Chanukka; Deutschland 1944

Hymne zum Thema Apokalypse

von  kirchheimrunner

Verjagt nicht die Krähen von meinem Grab
Sie sprechen davon
nach all dem noch ein Mensch zu sein.

Denn das Blau dieser Nacht
wirft alle Sterne seines Himmels
in das  Grau des Nebels
der von den Gräbern hochsteigt
um zusammen mit den Seelen über den Bäumen zu ruhen
im großen Schweigen
der rauchenden Schlote
turmhoch waren sie wie Babel
dem Himmel nahe
aber ohne die Sprache der Menschen
und sie sangen wie die Engel
als sie zu Asche brannten
und als Wolke ihrem Gott entgegen zogen.

Dort aber
In seiner Nähe
fanden sie Öl
ein paar Tropfen nur
aber es brannte wie durch ein Wunder
acht Tage lang.

Nie zuvor kannte der Himmel die Erde
nie zuvor die Erde einen Himmel
nie zuvor
und nie danach.


Ich weiß
alle reden davon
dass es nicht gut ist
nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben
Es zu schreiben
ohne sich zu schämen.

Aber
hast du nie die Tiefe des Meeres ausgelotet?
Mit einem Wort
einem Gedicht?
Hast du den Anker geworfen
ihn sinken lassen bist zum Grund?

Von dort unten hörte ich ihre Schreie
Sie riefen in der Nacht

Segelt zum Land hin
riefen sie
fahrt zur Küste
im Hafen wartet der Tod

Für sie aber
brannten die Lampen
des Leuchters immer noch.


Anmerkung von kirchheimrunner:

Chanukka (חנוכה, Weihefest) ist ein jüdisches Lichterfest. Es beginnt am 25. Tag des Monates Kislew (November / Dezember) und dauert 8 Tage. Chanukka erinnert an die Wiedereinweihung des zweiten jüdischen Tempels in Jerusalem im jüdischen Jahr 3597 (164 v. Chr.) nach dem erfolgreichen Makkabäeraufstand der Juden Palästinas gegen hellenisierte Juden und makedonische Syrer, wie er im Ersten Buch der Makkabäer und auch im Talmud überliefert ist. Die Makkabäer besiegten das Seleukidenreich, beseitigten den im jüdischen Tempel errichteten heidnischen Altar und führten den jüdischen Tempeldienst wieder ein. Im Johannes Evangelium wird berichtet dass Jesus bei einem Chanukka – Fest, ein Jahr vor seiner Kreuzigung, teilnahm. (Joh. 10,22).
Laut einer talmudischen Lehre hat sich Öl für nur einen Tag gefunden; durch ein Wunder hat das Licht jedoch acht Tage gebrannt, bis neues geweihtes Öl hergestellt worden war. Daran erinnern die acht Arme des Chanukka-Leuchters (mit einem gesonderten neunten Arm), jeden Tag wird eine Kerze mehr angezündet, bis am Ende alle acht Kerzen leuchten.

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Kommentare zu diesem Text


 Füllertintentanz (15.01.06)
Dieser Text ist ein ganz wunderbares Mahnmal. Ich stelle mir hier einen alten Mann, der mit stark erhobener Worte all deine Worte während einer Gedenkfeier spricht. Diese Worte gehen unter die Haut. Die Passage mit dem Blau der Nacht finde ich besonders eindrucksvoll. Ein wirklich starkes Gedicht! LG, Sandra

 kirchheimrunner meinte dazu am 15.01.06:
Sandra, ganz herzlichen Dank für deinen Kommentar. So, wie du es interpretiert hast; - so war auch meine Intension: Ein alter Mann spricht ein "Kiaddisch"; ein Gebet für seine verstorbenen Verwandten.
Es sollte auch ein Gedenken an den Holocaust sein...

 Theseusel (15.01.06)
Ich weiß nicht genau, ob es Paul Celan selbst war, der im Zusammenhang mit der "Todesfuge" sagte:"Nach Auschwitz" ist keine schöne Poesie mehr möglich..." Dein Gedicht ist voller trauriger und schöner Poesie! Es hat große Freude gemacht es zu lesen - danke! Liebe Grüße, Gerd

 kirchheimrunner antwortete darauf am 15.01.06:
Hallo Gerd,

Ich zitiere Günter Grass:
Theodor Adorno steht als Verbotstafel im Wege. Ich zitiere: "Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben ist barbarisch, und das frißt auch die Erkenntnis an, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben ... "

Nun, gerade Paul Celan und Ingeborg Bachmann und last but not least Nelly Sachs (die ich alle sehr vereihre) haben gezeigt:
Nach Auschwitz muss man Gedichte schreiben..
Ich danke dir ganz herzlich für dein Interesse an meinem Text...

 Anyango schrieb daraufhin am 17.01.06:
Auch Adorno revidierte seine Aussage nachdem Paul Celan die Todesfuge geschrieben hatte: "Das perennierende Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck, wie der Gemarterte zu brüllen; daher mag es falsch gewesen sein, nach Auschwitz ließe sich kein Gedicht mehr schreiben."
(aus "Negativen Dialektik")

 kirchheimrunner äußerte darauf am 17.01.06:
Die Todesfuge ist überhaupt "das Gedicht nach Auschwitz". Ich glaube, dass Adornos Aussage wichtig war und Celans Todesfuge. Beides zusammen. Die menschliche Sprache hat über das Unaussprechliche gesiegt. Und das ist überhaupt wichtig.
Dieter Wal (58)
(06.04.13)
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 Dieter_Rotmund (27.02.20)
Die Anmerkung gerne gelesen, mit dem Rest kann ich nichts anfangen und auch überhaupt nicht in Bezug zur Anmerkung setzen. Ist der Text nicht vielleicht ein bisschen arg verschlüsselt? Hmm? Nur so als Gedanke.
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