Lauwarm

Anekdote zum Thema Erfolg

von  Citronella

Als ich morgens pünktlich um acht die Kanzlei betrete, sitzt der erste Mandant bereits im Besprechungszimmer. Eine Kollegin, die noch pünktlicher war, hat ihm schon einen Kaffee serviert. Der Mandant, ein seit vielen Jahren bekannter und sehr erfolgreicher Sänger und Musikproduzent, erwidert meinen Morgengruß ungespielt freundlich. Er bleibt gelassen, als ich ihm kurz darauf mitteile, dass der Anwalt sich leider ein wenig verspäten werde. „Kein Problem“, meint er mit einem netten Lächeln. Er weiß, dass sein neuer Plattenvertrag bei meinem Chef in guten Händen sein wird und dieser das Optimum für ihn herausarbeiten wird.

Ein paar Tage später: Termin mit der einen Hälfte eines ebenfalls sehr erfolgreichen Pop-Gesangsduos, das sich unüberbrückbar verkracht hat und sich seit Wochen medial eine unappetitliche Schlammschlacht liefert. Der junge Mann, der niemals ohne seine noch jüngere Frau gesehen wird, braucht nun dringend Rechtsberatung. Das Paar kommt eine knappe halbe Stunde zu spät. Der Bitte, einen Moment im Besprechungszimmer Platz zu nehmen, der Anwalt habe inzwischen ein längeres Telefonat hereinbekommen, kommt die Frau nur nörgelnd nach. Ihr Mann nimmt schweigend Platz, während seine Frau ungeduldig auf und ab tigert. Einen Kaffee lehnen beide zunächst ab, dann möchte die junge Frau doch lieber eine Cola haben. Eine Rechtsanwaltskanzlei ist zwar kein Gastronomiebetrieb, doch ich bin sicher, dass sich irgendwo eine Flasche Cola finden lassen wird.

Sie findet sich, ist aber wohl gerade erst nach dem morgendlichen Einkauf von der Kollegin in den Kühlschrank gestellt worden, also noch nicht richtig kalt. Ich serviere Madame ein Glas, das sie nach dem ersten Schluck mit angewiderter Miene zurückstellt. „Die ist ja lauwarm!“ – „Das tut mir leid“, antworte ich und ziehe mich zurück. Bald darauf begrüßt mein Chef das Pärchen, Madame stöckelt vorweg in sein Zimmer. Sie hat zwar zur Karriere ihres Mannes nie direkt beigetragen, nicht einmal als Hupfdohle, versteht es aber immer, sich medienwirksam in den Vordergrund zu stellen und die Schlagzeilen zu beherrschen. Und ganz sicher ist sie auch nicht ganz unschuldig an dem Zerwürfnis des Duos, wie sich später herausstellen wird.

Nach einigen Jahren hat man den Namen ihres Mannes fast vergessen, die Ehe wird nach einem langen öffentlichen Rosenkrieg geschieden. Der ehemalige Gesangspartner kann mittlerweile auf eine jahrzehntelange glänzende Karriere in der Musikbranche zurückblicken – genauso wie der bescheidene, freundliche Mandant, der bei einer Tasse Kaffee gern ein paar Minuten wartete.

 



Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (06.08.24, 13:37)
Eine Art Fabel? Anekdote würde ich es nicht nennen, dafür müssten dann schon Klarnamen fallen.

 Citronella meinte dazu am 06.08.24 um 15:38:
Da bin ich anderer Ansicht. Die Personen sind ausreichend beschrieben, und es tut meines Erachtens nichts zur Sache, wie sie heißen. Außerdem verbietet es das Anwaltsgeheimnis, hier mit Klarnamen zu agieren.

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 06.08.24 um 16:23:
Tschuldigung, falsch ausgedrückt. 
Präziser: KV ist eine Literaturforum, kein Nachrichtenportal. Sei kreativ und erfinde Namen!

 Citronella schrieb daraufhin am 06.08.24 um 17:30:
In der Erfindung von Namen kann ich nichts Kreatives entdecken. Und die Geschichte bringen Klarnamen auch nicht weiter.

 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 06.08.24 um 18:30:
Wohoho! Wohl noch nie was von Erich Kästner gelesen?!
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram