Es war in Venedig

Verserzählung zum Thema Schönheit/ Schönes

von  Augustus

Im Aufzug der Rokokozeit, Perücke und Schnallenschuhe,
ich war Inkognito zu Karneval und zu einer geschlossenen Gesellschaft geladen.
Tanzen über’s Tanzen – Trinken und Essen – und wieder Tanzen…
Die Nacht schlug späte Stunde, und wie’s denn nachts in Venedig gewöhnlich ist,
fuhren über‘s Meer weder Wasserbus noch Gondel.
Champus und Wein wallten in meinem Blut und kühl war die Nacht.
Allein schien der Mond über den Dächern der geschminkten Patrone.
Und ja – leise, ganz leise war die Stadt, die Straßen verlassen und menschenleer.
(Am Tage laut und schrill, voll und gedrängt mit Menschen.)
Wie im Labyrinth irrte ich umher, ging über Brücke und Brücke und
wollte zum Markusplatz – und kam nicht dort an.
An einer Stelle blieb ich stehen; das schwarze Meer guckte mich an,
still war‘s um mich her und Stille in mir selbst –
ich nahm vom Gesicht die Maske und warf die Maske hinaus auf Meer
sie schwamm zunächst und sank dann.
An derselben Stelle kam ich drei Mal vorbei.
Allein als ich unterwegs war und die Stadt vor meinen Augen schwamm, nach und nach im Dunkeln verschwand und im Lampenlicht wieder hervortrat, erblickte ich ein junges Mädchen an einer Brücke stehen.
„Wisse Sie mir den Weg zum Markusplatz zu weisen, ich laufe sei Stunden rum, ohne den Ausweg zu finden?“
„Ich kann Dich dahin führen. So folge mir nur.“
„Woher kommt Sie denn her?“
„Griechenland.“
Ich dachte. – Nyx in Venedig. –
Ich folgte schweigend ihren Schritten nach. Mit der Göttin sprach ich Shakespearisch. Wie eine schwarze Olive schimmerten ihre Haare im Mondsilber, und Schneeweiß war ihr Gesicht. Zierlich ihre Hände, sanft ihre Stimme. Ihr Auge mild und forsch. Ihre Seele mystisch vom Zauber der Nacht angezogen. 
Eine Schönheit ging vor mir her, wie ich keine bisher getroffen.
Stunden sollte ich warten bis zum Morgenaufbruch bis der Wasserbus fuhr. Mit mir sollte auch die Nyx warten.
Wir schlenderten am Ufer entlang – ja ohne List Hand in Hand. – Ich tanzte mit ihr Menuette unter dem Lampenlicht, während das Meer die Wellen schlug und der Möwen Blicke von der Rehling der Boote aus auf uns ruhten.
Eine bunte Brosche aus Muranoglas, die ich auf der Brustseite des Kostüms trug, schenkte ich ihr als Dank für die Zeit und Führung. Sie nahm sie entgegen - gleich der aufkommenden Morgenröte -mit zarten rosafarbenen Wangen.
Die Minute rückte an, in der wir uns trennen mussten. Sie blieb am Steg, ich ging auf’s Schiff.
Und während der Kapitän das Seil vom Steg löste, winkte sie mir zu. Ich winkte zurück. Sie blieb stehen und ging nicht weg und sah mir lange nach.
Wie Nacht, soll ich dich deuten? Sterbliche und Götter trennen Welten, wenngleich es vorkommt, dass Götter mit Menschen verkehren. Nun lag alles vor mir zurück; und ich sollte im erwachenden Antlitz der Sonne den nächtlichen stillen Zauber der Stadt und mit steter Entfernung des Schiffes auch der jungen Göttin Schönheit vor meinen Augen - wie einen schönen Traum beim Erwachen - verschwinden sehen.

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Kommentare zu diesem Text


 Terminator (17.02.21)
Und wärest du lieber zur Rokokozeit als zur Heutezeit im Rokokokostüm dagewesen?

 Augustus meinte dazu am 11.03.21:
Venedig ist wohl eine der ganz wenigen Städte Europas, die den jahrundertlangen Zeitwandel nicht miterlebt hat. Möglicherweise hat Venedig zur Rokokozeit zu vielen Teilen wie heute ausgesehen.
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