Film & Fußball

Eine cineastische Mannschafts-Kolumne


Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"

Mittwoch, 25. Januar 2012, 09:55
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Śmierć miasta

von  Dieter_Rotmund


Śmierć miasta (Das wunderbare Überleben) – Mein wunderbares Überleben

Eine Gastkolumne von  Nimbus

Es war ein komischer Tag, den ich hatte. So einen Tag, den man lieber nur im Bett verbracht hätte. Eigentlich suchte ich eine Komödie im Fernsehen. Irgendein Gute-Laune-TV… wahrscheinlich hatte ich so einen Tag, an dem die Laune eben Achterbahn fährt, und sehe in der Programmszeitschrift „Der Pianist“, von Roman Polanski. Bis dahin hatte ich den Film noch nicht gesehen und habe die Beschreibung des Films nicht wahrgenommen, nur den Titel.
Hätte mich bitte mal jemand vorwarnen können?
Wie das bei mir so üblich ist, wenn ich einen gepflegten Fernsehabend betreibe, standen dann Chips, belegte Brötchen, Peperoni mit Käsefüllung und Schokolade auf dem Tisch, als auch eine Flasche Kristallweizen Bier. Ich goss das Glas ein und dachte irgendwie vielmehr an einen Film, der mich mit gepflegter Klavierunterhaltung erfreuen würde. So ungefähr fing der Film dann auch an, ich biss in mein Brötchen, trank mein Glas Bier und vergaß meine mit Gedanken in Gedanken, zuweilen in Selbstmitleid badend, versauten Tag.

Die Art und Weise wie ich Filme schaue, sofern sie dazu in der Lage sind, mich zu fesseln, reicht bislang soweit, dass ich es z. B. bei einem Horrorklassiker, wie „Der Weiße Hai“ auf die Couch springen, durchaus mit Elan, so, dass die Schüssel mit Würmchen komplett verteilt auf den Boden ein neues Muster zu zeichnen weiß. Bei dem Film „Legenden der Leidenschaft“ lag ich etwa nach einem Drittel heulend auf dem Boden... Na, gut, jetzt nun etwas übertrieben dargestellt. Aber eigentlich ziemlich zutreffend. Irgendwie lebe ich da mit, ebenso, wie beim Lesens eines guten Romans… Den lege ich nicht mehr aus der Hand. Es gab mal ein Kinderbuch, da habe aufgrund des Romanheldens, einem Pinguin, der immer Thunfisch essen wollte, die Fischwirtschaftsindustrie arg angehoben, so sah dass Buch allerdings leider nach dem lesen auch aus. (Es war in Öl eingelegter Thunfisch ), den ich da aß.

Dann kommt „Der Pianist“, der Originaltitel „Śmierć miasta“ des Buches, und fängt mit so schöner Musik an. Es geht um einen angesehenen Pianist und Komponist aus Polen, sein Name: Władysław „Władek“ Szpilman, gespielt von Adrien Brody, Oscar- Preisträger.

Ich tauche erst noch ab in diese wunderschöne Musik, bis mir allmählich klar wird, was ich mir selber da antue… - Ein Film der mit Sicherheit jegliche Grenze an irgendeiner Merkwüridgkeit von meiner Laune zu sprengen wusste!

Alles fing so harmlos an, es erzählte die Musik, eine Frau… Bis dann anfing mir das Ausmaßes des Filmes, aber nur allmählich klar zu werden, alles fing mit einer Radioübertragung an. Mit aller Burtalität eines Augenzeugen wurde mir der Holocaust dargestellt, die Anfänge, die Verzweiflung der Menschen. Das ließ/lässt einen Menschen wie mich ja nicht unberührt. Tief betrübt aß ich vor dem Fernsehen, wurde Zeuge eines Films, der aber wahrheitsgetreu erzählt wurde, wie eine Grenze gezogen worden ist, wie Menschen aufgrund ihres Glaubens aus einer Willkür heraus ihrer Menschlichkeit entzogen worden sind. Etwas, was mir unbegreiflich ist! Ihres Standes, ihre Vermögens, ihres Individuums einfach beraubt wurden! Familien wurden getrennt und unendliches Leid angetan. Ich gedenke hier nicht auf sämtliche Greueltaten des zweiten Reiches hinzuweisen, die meisten Personen, die ab und an mal dazu in der Lage sind, ein Buch zu öffnen, oder zu lesen, ist die Gescchichte geläufig.

