andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 04. November 2010, 06:25
(bisher 7.222x aufgerufen)

Intelligent?

Es gibt Begriffe, die zwar ständig benutzt werden, die aber keine einheitliche Bedeutung haben. Oder anders ausgedrückt: jeder Mensch versteht etwas anderes, wenn so ein Begriff fällt, obwohl alle meinen, dass sie das Gleiche verstünden.
Im kleinen Rahmen passiert das selbstverständlich in jeder Kommunikationsform, denn sie ist nur der Versuch einen gemeinsamen Code für die Vorgänge im Gehirn zu finden. Mehr sogar: Sprache formt nicht nur Gedanken in Worte, sie ordnet und strukturiert sie auch, beeinflusst das Denken und formt den Geist. Ohne Sprache könnte von einem menschlichen Verstand keine Rede sein.
Sprache wird über viele Jahre gelernt und dabei dienen nicht Lexika als wichtigste Informationsquellen, sondern die Menschen aus dem Umfeld. Auch Radio, Fernsehen, Bücher und die Ausbildung spielen eine bedeutende Rolle. Nur so kommen Wörter, Floskeln und Dialekte in die Köpfe – und natürlich die Wortbedeutungen. Wundert es da, dass es gewisse Abweichungen gibt?
Kommt jetzt noch als Faktor das Gefühl oder eine allgemein schlampige Wortbenutzung hinzu, so scheren die Bedeutungen noch weiter auseinander. Ob jetzt “Liebe“, “Intelligenz“, “Glück“, “Leben“ oder was auch immer, kaum einmal meinen zwei Menschen das Gleiche.
Seltsamerweise fällt das selten auf und das liegt daran, dass gar nicht überprüft wird – oder überprüft werden kann – ob das Gegenüber das Gleiche meint. Wie auch, wenn doch Liebe das stärkste positive Gefühl meint, das ein Individuum empfinden kann? Man bedenke: als Vergleichsobjekt steht immer nur die eigene Person zur Verfügung. Wie sollen unter solchen Bedingungen Unterschiede auffallen?
Deutlicher wird das beim Thema “Intelligenz“, denn hier wird schnell deutlich, dass der Begriff oft als Synonym für Pfiffigkeit, Klugheit oder Bildung benutzt wird. Manchmal ist es auch nur eine nebulöse “Schlauheit“, die gemeint ist. Und in einigen Teilen der Welt gilt die Mär, dass Intelligenz auf den Punkt genau zu testen sei (was bedeuten würde, dass sie immer gleich sein müsste, nicht beeinflussbar wäre und objektiv gemessen werden könnte) und sich darum als Zulassungskriterium für Schulbildung eignen würde. Definiert ist sie aber auch dort nicht näher, was nichts daran ändern wird, dass diese Welle auch nach Deutschland schwappen wird.
Wer nach einer geeigneten Definition von Intelligenz sucht, wird gewisse Schwierigkeiten haben, denn selbst Lexika geben sich sperrig. Die Medizinwissenschaft redet sich ein wenig heraus, Geisteswissenschaften sprechen gerne von Potentialen oder Talenten, bei Ingenieuren wird es als flexible Funktionalität übersetzt und in der Biologie ist nur die Fähigkeit zu lernen gemeint (kompliziert ausgedrückt: die Plastizität im Dispositionsgefüge des Gehirns). Wenn jetzt aus einer Fachrichtung eine neue Wortschöpfung mit der Einbindung “Intelligenz“ kommt, ist das Missverständnis vorprogrammiert.
Nehmen wir doch einfach mal die “kollektive Intelligenz“, die auch als “Schwarm-Intelligenz“ bekannt geworden ist. Nicht nur Science Fiktion AutorInnen neigen da zu wilden Spekulationen, auch bei gestandenen ForscherInnen gehen leicht die Gäule durch. Manch ein Utopist sieht hier den Beweis für die Überlegenheit der Demokratie oder will alle wichtigen Entscheidungen durch Abstimmungen gelöst sehen. Andere interpretieren das Thema in eine unabänderliche Wahrheit oder fantasieren eine eigene Wesenheit in Gruppen hinein, als wenn eine Masse Persönlichkeit entwickeln könnte.
