Ungewollter Versuch einer Derealisation

Innerer Monolog zum Thema Realität

von  Kleist

Oh, ruhig.
So ungewohnt.

Langsam hereingerutscht ins Ruhig;
als Letztes noch die A-Seite einer Degenhardt-Platte gehört.

Ich wollte etwas lesen, stattdessen
schreibe ich.

Jetzt.

Monologe über Gegenwart, Abgeschiedenheit und Achtsamkeit halten kann ich ganz gut.

Nur wenn sie kommt, die Stille, wird mir unwohl.

Mindestens noch ne Platte auflegen, wenn nicht den Rechner hochfahren.

Rausgehen vielleicht.
Zu kalt.

Stimmen aus der Nachbarwohnung - oder von draußen?

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Sackratte, Pleonasmus, fürchterlicher Zerfall.
Die Wände brüllen mich an, jedes Bild, jeder Gegenstand so voller Bedeutung.
Entsetzlich - alles fremd, alles laut.
Ich, ich, ich, nicht auszuhalten.
Passe hier nicht her, passe nirgends hin.
Fremd, fremd, so fremd.
Meine Haut, ich könnte ...
... ich könnte alles zerhacken.
Der Gedanke, der Gedanke bleibt, der Gedanke brüllt mich an.
Sprung in der Platte, Endlosschleife.
Die Medis, wo sind die Medis?
Scheiße, ich hatte sie doch hier irgendwo.
Besser gleich zwei.
Damit müsste es in einer halben Stunde ausgestanden sein.
Damit müsste es in einer halben Stunde ausgestanden sein.
Damit müsste es in einer halben Stunde ausgestanden sein.
Sprung in der Platte.
Sprung in der Platte.
Sprung in der Platte.
Hinlegen.
Nichts denken.
Nichts denken.
Nichts denken.
Scheiße.
Musik?
Welche denn?
Alles Horror.
Die Wände so laut.
Mein Tinnitus - jetzt fast schon beruhigend.
Brüllt. Alles brüllt. Alles schimpft.
Ende, Ende, Ende, wann hört das auf?!
Eine halbe Stunde, eine halbe Stunde, hoffentlich.
Musik?
Kirchenlieder, so was, ja, das brüllt nicht so.
Hinlegen. Großes Licht aus.
Paul Gerhardt.
"Gib' dich zufrieden ..."
Brüllt.
Hinhören.
Ruhig.
Ruhig.
Ruhig.
"... und sei stille ..."
Ruhig.
Fade out.

(...)

Benommen.
Was war das?
Wow! Vorbei!
Vorbei!
Rest egal, vorbei!
Konzentrationsfähigkeit auf Null.
Watte im Kopf.
Kommt das vom Zustand oder vom Benzodiazepin?
Nichts. Nichts.
Leer, ausgelaugt.
Leider noch wach.
Irgendwas Anspruchsloses.
Drömeln, drömeln,
aus, Bett.

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Kommentare zu diesem Text

ungesagt (34)
(04.05.09)
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Caty (71)
(04.05.09)
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 Kleist meinte dazu am 04.05.09:
Das kann eigentlich jeder sein.
MarieM (55)
(04.05.09)
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HedgeGarfield (27) antwortete darauf am 04.05.09:
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MarieM (55) schrieb daraufhin am 04.05.09:
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 loslosch äußerte darauf am 04.05.09:
Gesetzt den Fall, ich hätte oben einen Veriss des Textes abgeliefert, würde ich jetzt meinen Komm zurückziehen. Nach zweimaligem Lesen des Monologs allerdings! Lothar
MarieM (55) ergänzte dazu am 04.05.09:
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 loslosch meinte dazu am 04.05.09:
Ich sprach von einem "Gesetzt den Fall". Real wars ja schon zu spät, weil der Autor längst reagiert hatte. Du schreibst "Türen aufzuschließen". Gerade das hat es bei mir ja ausgelöst, weil ich drauf und dran war,den inneren Monolog misszuverstehen. Auf dem von Dir beschriebenen Weg war ich bereits ein Stückchen vorangekommen. Naja, andere eben nicht... Lo
(Antwort korrigiert am 04.05.2009)

 Kleist meinte dazu am 04.05.09:
Ich bin ja sehr angetan, dass der Text bei Euch ankommt.

Der oben beschriebene Zustand - der neben anderen psychischen Wehwehchen (hatte z.B. einige mehrmonatige Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis) mehr oder weniger periodisch bei mir auftaucht - wurde mir übrigens nach eingehender Beschreibung klinisch als "Derealisation" (musste erstmal Wikipedia befragen) diagnostiziert, nach einer anfänglichen Fehldiagnose als "Angstzustand".

Der Text ist ganz spontan entstanden: nachdem ich einfach so losgeschrieben hatte, vergegenwärtigte sich mir dieser Derealisations-Film plötzlich sehr plastisch und lebendig; mitten in einem Solchen wäre ich völlig unfähig, mein Erleben zu Papier zu bringen, ja sogar, jemand Anderes gegenüber einzugestehen, dass ich akut derealisiere.

Die Aspekte, die Ihr meinem Text abgewinnt, finde ich hochinteressant - erst jetzt geht mir so richtig auf, dass diese Erfahrung etwas allgemein-menschliches hat, sozusagen eine lebensphilosophische Implikation.

Nochmals vielen Dank an alle, die hier kommentiert haben!

 loslosch meinte dazu am 04.05.09:
Ich nehm das mal als sehr offene Beschreibung. Mir war schon früh aufgefallen bei Deinen Texten, dass Brüche sind - nicht innerhalb der Texte, sondern zwischen diesen. Wenn Du das mal als meine Beobachtung annimmt, kannst Du das vllt umsetzen. Wünsche ich so. Lothar

 Kleist meinte dazu am 05.05.09:
Ja, logn sind da Brüche. Der früheste Text, den ich reinstellen werde (abgesehen von dem Grundschul-Teil) ist von '91, "Russisch Brot" von '01 und die Derealisation von grad' eben. Dazwischen liegen sehr einschneidende Ereignisse in meiner Biographie, was sich natürlich auch in den Texten niederschlägt.
Im Übrigen ist meine "Erkrankung" nicht so weit von "manisch-depressiv" und meine Stimmung kann sich teilweise binnen Minuten um 180° verkehren.
LudwigJanssen (54) meinte dazu am 05.05.09:
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MarieM (55) meinte dazu am 05.05.09:
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LudwigJanssen (54) meinte dazu am 05.05.09:
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 loslosch (05.05.09)
Nach mehrmaligem Lesen: Du erwähnst auch Paul Gerhardt. In meiner (glaubensseligen) Kindheit dachte ich, das sei ein zeitgenössischer Liederdichter. Muss Dir jetzt nicht groß erklären, dass das grundfalsch war.

Über P. G. hatte ich mich schlau gemacht wegen Matthias Claudius´ "Abendlied", dass ich vor Wochen in eigener Version, als agnostischen Gesang sozusagen, bei KV einstellte. "Nun ruhen alle Wälder" aus dem Jahr 1653 wurde die Vorlage für das berühmte Abendlied von M.Claudius. Nach meinem Eindruck liegen Dir diese agnostischen Gesänge. Wenn Du es wagen würdest, einen Liedtext von Paul Gerhardt zu variieren...? In welche Richtung, das bleibt immer dem/der Autor(in) überlassen. Lothar
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