Doch "Der Pianist" erzählt eben seine eigene Geschichte. Das dramatische, was über den Film hinaus geht, ist, dass bereits 1941 Hollywood die polnischen Ghettos verfilmt hat… Also die USA über die Zustände schon lange aufgeklärt waren, bevor sie mal agiert haben… Aber gut, dass ist eine andere Geschichte…. –

Der Film erzählt von Liebe, von der Möglichkeit zu flüchten, von massiver Angst, von Hunger, von Krankheit und das so detailreich, dass man glaubt, man würde es einfach miterleben. Dabei lässt er weder an Spannung noch an Dramatik zu wünschen übrig. Bei meinem unglaublichen Geschick, mir Filme anzusehen, in dem ich denke, ich wäre mitten drinnen, wuchs ich in dem Film mitrein, unfreiwillig. Ich weiß nicht, ehrlich nicht, wie viele Tränen ich vergossen habe, es waren unendlich viele. Ich saß vorm Fernseher und machte mir bewusst, das ist nicht Hollywood, das ist ein Leben. Das ist… Ich habe lautlos geschluckt. Die trockene Art die Umstände zu schildern, kamen im Film so drastisch herüber und ich hege keinen einzigen Zweifel, dass es nicht der Realität entsprochen hat. Da war dieser Junge, der noch über die Grenze schreiten wollte…. Es ging ums nackte Überleben, es ging um Selbstaufgabe, gezwungen von kranken Menschen die einer Euphorie gefolgt sind, die ich nicht nachvollziehen kann und will, obgleich ich auch das Buch „Die Welle“ gelesen habe. Der Junge…. -

Als die andere Szene kam, da wusste ich nicht, ob ich einen Boxsack auspacken soll, oder mich mit noch mehr Taschentüchern ausstaffieren soll, war, als der Pianist beobachtete, wie Nazi-Schweine eine Wohnung stürmten und jedem befahlen aufzustehen. Da saß ein Mann im Rollstuhl und konnte demnach nicht aufstehen. Ich habe die Luft angehalten. Ich hätte in meiner schlimmsten Phantasie nicht erahnen können, was die Schweine gemacht haben. Sie haben den Mann wegen Missachtung eines blödsinnigen Befehls einfach hochgehoben, und dann… ich kann es nicht fassen, nicht mal jetzt, wo ich drüber schreibe, aus dem Fenster geworfen! Aus dem Fenster geworfen!!! Einfach so, wie nichts, wie ein Stück nichts, wie ein Stück Papier. Ich war wütend, bestürzt, traurig, fassungslos, alles irgendwie zugleich und die Szene ist wohl die einem zeigt, wie es damals abgegangen ist, die verinnerlicht, wie viel Respektlosigkeit und widrige Obrigkeit einen Menschen, einen denkenden Menschen, der atmet, der liebt, der fühlt, wie ein Nichts ausradiert. So war ich in Auschwitz und habe fast ein Sauerstoffzelt benötigt, um das zu überstehen, die Bilder, die Geschichte. Doch ich glaube die Szene macht es einem klar, greifbar, wie man mit Menschen, mit Juden umgegangen ist. Ich saß verwinkelt vorm Fernseher. Kämpfte mit Tränen und der Tatsache, dass ich mich schämte, genau in diesem Moment, der Spezies Mensch anzugehören.

Statt umzuschalten und meiner Laune eine andere Richtung zu geben, blieb ich gebannt und schockiert vorm Fernseher kleben. Der Mann wirkte so sympathisch, der Pianist, so liebevoll, so leidenschaftlich… Leidenschaftlich kommt wohl offenbar von Leiden, denn er hat gelitten, nicht nur im Leben, sondern auch in der Liebe… Doch es gab auch kleine Wunder.

Er wurde noch von seinen eigenen Leuten betrogen, die lieber Geschäfte auf seine Kosten machten, doch ihm in sein Versteck nichts zu essen brachten. Er wurde krank, wieder aufgepäppelt… Irgendwann sind die Panzer durch die Straßen gerollt und er hat sich einfach nicht auf die Straße getraut, es war ein Leben in Angst, in Einsperrung der eigenen Person, wie man es sich nicht mal im Ansatz vorstellen kann. Es gab so viele Momente der Spannung, es ist die Geschichte von Vertrauen und Misstrauen, von Gut sein und Böse, von Dummheit und Intelligenz. Als er dann an der Hauswand hing und ich mir versehentlich in den Finger gebissen habe, dachte ich, der Film, das Leben könnte an Spannung nichts mehr übersteigen, doch ich habe mich geirrt.

Durch die Zerbombung bleibt ihn keine Wahl mehr, er muss das Gebäude verlassen und es gibt eigentlich keine Ecke, der er traut, keinen Winkel, den er durch verschüchterte Blicke nicht anvisiert, ohne diese Angst. Jahre voller Angst, Jahre voller Unterdrückung, Jahre des Misstrauens, wer kann das schon aus heutiger Sicht unserer hiesigen Gesellschaft nachvollziehen? Er war so durstig, so sehr, dass er verschimmeltes Putzwasser getrunken hat. Ich habe mich fast übergeben und spüre sogar jetzt den fiesen Geschmack, den ich gar nicht kenne, ich kann es mir nur vorstellen… und das nicht besonders gut, denn ich war nie in der Situation. Worüber ich sehr froh bin.

Der Mann lebte ja ziemlich abgeschottet und das Ausmaß der Verwüstung wurde ihm erst klar, bei seiner Flucht aus dem ausgebombten Haus. Im Lazarett, wo er das Putzwasser soff, als wäre er Vieh, konnte er auch nicht bleiben. Ich weiß gar nicht wie oft, unzählige Mal, ich die Luft habe anhalten müssen, weil ich denke, der wird gleich noch erschossen… Der wird gleich erwischt.

Man wünscht ihm was zu essen, was zu trinken, ich hätte ihn am liebsten in den Arm genommen und gelogen und gesagt, „Alles wird gut.“

Er schafft es irgendwie unentdeckt zu den Häusern, sofern man das noch Häuser nennen kann. Er versperrt sich in einem und sucht Nahrung…. Er findet eine Dose Gurken, doch bekommt sie nicht auf. Er schreitet zum Kaminwerkzeug und bei dem Versuch diese blöde Dose zu öffnen fällt sie ihm aus den Händen. Als gäbe es nichts wichtigeres, und vermutlich gibt es für ihn in dem Moment auch nichts wichtigeres als etwas zu essen, jagt er der Dose hinterher als er sie wieder in seine Hände nimmt, als kostbarstes Geschenk schlechthin, sieht man die Stiefel eines deutschen Offiziers. Ich weiß gar nicht mehr wo ich mich noch festhalten kann. Luft kriege ich gar keine mehr und ich denke nur, dass kann doch gar nicht mehr sein, das geht doch nicht…

Ein deutscher Hauptmann (oder so was, so was mit den Diensträngen habe ich mir noch nie gemerkt) spricht ihn an. Szpilman greift sich seine Dose und schreitet einige Meter von ihm weg. Es ist richtig kalt, man sieht, dass sieht den Atem der Personen. Der deutsche hochrangige Mann spricht ganz ruhig mit ihm. Er, der sich an dieser Dose festkrallt und sie mit Sicherheit mit seinem Leben verteidigen würde, ich kralle während dessen meine Finger in meine Handflächen und mir bleibt schon wieder die Luft weg.

Der Deutsche will wissen, was er in seinem Leben normal macht, und er sagt ihm:“ Ich bin Pianist.“ In diesem Haus steht ein Piano und der Deutsche fordert ihn auf zu spielen.

Wer kein Herz hat, wer nicht mitfühlen kann, wer nicht …

Eine Szene die einem alles weghaut, die das Leben auf den Kopf stellt, die einen Regenbogen malt, mit der Gewissheit, er kann jeden Moment zerstört werden.

