit wirklich „hässlichen“ Alpträumen, die in ihrer Machart – aber sehr geschickt gemacht – einen Gänsehaut- und Gruseleffekt beim Zuschauer evozieren. Wer nach der ersten Stunde in Curtis Gedankenwelt und in Curtis Welt nicht eingetaucht ist, der wird ihre Zerbrechlichkeit und Gespaltenheit auch in der zweiten Stunde nicht sehen können.

*-Die Gehörlosigkeit seiner Tochter beinhaltet natürlich auch wieder mehrere Interpretationsebenen.
**-Lynch hat diese Kontraste in Blue Velvet absolut zu Recht gewählt.

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Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag

MelodieDesWindes (36)
(21.02.13)
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 Lala (22.02.13)
@MDW

Mach das. Es lohnt sich und freut mich für den Film ,dass der Text, Dich nicht verschreckte.

@isebail

Schön zu wissen, dass jemand der den Film gesehen hat, nicht meckert bzw. ein vollkommen anders geartetes Seherlebnis hatte.
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