KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Mittwoch, 03. Februar 2010, 11:22
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Gelungene Kommentare

183. Kolumne

Die hier nur um die Grußformeln verkürzten Kommentare zeigen nicht nur, wie Konstruktivität der Kritiker - auch Scherz und Humor - eine zweite, bessere Fassung zustandebringen, sondern auch, dass Dialoge auf KV funktionieren können.

Neue Schatten
Elegie zum Thema Abschied
von Bergmann


Auf einmal ist die letzte Stunde da.
Die Zeit verging so schnell, ich kann’s nicht fassen.
Das laute Leben will ich noch nicht lassen.
Ich sage immer noch zu allem Ja.

Ich denk zurück an Stunden, die wir hatten.
Am liebsten las ich Benn und Thomas Mann.
Was fang ich in der Winterstille an?
Die Sonne sinkt, es wachsen neue Schatten.

---

Anmerkung von Bergmann: Ich folge mit der neuen Fassung dankbar den Anregungen von mondenkind (wo Schatten ist, da ist auch - neues - Licht), Isaban (Ich-Reduzierung und Kritik am letzten Vers: Zu dick aufgetragen, allzu pathetisch) und managarm (Erhebung des Gedichts ins Allgemeinere / 'Archetypisierung').

Hier noch einmal die alte, allzu autobiografische Fassung:

Schatten

Auf einmal ist die letzte Stunde da.
Die Zeit verging so schnell, ich kann’s nicht fassen.
Ich will das Leben aber noch nicht lassen.
Ich sage immer noch zu allem Ja.

Ich denk zurück an Stunden, die wir hatten.
Am liebsten las ich Benn und Thomas Mann.
Was fang ich winters ohne Schüler an?
Die Sonne sinkt, dann kommen nur noch Schatten.

Kommentare und Diskussionen zu diesem Text

mondenkind: die elegische stimmung ist gut eingefangen. ein lyrisches muedes kopfsenken.
als berufsoptimistin kann ich nur sagen, dass schatten immer von einer lichtquelle herruehren. diese gilt es zu finden. lg, moki

Bergmann: Lichtquelle... wahrscheinlich bin ich dann selber die Sonne. Ja, das krieg ich schon hin. Ich danke dir für deinen scharfen analytischen Blick. in der Tat: Es sind noch nicht die Schatten des Totenreichs, kein Hades, kein Styx, kein Charon, keine Lethe, keine Lethargie, noch nicht, noch lange nicht. Besonders nicht hier auf KV, hier musst du die Augen offen halten, durch Spießruten laufen, Remplern ausweichen, Ellenbogen einsetzen, aber auch zärtlich sein, verständnisvoll, anpackend, konstruktiv und dekonstruktiv, was ganz ähnlich ist. KV wird mein kleiner Jungnebenbrunnen sein... ;- )

managarm: Verzeiht meinen Senf zu eurem Wortwechsel, aber der "Jungnebenbrunnen" hat es mir angetan. Schöpfung, wohin man sieht...

styraxx: …und bald schon geht die Sonne wieder auf - schön und doch ein wenig traurig: Halt elegisch. Gute Bücher lesen sich auch im Schatten ganz gut

Bergmann: - und am Horizont gehts weiter (Udo L.), dachte ich auch schon... :- )

Jack: Sind gerade Zeugnisferien?

Bergmann: In der Tat!

Isaban: Hallo Uli, sind die drei Ich-Versanfänge ein besonderes stilistisches Mittel, dessen Verwendung sich mir nicht erschließt? Überhaupt kommt das Wörtchen "ich" recht häufig vor, 6 x in 8 Versen. Ein Ich-Gedicht ersten Grades.

Sehr gut gefällt mir V1in seiner beabsichtigten Mehrdeutigkeit, aber auch die Benn- und Mann-Behaglichkeiten finde ich gut, ebenso wie der auftauchende Wintergedanke.

Auf einmal ist die letzte Stunde da.
Die Zeit verging so schnell, ich kann’s nicht fassen.
Ich will das Leben aber noch nicht lassen.
Ich sage immer noch zu allem Ja. (zu wirklich allem?)

Ich denk zurück an Stunden, die wir hatten.
Am liebsten las ich Benn und Thomas Mann.
Was fang ich winters ohne Schüler an?
Die Sonne sinkt, dann kommen nur noch Schatten.