Szpilman fängt an, wie eingerostet wirken seine Hände. Er weiß nicht, was kommt, er spielt unter Todesangst, erst mal… Bis er eines macht. Er löst sich von der Welt. Man sieht einen Menschen, der unvorstellbares Leid erfahren hat, der Todesangst hat und er holt sich aus allem für einen Moment da heraus. Er spielt nicht um sein Leben, er ist Leben, lässt jede Taste durch seine Vene gleiten und ist nur noch er, nur noch Musik, nur noch Leben, das kostbarste, was man sich vorstellen kann… Töne erhellen den Raum. Töne wachsen aus ihm heraus, sind sein Element…. Wer hier keine Gänsehaut bekommt hat null Hang zur Musik, ist kein Mensch.

Während er da so in dem Film spielt und dieser dumme Deutsche irgendwas Soldat sitzt überlege ich mir ernsthaft die Toilette zukünftig im Wohnzimmer aufzubauen, nur für den Fall, dass ich mir vor lauter Melancholie in die Hose mach.

Genau hier kommt die unerwartete Kehrtwende… Das was diesen Film so auszeichnet, was ihn so ….

Er sieht zwei Seiten! Denn es ist dieser dämliche deutsche Sack, der nicht nur die Musik genießt, sondern ein Herz unter seiner Uniform trägt….

Er gab ihm zu essen…..

Da der Film es nicht lässt an Spannung auf sich warten zu lassen, lässt man die Hauptfigur nach Einläuten des Kriegsende im Deutschen SS Mantel auf die Straße ziehen… Er freut sich, läuft auf die Ruinenstraßen und wird….

Ein Film der an Menschlichkeit, Grausamkeit und Wirklichkeit der Vergangenheit nichts, aber auch gar nichts auslässt… Von verschmähter Liebe bis hin zur großen Not und dem eigentlichen kleinen Wunder, was am Ende nichts anderes ist, als normales Sozialverhalten, sollte man meinen, aber in dem Zusammenhang nicht selbstverständlich ist.

Wer sich den Film ansehen möchte, den empfehle ich eine, wenigstens, Packung Taschentuch, ein Beißholz, wenn man zu wütend ist, oder die Spannung ins Unerträgliche geht, ein Klohäusschen mit Guckfenster, ein Boxsack und…

Die Sichtweise einen Film, ein Leben zu ehren, wie man es kaum kann und es ist nur ein Schicksal. Es ist Eines, eines, was einen hinterfragen lässt, wie viele Schicksale es gab, aber auch gibt! Was verbirgt sich hinter Dir?

Ein Film, der zwar viele Auszeichnungen erhalten hat, aber meines Erachtens nach nicht genug bekommen kann….

Ein Gesicht. -

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Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (28.01.12)
Ich verstehe nicht, warum hier jedes zweite Wort "Hollywood" ist. The Pianist ist eine französisch-polnisch-deutsch-britische Koproduktion, die in den Babelsberger Studios in Berlin und in Potsdam hergestellt wurde. Zudem war Herr Polanski seit etwa 1977 nicht mehr in den USA.

 Dieter_Rotmund (29.01.12)
Nunja, ich respektiere Eure offensichtliche Abneigung gegen alle Filme, die von der amerikanischen Westküste kommen, aber wenn ich z.B. die Sangeskünste von [Hier bitte Deine Lieblingssängerin einsetzen] lobpreisen wollen würde, würde ich ihre Fähigkeiten nicht dauernd in Bezug zu den sängerischen Fähigkeiten von z.B. Guildo Horn (oder so, ich kenne mich mit Musik bzw. deren aktuellen populären Protagonisten nicht aus) setzen. Besser, angemessener wäre es gewesen, wenn Du (vom rein cineastischen Standpunkt her) "Der Pianist" in einer Liga mit brillanten, europäischen Werken stellen würdest. Nunja, nur ein handwerklicher Vorschlag.

 Dieter_Rotmund (31.01.12)
Ich möchte hier mal in die Runde fragen, alle, die den Text gelesen haben, ob mir jemand erklären kann, was Nimbus' "Zweites Reich" ist und wie das in Zusammenhang im Der Pianist steht.

Grundsätzlich gefällt mir Nimbus' Konzept, die Rezeption des Films nicht auf einer immanenten Ebene zu lassen, sondern in Kontext mit der unmittelbaren Umgebung der Rezeptionsstätte zu bringen und ganz bewußt die kritische journlistische Distanz zu verlassen.

Herzallerliebst: "eine Flasche Kristallweizen Bier", so erfrischend über Gerstenkaltschale kann nur eine Frau schreiben...
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