KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Mann im Dunkel
207. Kolumne
Meine Verabschiedung 14.7.2010
Es war Mittwoch, der 14.7.2010, der Tag der Zeugnisausgabe vor den Sommerferien. Ich verließ Bonn an meinem letzten Schultag viertel nach 9 mit dem Auto und fuhr auf die Autobahn nach Meckenheim, dann über die Landstraße nach Rheinbach. Ich nahm nicht die Umgehungsstraße, sondern durchquerte wie in den ersten Jahren meines Schuldienstes die Stadt. Dann gings es durch den Rheinbacher Wald und über Flamersheim und Kirchheim, an Kirspenich, Arloff und Iversheim vorbei nach Münstereifel. Gegen 10 Uhr war ich am Parkplatz oben an der Burg.
Im Lehrerzimmer gaben mir Frau Rubeck, eine Referendarin, mit der ich im letzten Jahr zusammen mit dem Kollegen Mombaur in Berlin war, und der neue Kollege Alexander Jaquinet, der als Referendar mit mir viele fachliche Gespräche im Computerzimmer suchte, absichtlich vor der Verabschiedung ein kleines Geschenk: Paul Austers neuen Roman „Mann im Dunkel“.
Vor der Dienstbesprechung um 11 nahm ich Abschied von der Schulstadt, die mich so oft an Neuenbürg im Enztal erinnerte, wo ich 1959-1964 auf das Gymnasium ging. Bernhard Langner und Marie-Cécile, die junge französische Kollegin und ihr 18-jähriger Bruder aus Versailles begleiteten mich. Wir gingen zum Orchheimer Tor und stiegen auf Treppen zum Wehrgang der Stadtmauer, die sich an den steilen Hang schmiegt, und erreichten bald den höchsten Punkt, die Ecke der Stadtmauer, von der man die ganze Stadt überblickt. Unten liegt das St. Michael-Gymnasium, daneben die Jesuitenkirche. Davor fließt die Erft durch die Stadt zum Werther Tor, eingefasst von ziemlich hohen Ufermauern. Kleine Brücken wölben sich über den kleinen Fluss. Wir steigen unter der hochsommerlichen Sonne hinunter in die Mitte der Stadt und gehen betreten die kühle, schattige Stiftskirche St. Chrysanthus und Daria, eine romanische Basilika aus dem 11. Jahrhundert.
Als wir um 11 das Lehrerzimmer betraten, lief die Dienstbesprechung zu unserer Überraschung schon eine Viertelstunde. Man hatte mich schon über die Lautsprecheranlage suchen lassen. Gerade wurden die Kollegen verabschiedet, die nur für eine kurze Dauer am Gymnasium unterrichteten.
Um 11:10 war ich dran. Eine Gruppe von Elfern, die ich zuletzt unterrichtete, kamen ins Lehrerzimmer mit einem Transparent, auf das viele Schüler ihren Namen geschrieben hatten. Außerdem stand in großen Lettern geschrieben: ... EINE GANZE SCHULE WEINT. Die Schüler sagten abwechselnd ein paar gute Worte über mich und wünschten mir alles Gute für meine neue Lebensphase. Kollege Martin Bröckerhoff, gleichsam unser Schulphotograph, schoss einige Bilder mit mir und den Schülern, die das Transparent hochhielten.
Dann hielt der Schulleiter eine überraschend gut vorbereitete, ausführliche Rede und zitierte aus einigen Dokumenten meiner Dienstzeit. Neft erwähnte insbesondere meine Theaterarbeit, meine Lesung mit der Schülerin Katrin Stange in der Aula, die die Kollegen Berit und Florian Hausotter im April 2004 unter dem Titel WORTSCHERBEN organisiert hatten, er erwähnte auch meine schriftstellerische Arbeit und die Literaturzeitschrift DICHTUNGSRING, die ich mit anderen Bonner Autoren herausgebe. Das war endlich mal eine Rede ohne Phrasen (... er hinterlässt Spuren...).