Aber warum wurde der Begriff “kollektive Intelligenz“ überhaupt gewählt und wer hat den Begriff geprägt? – Die Biologen natürlich, die damit eine ungewöhnliche Form des Lernens beschreiben wollten, die erstens den Durchschnitt der Varietäten bevorzugt (was meint, dass oft die Möglichkeiten recht gleichmäßig vom Ideal streuen und darum der Schnitt wieder das Ideal erreicht) und zweitens eine logische/ideale/pragmatische Entwicklung unterstützt (wenn genügend Versuche erfolgen).
Gemeint ist also, dass sich durch “Versuch und Irrtum“ oder durch “Häufung des Richtigen“ (eine Art der evolutionären Entwicklung) auch das Gruppenverhalten beschreiben lässt. Ein Bewusstsein ist dafür nicht erforderlich und Verstand oder Klugheit können nicht geschlussfolgert werden. Stattdessen ist eine zweckgebundene Logik gemeint, die sich bei Gruppen (Schwärmen) durchsetzt, was beeindruckende Verhaltensweisen bei Mensch und Tier erklären kann … und entzaubert. Trotzdem scheinen selbst “intelligente“ Menschen dazu zu neigen, eine höhere Intelligenz anzunehmen.
(als Beispiel der beliebte Ameisenversuch: für einen Ameisenstaat gibt es zwei Wege zum Futterplatz, einen kürzeren und einen längeren. Obwohl Ameisen kein Verständnis für Entfernungen haben, wird recht schnell der kürzere Weg favorisiert. Warum? – Das liegt nicht an einer aufaddierten Intelligenz der Ameisen, sondern an den angeborenen Eigenschaften: Ameisen folgen dem Weg, auf dem die meisten Ameisen eine Spur hinterlassen haben, der also intensiver riecht. Und bei einer zufälligen 50:50 Verteilung hinterlassen auf dem kürzeren Weg mehr Ameisen ihren Geruch, wodurch dort wiederum mehr Ameisen unterwegs sind, um ihren Duft zu hinterlassen. – Das ist Mathematik und bestenfalls ein Thema für die Chaosforscher, aber keine Intelligenz!).
Trotzdem wird es vermutlich immer zu Missverständnissen kommen. Fachbegriffe und Gruppenbedeutungen wird es weiterhin geben und sie werden auch immer den Weg zu den Massen finden. Und ohne nähere Erklärung werden Schrippen, Micken oder Semmeln nicht als Brötchen identifiziert, Intelligenz wird weiterhin für Klugheit stehen und die eigene Liebesfähigkeit gilt natürlich global für jeden Menschen.


Interessante Links zum Thema “kollektive Intelligenz“:
  Auszug aus einem interessanten Buch
[exturl=]Wikipedia[/exturl]

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dieter Wal (12.04.11)
Lieber Andreas,

danke für deine Mitteilung zum Thema. Du findest in Eysencks Die IQ-Bibel eine bestens lesbare Zusammenfassung bis zur aktuellen weltweiten Intelligenzforschung. Daher empfehle ich dir wärmstens das Buch. Außerdem möchte ich dich bitten dich MinD (mensa.de) anzuschließen, falls du noch nicht dabei bist. Ferner lernte ich Heinz Hector, einen IQ-Forscher näher kennen und schätzen. Er forschte vor allem in Schweden während der Nazizeit am Thema und war mir in meiner Jugend immer gern behilflich. Der schreibt übrigens begnadete Prosa. Hab so ziemlich alle seine Schriften hier. Bei Interesse, bitte melde dich.

Herzlich
Dieter
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram