KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Samstag, 20. August 2011, 21:04
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Rossini, Rossini

269. Kolumne

Rossinis BARBIER ist vielleicht die Krönung aller Opern der extremen Lebensfreude, das erste Finale ist so umwerfend wie kaum sonst ein anderes. Rossini hat die Maschinenmusik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorweggenommen – im Belcanto-Stil. Rossinis Musik ist Unterhaltung auf allerhöchstem Niveau, man braucht da gar keine tiefen Inhalte. Es ist Rausch-Musik, wie sie Mozart in Cosí fan tutte und in Figaros Hochzeit und Don Giovanni vorbereitet hat (dort mit viel mehr Inhalt, insofern ist Mozart der Größere, und wenn ich in meinen nächsten Mozart-Rausch zurückkehre, wird er wieder der größere Gott für mich sein). Rhythmisch ist Rossini Mozart überlegen, an seinen Rhythmen ist der gute Rossini später erstickt, er ist nicht nur wegen Gonorrhoe in eine Krise als Künstler geraten, sondern weil ihm die Weiterentwicklung im Bereich der opera seria nicht so glückte, wie er wollte. Der TELL war der letzte Versuch, der rückblickend besser gelang, als er glaubte. Die Belcanto-Register hatte Rossini vollständig ausgereizt, da wollte er sich nicht wiederholen – zumal die eigene Lebensstimmung nicht mehr zur Musik passte. Es war ihm nicht vergönnt, die Hochstimmung, die er bis zu seinem 36. Lebensjahr erlebte, fortzusetzen. Ich bin sicher, er hätte seine künstlerische Krise besser gelöst, wenn er unter heutigen medizinischen Bedingungen hätte leben können. Rossini hat nach 1829 keine Oper mehr geschrieben, aber doch einige kammermusikalische Kompositionen und geistliche Musik versucht; darunter ist manches recht originell, wenn auch weit unter dem Niveau der deutschen Konkurrenten seiner Zeit. Er durfte erleben, dass seine Opern bis zu seinem Tod (und darüber hinaus) auf den Spielplänen aller bedeutenden Opernhäuser etabliert waren. Das Beste – in der Tat aus seinen jungen Jahren – überlebte alle Moden und Zeiten. Das Festival in Wildbad ist für mich der beste Beweis: Nicht nur das Publikum (das relativ alt ist), sondern vor allem die sehr jungen, aufstrebenden Sänger können mit Rossinis Kunst und mit dem Witz des Belcanto viel anfangen. Das ist Lebensbejahung – und genau das ist der Punkt: Deswegen lieben wir diese Musik, die so wunderbar dahinfließt und die Tiefen des Lebens in leichteren Formen aufhebt – im doppelten Sinn des Wortes. Ich glaube, das war Rossini gar nicht so klar. Er strebte nach Höherem, dabei war seine Kunst schon ganz oben, jedenfalls nach den Kriterien des intelligenten lustigen Spiels.
In einem gewissen Sinne sind Wagners Opern jenseits (oder diesseits) aller Inhalte ebenso unterhaltsam wie Rossinis. Es fällt mir überhaupt nicht schwer, mich in Wagners tonnenschweren Noten wohlzufühlen wie in den milligrammleichten Takten Rossinis, denn die Gewichte relativieren sich in unseren Ohren, und so werden Rossinis rhythmische und melodische Ströme schwerer, weil sie sich in eine starke Währung des Glücks verwandeln, während Wagners unendliche Melodien leicht werden, weil sie die Freiheit des Menschen meinen – und das entspricht der Lebenslust Rossinis. Beide bedingen einander, beide Sichtweisen passen zusammen, indem sie sich ergänzen.

DER ROSENKAVALIER gehört im Zusammenhang mit Rossini zum Feinsten in der Opernliteratur. Hofmannsthal hat das Libretto für eine Oper geliefert, die das Dramma giocosa neu belebte, die Synthese des Komischen und Tragischen. Das gilt auch für die Musik, die Nachhut und Avantgarde vereinigt. Gut, ELEKTRA ist moderner, kühner. Aber das ist ein anderes Projekt. Richard Strauss war künstlerisch begabter, ein Schicksal wie das Rossinis zu vermeiden. Ihm gelangen bis zum Ende seines Lebens große Werke, obwohl auch er in der Oper das Wichtigste in der Mitte seines Lebens erledigt hatte. CAPRICCIO ist weder eine Neuerung noch ergreifend. Aber die METAMORPHOSEN für Streicher und die VIER LETZTEN LIEDER sind kompositorische Apotheosen. Ich schätze Richard Strauss immer mehr, je älter ich werde.

Mit Liszt tu ich mich schwerer. Ich verachte ihn nicht, ich schätze manches, erkenne ihn auch als Spieler und latenten Neuerer an, aber die Musik schmettert mich nicht so sehr. Die beiden Klavierkonzerte – virtuos und gut, aber kein Seelenschmalz, kein Hirnfett. Die Klaviersonate h-moll, na ja. Nein, er war primär kein Blender, er wirkte stiller und nachhaltiger als andere. Aber er hatte das Pech, dass Wagner, Bruckner und Mahler ihn derart überstrahlten, dass ihm auf Dauer nur wenig blieb – einige Ungarische Rhapsodien, auch weltliche ‚Oratorien’, oder der großartige TOTENTANZ (dies irae).

Und Offenbach? Seine einzige Oper, HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN, gehört zum Schönsten, das ich kenne. Offenbach ist der deutsch-französische Rossini nach Rossini, aber das nur nebenbei, er war noch viel mehr. Auch er liebte die dünne Luft des Ludismus. Akzeptiert. Erledigt.
[8.8.2011]

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