Film & Fußball

Eine cineastische Mannschafts-Kolumne


Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"

Donnerstag, 16. Juni 2016, 10:44
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Elementary

von  Dieter_Rotmund


Gastkolumnist  TrekanBelluvitsh über die US-amerikanische TV-Serie Elementary (2012- )

Eigentlich begann alles mit einem Missverständnis. Mein Bruder dachte, ich würde es kennen. Dem war aber nicht so. Was er jedoch wusste, war, dass ich Holmes sehr mag. Ich habe alle Bücher (in deutscher Sprache) in der schönen Ausgabe des Haffmanns Verlag. Zu Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts zahlte ich zwischen 8.- und 13.- D-Mark pro Band. Die sind heute ein Vielfaches wert. Aber 1.) will ich sie nicht verkaufen und 2.) sind sie nicht im dem Zustand, den Bibliophile mögen – sie sind gelesen. Aber zurück zu meinem Bruder. Er wusste auch, dass es schon einen TV-Holmes gibt, der alle anderen in den Schatten stellt und aufgrund der Einzigartigkeit seines Spiels niemals mehr zu überbieten ist. Die Kenner werden es wissen: Ich spreche natürlich von Jeremy Brett. Er gab von 1984 bis 1994 den Holmes in der britischen Serie The Adventures of Sherlock Holmes. Niemals wurden die Geschichten besser umgesetzt, niemals gab es einen Schauspieler, der dem Holmes der Bücher näher kam.

Gut, noch einmal: Zurück zu meinem Bruder. Er schenkte mir zum letzten Weihnachtsfest die erste Staffel von Elementary. Der Leser ahnt, es handelt sich um eine Sherlock-Holmes-Adaption als Fernsehserie, die im Jahre 2012 startete. Die Handlung wurde ins New York unserer Zeit verlegt. Gelöst werden die Kriminalfälle auf die bewährte Art. Wo der Polizist - und der Zuschauer - nur sieht, beobachtet Holmes. Natürlich hat er eine Abhandlung darüber geschrieben, wie man anhand von Zigarettenasche die Marke bestimmen kann. Und Bienen, Bienen interessieren ihn, wer hätte das gedacht. Den Holmes gibt Johnny Lee Miller, ein Enkelsohn von Bernhard Lee, der den meisten als ’M’ aus den ersten James-Bond-Filmen bekannt sein dürft. Watson wird von Lucy Liu gespielt - eine Frau als Watson? Na, zumindest ist sie ein Doktor (Chirurgin), oder war es zumindest einmal. Die beiden Protagonisten lernen sich kennen, weil Watson als Suchtbetreuerin bei Holmes einzieht.

Damit beginnt das, was mir an der Serie so gefällt (obwohl ich eindeutig ein Holmes-Purist bin). Holmes Drogensucht ist sehr viel präsenter. So geht er regelmäßig zu Süchtigentreffen, bekommt später auch einen Suchtpaten. Und auch Watson trägt etwas mit sich herum. Ein Patient verstarb auf dem OP-Tisch, weil sie einen Fehler machte. Daraufhin verließ sie das Krankenhaus und begann als Suchtbetreuerin zu arbeiten. Holmes ist direkt, sehr viel direkter als in der Vorlage. Er sagt Vertretern von Pharamakonzernen, Versicherungen und Geldanlagefirmen, was er von ihnen hält und das ist nicht viel. Polizeibeamte, die nicht mit ihm mithalten können, bekommen das zu spüren.

"Ich bin kein netter Mensch. (…) In mir schlummert kein wärmeres netters Ich, das darauf wartet zum Vorschein zu kommen. Ich bin ein harter Mensch. Ich kann grausam sein. So bin ich eben, durch und durch. Ich bin weder stolz darauf, noch schäme ich mich dafür. Es ist einfach so."

Damit nähern wir uns dem Kern. Elementary ist eine dunkle Serie. Nein, nein, nicht auf die übliche Art und Weise dunkel. Das Gute gewinnt, die Fälle werden gelöst. Keine Zombies, Serienmörder oder Rocker räumen alles aus dem Weg, was ihnen in diesem steht. Ich persönlich mag Bösewichte nicht. Sie sind langweilig und schnell erschaffen, da muss sich der (Drehbuch-)Schreiber keine große Mühe geben. Warum? Ganz einfach, Bösewichte dürfen alles, sogar gut sein. Holmes ist ein gespaltener Held. Er hasst das Verbrechen. Dennoch schreitet er fast zur Selbstjustiz. Er rettet Menschenleben, obwohl er nicht viel von Menschen und menschlichen Beziehungen im Allgemeinen hält.

"Den Großteil meines Lebens war es meine feste Überzeugung, dass romantische Liebe eine Illusion ist. Sie ist ein nutzloser Schutzschild gegen den existenziellen Schrecken, der in unser Einzigartigkeit liegt."

Holmes ist gespalten, weil er siegt und zugleich versagt. Natürlich löst er die Fälle. Doch seinem Ziel, kommt er dabei kaum näher.

"Wir sind nicht von der Welt abgeschnitten, wir setzen uns für eine ein, in der es sich zu leben lohnt. Eine, die unseren Bedürfnissen gerecht wird und alles Unwesentliche eliminiert."

Natürlich, Holmes ist ein Misanthrop und Pessimist. Aber vielleicht wird man das einfach, wenn man die Welt so genau beobachtet, wie er es tut. Dass er sich dabei in der Welt des Verbrechens bewegt, verstärkt diese Tendenz noch. Auf der anderen Seite, kommt er bei seinen Fällen mit sämtlichen Schichten der Bevölkerung in Verbindung, von oben bis ganz unten, vom Vorstandvorsitzenden eines Weltunternehmens bis zum Junkie auf der Straße. Sein Urteil ist immer gleich:

"Das was ich tue, das was dir so viel bedeutet ... du meinst, ich tue es, weil ich ein guter Mensch bin? Ich tue es, weil es zu schmerzhaft wäre, es nicht zu tun. (...) Weißt du, es tut weh (...), alles das! Alles was ich sehe, alles was ich höre, rieche, berühre, die Schlussfolgerungen, die ich imstande bin zu ziehen, die Dinge, die sich mir offenbaren ... die Hässlichkeit. Meine Arbeit fokussiert mich."

Die Ermittlungen sind Holmes eine Verhaltenstherapie. Jeder, der damit schon einmal in Berührung kam, weiß, dass jener Punkt von elementarer Bedeutung ist: fokussieren. Und dennoch verliert sich Holmes in dem, was er tut. Streng genommen hat er nur eine Sucht gegen die andere ausgetauscht und sein dystopischer Geist leidet weiter. Nein, dass stimmt nicht ganz. Denn hier kommt Watson ins Spiel. Sie bringt uns den Menschen Holmes näher, schafft es, ein paar Mauern einzureißen.

"Elementary" ist eine massentaugliche Fernsehserie. Mancher mag das, was mir an der Serie gefällt, für Beiwerk halten. Vielleicht ist es das sogar. Aber ich denke, es bildet den Hintergrund und scheint immer wieder durch. Elementary ist eine auf zwei Schauspieler zugeschnittene Serie, auf Johnny Lee Miller und Lucy Liu. Miller hat allein durch seine abgehackten Bewegungen ein eigenes Erscheinungsbild seines Holmes erschaffen. Lius Spiel überrascht dadurch, dass sie fast nichts tut. Sie steht, sitzt und liegt nur da. Und dennoch ist sie sehr präsent, ein guter Gegenpol zu Miller, denn sie redet, sagt das, was Holmes nie sagen würde und stellt Fragen, gerne auch einfache Fragen. Der Zuschauer identifiziert sich mit ihr, weil es seine Fragen sind. Der Minimalismus und die Ruhe ihres Spiels sind gut und überzeugend. Oft kommen die Nebencharaktere dabei ein wenig zu kurz, obwohl Captain Gregson (Aidan Quinn) und Detective Bell (John Michael Hill) immer wieder Raum bekommen. Und noch etwas mag ich. Heutige Krimis neigen dazu, wenn die Ermittler nicht mehr weiterwissen, irgendeinen Techniker auftauchen zu lassen, der mit Wissenschaftsgebrabbel mal eben ein Dutzend Ermittlungschritte überspringt. Das ist hier anders. Natürlich tauchen Technik und technische Hilfsmittel auf. Aber sie sind Werkzeuge. Letztlich denkt der Holmes in Elementary wie der in Doyles Büchern. Als hätte mein Bruder es gewusst. Mir gefällt’s.

(Hey, warum dystopischer Geist? Es ist ja nur eine Fernsehserie. Alles erfunden. Die Welt ist ganz anders.)

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Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag

Graeculus (69)
(16.06.16)
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 TrekanBelluvitsh (16.06.16)
Ja, ich fürchte, das ist offensichtlich ...
;-)

 Dieter_Rotmund (17.06.16)
Ich bin mit Elementary nicht warm geworden. Das eher minimalistische Spiel von Lucy Liu hat durchaus was, ja, aber Johnny Lee Millers Darstellung des Holmes überzeugte micht nicht: Zu aufgesetzt, zu überzogen.
Auch mit Jeremy Bretts Holmes wurde ich nie warm, ich bin geprägt von der herrlichen Rattenhaftigkeit eines Basil Rathbones und habe auch das Duo Cumberbatch/Freeman gerne gesehen, außerdem jüngst im Kino Ian McKellem in Mr. Holmes (in dem es übrigens auch um Bienen geht).
Super die Holmes-Parodie Without a clue mit Michael Caine und Ben Kingsley von 1988.

 TrekanBelluvitsh (26.06.16)
Ja, Miller’s Interpretation gefällt zuweilen nicht. Allerdings ist das die Natur des Holmes aus Doyles Geschichten. Allerdings ist der große Unterschied dort, dass Holmes sich hervorragend seiner Umwelt anpassen kann, nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes in jeder Verkleidung auftauchen kann. Elementary setzt in der Tat sehr auf diese Charakterzüge - und daraus kann tatsächlich eine gewisse Gewöhnungsbedürftigkeit resultieren, eben: "Ich bin kein netter Mensch."
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