KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
(bisher 4.462x aufgerufen)
Über Ich
227. Kolumne
Jan Neumeier: Das Vertrauen stellt den, der vertraut, und den, dem vertraut wird, generell auf eine Stufe. Wer vertraut, fürchtet sich nicht. Kontrolle aber geschieht aus Furcht. Das ist ihre große Schwäche: sich ihre Feinde nicht vom Hals schaffen können, weil sie nicht vergeben kann. Ein Staat des Misstrauens kann sich nicht durch das Vertrauen seiner Bürger schützen. Vertrauen ist eine positive, Kontrolle eine negative Möglichkeit, eine Gesellschaft zu ordnen. Je mehr Vertrauen es unter ihren Mitgliedern und zwischen Regierenden und Regierten (die man in einem positiv utopischen Staat übrigens auch nicht mehr zu unterscheiden brauchte) gibt, desto weniger Kontrolle benötigt sie, und umgekehrt. Eine Utopie kann man nicht ohne Hoffnung angehen, und ich meine, daß die Welt, wenn sie hofft und ihren Utopien nachstrebt, nicht nur eine „kleine Chance besitzt davonzukommen.“ (Dürrenmatt, Die Physiker)
Matthias Kohnen: Sind wir wirklich verloren? Müssen wir uns damit abfinden oder könnte ein neuer Gedanke gedacht werden, der über Dürrenmatts Aussagen hinausgeht?
Klaus Reinhard: Ich bin einzigartig auf der Welt. Ich bin zwar nur ein Stäubchen unter Milliarden, aber ich bin auch riesig groß. Ich bin nur ein kleines Rädchen in der Gesellschaft, und doch bin ich eine eigene Maschinerie. Ich lebe ein eigenes Leben in einer eigenen Welt. Ich bin wie ein Tröpfchen in einem großen, reißenden Fluß. Aber auch wenn ich nicht mit den vielen anderen Tröpfchen fließen würde, wäre der Fluß groß und reißend. Also warum bin ich dann? Ist es Zufall, daß ich bin? Absicht? Ich weiß es nicht.
Christian Panter: Ich habe eine Identität. Viele Menschen kennen mich, aber nur wenige dringen tiefer als bis zum äußeren Wall, den jeder um sich herum aufbaut. Ohne diesen Wall hätte man es wahrscheinlich leichter, alle Schwächen und Stärken des anderen kennenzulernen. Aber ich muß mich auch in Systeme einordnen. Ich muß lernen, den Begriff Wir zu praktizieren. Dabei habe ich sehr viele Rollen zu erfüllen, aus denen ich oft ausbrechen möchte, um mich einmal im Leben richtig frei und ungebunden zu fühlen. Doch weiß, daß diese Freiheit eine Utopie ist. Denn ich bin auf andere angewiesen. Wer vermittelt mir dann Wissen? Wer schafft meine Lebensgrundlage? Wem kann ich vertrauen? Der Mensch verzichtet lieber auf diese Art von Freiheit. Ich bin einmalig auf dieser Welt und kein Serienprodukt made in Germany. Ich bin ich. Aber warum bin ich Christian Panter und nicht ein anderer? Hat vielleicht Gott etwas damit zu tun?
Jochen Schumann: Was bin ich oder gedenke ich zu werden? Vielleicht ein kleiner Napoleon... denn ich besitze einige gute, von Gott geschaffene, und einige schlechte, von dem Teufel geschaffene Eigenschaften. Ich bin arrogant wie Napoleon, mein Wahlspruch lautet: Alles dem, der es verdient. Ich bin rücksichtslos, das habe ich von meinem Vater oder vom Teufel. Ich bin intelligent, das sagen alle, Lehrer, Eltern usw., nur habe meine Intelligenz bisweilen einen Nachteil: Ich versuche immer mit einem Boot zu fliegen und mit einem Flugzeug zu schwimmen. Eine der Gaben, die ich von Gott oder meiner Mutter habe, ist: Ich weiß auf alles oder nichts eine Antwort oder Ausrede. Was ich noch sagen wollte: Ich lebe gern und bin froh, daß ich so bin wie ich. Kurz und gut, ich liebe mich... Ich werde mein Dasein auf der Erde genießen, bis der liebe Gott oder der liebe Teufel mich holt...