Vielleicht würde der Text hier durch eine winzige Satzumstellung und Vermeidung eines oder mehrerer Ich-Anfänge gewinnen, z.B.:

Das Leben will ich aber noch nicht lassen,
noch immer sage ich zu allem Ja

und denke an die Stunden, die wir hatten.

- oder wäre dir das zu glatt und "lyrisch"? In V3 und 4 könnte man ja den Ich-Auftakt eventuell noch als trotzig oder kraftvoll betrachten, aber spätestens in V5 liest man weg, wie bei einer Aufzählung.

Den letzten Vers finde ich etwas dick aufgetragen, zwar passend zur elegischen Stimmung aber - natürlich nur mein subjektiver Eindruck - durch die erkennbare Larmoyanz doch eher theatralisch.

Ein interessanter Text.
Ungewohnt gefühlsbetont aus deiner Feder.

Bergmann: Liebe Sabine, danke fürs Lesen und die Kritik! Ich überdenke deine Kritik am "Ich"; mich stört jetzt auch das doppelte "noch".

Theseusel: Pensioniert? Glückwunsch!;)

Bergmann: Nööö. Noch nicht! Und: Soll ich die Schüler rausschmeißen aus dem Gedicht?

octave: hehe.

Bergmann: Das ist keine Antwort!

scalidoro: Schlicht, aber sehr schön. Vor allem die erste Strophe erzählt ganz allgemein - eingebettet in die Atmosphäre sinnender Melancholie - von der Liebe zum Leben.

Bergmann: Signor Scalidor, ich freue mich über dein Lob ganz besonders!

managarm: Die erste Strophe ist bei aller Sanftheit sehr raum- und übergreifend, ebenso V4 der zweiten Strophe. Die "Schüler" determinieren und deuten auf einen Teilbereich (Berufsleben), nehmen aber (aus meiner Sicht) dem Text etwas von seiner Fülle.

Die oszillierende Liebe zum Leben, zum Leben in seinem Vergang und damit schlußendlich zu ebendiesem (auch wenn es sich oft nicht so anfühlt) ist existenziell. Sie kann somit etwas Generalismus, Pathos und Wucht durchaus vertragen (denke ich).

Deine Elegie gefällt mir ausgesprochen gut, Uli!

Bergmann: Lieber Frank, lieben Dank für deinen Kommentar. Ich überlege, ob ich die Schüler durch ein allgemeineres Wort ersetze. Dein Gedanke ist, glaube ich, gut.

managarm: Lieber Uli: Lachst du, wenn ich jetzt schreibe: "Ausgezeichnet! Setzen!" ?
Nun gefällt es mir so richtig!

Bergmann: Danke, danke! - Zum Lehrerjargon: Die Schüler stehen ja heute nicht mehr auf. (Oder doch? In Bayern?)

Elias: Schön, schön, aber soweit ist es doch hoffentlich noch nicht, selbst wenn dieser Tage Salinger das Zeitliche gesegnet hat.
PS: Dieser Tage erlebte ich zudem meinen ersten Poetry Slam in Jena. Das erste Mal sozusagen mit: Bas Böttcher, Nora Gomringer & PEH. Es gibt so manches, außer dem Tod, das man im Alter erstmalig erlebt. Schön!

Bergmann: Lieber Eberhard, besten Dank fürs Lesen! - Ich bin 19./20.3. auf der Leipziger Messe, lese dort, am Fr ab 19 Uhr, am Sa ca. 20 Uhr. Am Samstag bin ich tagsüber in Halle.
Ob wir uns bei einer Gelegenheit sehen?

Jack: Ultrahocherhitzt und homogenisiert. Die erste Fassung war besser.

Bergmann: Es sind zwei verschiedene Gedichte. Das erste trifft meine Situation konkret, direkt. Das zweite ist allgemein. Dir zu allgemein. Ich verstehe dein Urteil gut. Aber nun ist es, wie es ist. (Ich bin sowieso kein Lyriker.) Besten Dank fürs klare Urteil!

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (05.02.10)
Ich will jetzt nichts mehr zum Gedicht sagen, diese Diskussion ist abgeschlossen, aber was "gelungene Kommentare" sind, darüber gibt es bei kV sehr unterschiedliche Meinungen. Am unangenehmsten fallen mir diejenigen auf, die, egal was man schreibt bzw. kommentiert, gebetsmühlenhaft "kontruktive Kritik" fordern. Eigentlich eine schönes Community-Forums-Thema, über das man viel diskutieren könnte.

 Mutter (05.02.10)
Auch eine Idee - Kolummne als grüner Tee ... :-/

Nö, nich meins.
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