Mein Kollege Wolfgang Schneider-Kroll erinnerte in seiner Rede an den Kollegiumsausflug an die Lahn und auf der Lahn Ende der 90er Jahre. Die anekdotisch ausgefeilte Erzählung charakterisierte mich und den Redner selbst als zwei Intellektuelle, die an der Natur scheiterten, als sie versuchten, mit einem Canadier auf der Lahn zu paddeln – zwei Mal kenterte das Boot, weil die Insassen ihr Gleichgewicht verloren. Sie fielen ins Wasser, als sie das sich schließende Schleusentor schrammten, ein zweites Mal schafften sie den Sturz ins Wasser ohne weitere Komplikation. „Wir verließen schwimmend die Mitte des Flusses“, so heißt es in der Rede, „Bergmann und ich fanden uns am falschen Ufer – kein Pfad, unwegsames Gelände – und hier im zivilisationsfreien Raum bemerkt Ulrich Bergmann, dass er nur noch einen Schuh trägt, der andere liegt ja im Schleusengrund – und er wirft ihn in einer großen Geste wie der König von Thule seinen Becher ins Meer seine Schuhe in die Lahn. Diese Geste baut ihn – und mich gleich mit – vor den in Reih und Glied im nahezu stehenden Gewässer in schmalen Booten verdattert sitzenden Kollegen zum Helden auf. Wir genießen zunächst den großen Moment auf unserem Heldenplatz, ermannen uns schließlich, steigen erneut ins Wasser und gewinnen das andere Ufer. Die Lahn war warm. Dort ist Zivilisation, geteerter Gehweg – Skater, Radler, Jogger überholen uns, kommen uns entgegen, wir durchnässt, barfuß, in Unterhosen, reden über den „Zauberberg“... Kurzum, wir trafen ein in dem verabredeten Biergarten mit Hallo, Applaus und mit Photoapparaten begrüßt. D. h. die Kollegen sahen in uns mittlerweile keinesfalls Gescheiterte. Und ich glaube, sie sind auch heute noch ein bisschen neidisch auf dich. Im „Zauberberg“ ... wird erzählt, wie Hans Castorp das Sanatorium zu einer ihn irritierenden Bergwanderung verlässt und an der Vegetationsgrenze Zeuge einer archaischen Szene wird: Zwei Schweizer, nein, nicht Bergsteiger, Eingeborene, Autochthone, Ureinwohner, kommen von einem Abstieg und stehen sich gegenüber, wollen, müssen sich trennen, verabschieden sich und sagen einander: Leb wohl und hab Dank!“
Axel Gehring zitierte in seiner Rede den leicht veränderten, auf mich umgemünzten Schlussmonolg des Puck in Shakespeares „Sommernachtstraum“ - damit wollte er mir sagen, dass ich die Schule wie eine Bühne verlasse und oft zwischen Realität und Traum pendelte.
Dann überreichte mir Anne Schorrlepp die Geschenke des Kollegiums im Namen des Lehrerrats: Eine Art Card für zwei Personen für die Bonner Bundeskunsthalle und das Kunstmuseum, dazu einen Bildband mit Gerhard Richters Porträtmalerei.
Zuletzt kam Walter Stein als Abgesandter der „Biologie“ und übergab mir mit ein paar Abschiedsworten (du wirst uns fehlen) einen riesigen, einmeterhohen Umschlag mit den Unterschriften der Biologie-Kollegen, und darin stand der Satz: „Dem Wanderer zwischen den Welten...“
Kurz vor 12 trug ich mein Abschiedssonett „Vor dem Danach“ vor. Das war's. Ich setzte mich nachher noch mit Anne und Axel auf die Holzbank im Schulhof, halb zwei fuhr ich nach Hause.
Ich (Es) wurde nicht einen Moment lang sentimental, und das war mir sehr lieb. Das war ein schöner, runder Abschied.
Vor dem Danach
So fängt die nächste Stufe an, du denkst,
Du schaukelst deine Zukunft so wie immer,
Dein Leben wird auch morgen noch nicht schlimmer,
Du weißt genau, wie du dich sicher lenkst.
Es gibt so vieles, was du gut verdrängst.
Auf einmal bist du doch im letzten Zimmer.
Von dem Danach hast du noch keinen Schimmer.
Kaum spürst du, wie du deine Zeit verschenkst.
Was tun? So weiterleben wie bisher?
Das geht nicht gut, wenn wir mal ehrlich sind.
Die neuen Ziele sind schon aufgerufen.
Die Fragen wiegen weiterhin sehr schwer
Und keine Antwort treibt vorbei im Wind.
Ich suche meinen Weg zu neuen Stufen.
Ulrich Bergmann
Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag
Ansonsten eine "Autohagiographie", würde ich sagen...? Nix für ungut, herzlichen Glückwunsch, wir alle haben irgendwann mal die Schule verlassen dürfen...müssen...können.
Ich wünsch Dir für die Nach-Schul-Zeit alles Gute, einen kreativen Geist und ein waches Händchen (oder umgekehrt). Liebe Grüße, Brigitte.
BrigitteG: Zu bedenken: Nicht nur meine Schüler sind ironiefähig... Dank für deine guten Wünsche!
nach meiner Uhr ist es immer noch der 14.7., Frankreich jubelt, Bergmann geht von Bord und wir haben gerade mal mittag. D.h. am nächsten Freitag in der Matratzenkolumne will ich wissen was es zu Essen gab und welche Tischreden gehalten worden sind, was während der Siesta geträumt wurde und dann ob es auch vergammelten Käsekuchen gab an dem vielleicht Bläckys Hund genascht haben könnte, welcher samt Herrchen ja möglicherweise auch gen Exbergmannshausen gewalfahrtet ist? Naja und dann wartet ja noch der Abend. Das Nachtmahl und die ehelichen Freuden von der man sich ja am Verabschiedungstag nicht auch gleich verabschieden muss. Kurzum: ich plädiere bis zum Jahresende für Klomunen, die sich ausschließlich mit dem 14.7. beschäftigen. Danke.
Bevor ich es vergesse: Machs Licht an.
Gruß
Lala