Ute Licher: Ich weiß manchmal nicht, was ich mit meinem Ich anfangen soll. Es läuft einfach in das Lebensleben hinein und nimmt den Trakt des Ablaufs auf, wie er kommt. Wenn ich dagegensteuern will, kommt es vor, daß ich arrogant und vorlaut werde. Und das ist gar nicht meine Absicht.
Anne Ankermann: Ich kehre in mich selbst zurück und finde eine Welt, die noch nicht so verseucht ist wie meine Umwelt. Die Welt in mir ist noch echt, noch authentisch und spontan. Doch meine verseuchte Umwelt ist auf dem besten Wege, auch noch dieses Stückchen Natur zu zerstören. Es liegt wohl an mir, ob ich mich zerstören lasse oder nicht. Mein Herz sagt mir nun: Tu etwas, hilf diesen Menschen, ihr Paradies wiederzufinden! Doch mein Verstand sagt mir: Ich kann nichts tun. Jeder Mensch muß sich selbst helfen und sich der Zerstörung widersetzen. Meiner Meinung nach ist dies der Beitrag der Menschheit für eine bessere Welt.
Conny Karmann: Kenne ich mein eigenes Ich vielleicht gar nicht selber? Doch... aber es bleibt in mir verborgen, weil ich ein Ich spiele, wie die Umwelt es verlangt. Ich spiele verschiedene Rollen. Zu Hause bin ich eine freche Göre, die sich von den Eltern nichts sagen lassen will und keinen Rat befolgt, nur immer die Hand aufhält. In der Schule glaubt mein Rollen-Ich, alles besser zu können als die anderen. Ich bin dann die sprichwörtliche Neunmalkluge... Ich möchte mein Ich versteckt halten, damit es mir nie verloren gehen kann.
Ron Winkel: Ich, der ich nur für die Gesellschaft da bin, brauche kein eigenes Ego, für mich zählt nur die Gemeinschaft. In unserem Staat diene ich eigentlich nur mir selbst. Ich habe zwar ein eigenes Ich, aber das ist nicht absolut. Andererseits gilt: Die Gesellschaft baut auf den Einzelnen auf, ohne die Einzelnen gibt es keine Gesellschaft.
Fatima Schumacher: Eine Flucht in eine schönere Welt. Für alle ist der Traum eine zweite Wirklichkeit.
Sandra Wetzel: Das ist doch eigentlich das Schöne am Traum, daß dort alles möglich ist. Man kann den Traum als Wirklichkeit für den Träumenden bezeichnen. Im realen Leben dagegen hält die Wirklichkeit, ob sie schön ist oder nicht, immer an.
Kevin Kunze: Ich behaupte, daß man ohne den Traum nicht leben kann! Der Mensch muß sich in eine andere Wirklichkeit flüchten können. Für uns ist der Traum die zweite Wahrheit. Sind Träume Schäume? Fest steht jedenfalls, daß Träume zu unserem Leben gehören wie die Nahrung. Der Traum ist die einzige Möglichkeit, daß der Mensch, ohne es zu wissen, ein Zwiegespräch mit seinem Gewissen führt.
Aus Aufsätzen der 9. Klasse eines Gymnasiums
Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag
(10.12.10)
Zu meiner Zeit wurden in der Oberstufe sog. Besinnungsaufsätze geschrieben - eine Steilvorlage für rhetorisch Geübte. Heute dominieren Textinterpretationen. Lothar
Jörg Sander sticht meiner Meinung nach etwas heraus, der einzige, der halbwegs schonunglos ist.
Aus Andreas Kappes ist, auch ohne Dürrenmatt, später immerhin ein bekannter, wenn auch nicht ganz unumstrittener Radrennfahrer geworden....
Hzlst, Uli