KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Samstag, 22. November 2014, 11:11
(bisher 1.412x aufgerufen)

Zauberberg-Hörbuch

432. Kolumne


Im Radio - DLF und SWR2 - wurde Thomas Manns „Zauberberg“ in 5 etwa zweistündigen Folgen (ich schätze insgesamt 9 Stunden) rollenverteilt gelesen. Dazu ein paar Geräusche und vor allem Musik. Na gut. Für Leute, die nicht lesen, war’s in Ordnung. Einigermaßen. Aber eigentlich, also streng genommen, fand ich die Umsetzung ziem-lich enttäuschend. Erstens: Die Stimmen gefielen mir nicht, Madame Chauchat hat die viel zu junge und unausgeprägte Stimme eines Mädchens, Mijnheer Peeperkorn ist ganz lahm... et cetera. Der Erzähler, Castorp und seine innere Stimme sind besser. Zweitens: Es ist kein konventionelles Hörspiel und will auch keins sein. Die Geräusche sind auf ein Minimum reduziert, das ist mir zu wenig. Zuviel dagegen: Andauernd kommentieren kammermusikalische Sequenzen im bewusst lang-weiligen, monoton wirkenden Stil (undefinierbare klassische Moderne) quasi leidmotivisch das Ganze. Na ja. Drittens: Kürzung um über zwei Drittel - mit drastischer Reduzierung aller Reflexionen, insbesondere Naphta/Settembrini. Viertens: Häufige Kürzungen mitten im Satz, gelegentlich auch Umformulierungen!: Das ist Stilkastration. Thomas Mann wurde nach heutigen allgemein gültigen Ausdrucksnormen korrigiert. Sie haben seinen kältischen Stil gebraten! Es sollte so klingen, als sei der Roman von einem Autor unserer Tage geschrieben. Ergebnis: Insbesondere die epische Gestaltung der Zeit wird eingeschmolzen. Gesamteindruck: Die Glut der Kälte und zugleich der erotischen Energie, die Thomas Mann entfacht, wird hier zur grauen Asche einer handwerklichen Hobel- und Politurtechnik, die zur Einebnung von Kunst führt. Die kunstvolle Vernetzung der Motive, wie ich sie so gut nur in Goethes „Wahlverwandtschaften“ erlebt und erkannt habe, geht dabei weitgehend verloren, die Wirkung verpufft. - Andererseits will und muss ich - gerade als Theaterliebhaber - zugestehen, dass auch ein Roman anders inszeniert werden darf, als er sich selbst inszeniert, wenn er zum Hörspiel (zum Drama - oder gar zur Oper!) umgestaltet wird. Aber dann müssen die neuen Prinzipien selber stark sein (ohne den Stoff zu entwirken). Das ist in der hochgelobten Lese-Vertonung nicht gelungen. Ich frage mich, warum da überhaupt gelobt wird. Wahrscheinlich, weil es nichts anderes (= Besseres) gibt.

Subnote: Ich habe berechnet, dass „Der Zauberberg“ in 30-35 Stunden laut gelesen werden kann, je nach Maß der notwendigen (Kunst-)Pausen. Daraufhin wollte ich wissen, wieviel Zeit ich zum interpretierenden Lesen (als Grundlage der Unterrichts-Vorbereitung - ohne Sekundärliteratur, ich lese hier nur grundlegende Fakten) benötige. Ich schätze für den „Zauberberg“ summa summarum die doppelte bis dreifache Lesezeit, am längsten dauert das suchende Zurückblättern. Das macht dann rund 80 Stunden, sagen wir mal, das sind zehn 8-Stunden-Tage.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

mannemvorne (58)
(21.11.14)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Graeculus (69)
(21.11.14)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Bergmann (21.11.14)
Ich kann nicht glauben, dass ich der erste bin, der vom Leidmotiv spricht. Für Castorp hat's gut gepasst.

 Theseusel (21.11.14)
Wegen des guten Willens der Macher zum 90ten Jahrestag der Veröffentlichung würde "Lightmotiv" auch passen ... aber was bedeutet "et celtera" Uli?;) Über das Thema Zeit hatten wir ja schon vor Urzeiten gesprochen...

 Bergmann (22.11.14)
Lieber El Theseus: Da ist mir wohl ein Kelte von hinten ins Wort gegrätscht ...
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram