KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Flache Gewässer
225. Kolumne
Karin Beier inszeniert drei Stücke von Elfriede Jelinek im Kölner Schauspiel
Die drei (zusammenhängenden) Stücke DAS WERK / IM BUS (UA) / EIN STURZ (UA) von Jelinek sind ein Festspiel. Eine Mischung aus Oper, weltlichem Oratorium, Slapstick und Zirkus, ein bisschen à la Stemann (Regisseur des letzten Jelinek-Stücks in Köln: DIE KONTRAKTE DES KAUFMANNS), nolens volens stellenweise gewürzt mit Pina-Bausch-Reminiszenzen. Großartige Schauspieler und gewaltiger Chor. Der Text - wie die Inszenierung - polystilistisch, die sprachliche Palette reicht von „Arschloch“ über schwache und intelligente Kalauer bis hin zum spielerisch-ironischen Pathos der antiken Tragödie. Das Ganze ohne herkömmliche Handlung, aber dafür Denken als Action, Wasser und Erde werden permanent personalisiert und apostrophiert. Die Bühne ist eine Rumpelkammer der Metaphern, aber es ordnet sich alles im Hirn des aufgeräumten Zuschauers, der im Karneval der Kritik an der Unfähigkeit des Menschen mitfeiert. Die Prämissen der Unvernunft werden bloßgelegt; hier ist es der unverantwortliche Klüngel der Kölner Politiker und Stadtbeamten, die allesamt Büttenredner sind, dumm und bestechlich. Und so endet dann alles in Wasser, Schlamm und Staub. Vom Schnürboden fallen Schwaden von feinem Sand, der Himmel weint Tränen aus Erde, die Erde fällt, Symbol des Einsturzes; auf dem Bühnenboden steigt das Wasser, in dem die Erde fast ertrinkt: Eine nackte Frau, die vergewaltigt wird von der Macht der Liebe, die Leiber überschlagen sich, das Triebpaar dreht und quirlt flügelschlagend über die Wasserfläche.
Die Regisseurin bringt immer wieder Slapsticks: Die Not mit dem fließenden Wasser, das die Erde aushöhlt und zum Sturz bringt, erscheint als moderne Variante des Zauberlehrlings.
Und so fort. Das Theater unterhält Geist und Seele, es bleibt aber - wie eigentlich immer - ganz bei sich. Es hat, trotz aller aktuellen Bezüge (Staudammbau in Kaprun 50er Jahre, Sturz eines Busses in ein Erdloch und Einsturz des Kölner Stadtarchivs) etwas Elfenbeintürmiges, weil sich das Spiel immer wieder verselbständigt, lustvoll zur Spielerei degeneriert... Aber WIE! Das muss man gesehen haben. Da feiert sich das Theater mit allen Tricks und Gags, ja es ist die Fortsetzung der Wirklichkeit mit allen Mitteln. Der Schluss des ersten Teils - DAS WERK, das auch den Titel DAS WASSER tragen könnte - ist die Apotheose des Sprechtheaters als Sprechchor mit Soli in verschiedenen Formationen im Wechsel von Tutti und Soli - ein Konzert der Stimmen!
„Ein immenses Aufgebot an Stimmen“, schreibt die taz, „das in eindrucksvollen Tempowechseln lautmalt und Textbrocken staccato spricht. Der Abend kommt hier, Einar Schleef lässt grüßen, künstlerisch zu seinem Höhepunkt, entwickelt eine Bannkraft, die er danach nicht mehr erreicht. Theatrale Form und die Kunstsprache des Textes gehen eine kongeniale Verbindung ein.“
Das Ganze ist wieder mal sehr lang. Zwei Stunden vor der Pause, eine Stunde nach der Pause. Weitere Striche täten dem geistigen Körper gut. Jelineks Libretto lebt sich in der Ungeheuerlichkeit unzähliger Wiederholungen und Varianten allzu schwelgerisch aus.
Julia Wieninger spielte wieder mit, wie schon in der Bonner Ära Eschberg. Ich erinnere mich an die Uraufführung von „Krankheit oder Moderne Frauen“. Ich erinnere mich auch an eine der furiosesten Inszenierungen, die ich je sah: KRIEG von Rainald Goetz in der Beueler Halle. Stück und Inszenierung waren da konziser als Jelineks Libretti. Die leben erst auf der Bühne. Karin Beier wurde zur Co-Autorin, ihr gelang trotz aller überzogenen Spiele im Rausch des Schauspieldirektors ein guter Abend, an dem die Dialektik von DELECTARE ET PRODESSE rheinisch aufgehoben wurde.
Ulrich Bergmann, 24.11.2010