KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Freitag, 27. Mai 2011, 13:00
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Ein paar Gedanken zum Lesen

251. Kolumne

Wenn Tristan sagt: Hör ich das Licht? - so ist das eine Synästhesie (Sinnesverschmelzung), diese wiederum bedeutet sein Entrücktsein, ist zudem noch metaphorisch, weil Licht für Klarheit, Erkenntnis, Erkennen, Verstehen stehen kann. Ich würde diese Worte durchaus surreal nennen. Der Begriff gilt ja nicht nur für die Malerei eines Dalí (z. B.).

Mit solchen surrealen Stellen werde ich noch gut fertig, und dann mag ich sie, sozusagen als Verstärker oder sinnvolle Ablenker, sie weiten den Horizont des Textes und des Verstehens.
Wenn sie sich aber häufen, wird mir das zuviel. Bretons 'Romane' lese ich nicht, Ulysses teils nur mit Mühe, Zettels Traum von Arno Schmidt ist quasi unlesbar. Ich habe die Faksimile-Ausgabe von 2002 (58 Euro), die schlage ich ab und zu auf und lese einige Zeilen, begreife partiell An-Spielungen und Mehrdeutigkeiten, habe aber keine Lust, die gewollten und ungewollten Horizonte auszumalen - da müsste ich mir mein Leseverständnis in mehreren Romanen selbst erzählen.

Aber Beckett und Ionesco lese und sehe ich gern auf der Bühne, auch Jandl, den frühen Handke, Jelinek und Bachmann.

Autoren, die ich nicht lese: Viele der jetzt-amerikanischen. Das liegt schon am Ambiente und den Lokalitäten. (Dabei war ich drei Mal in den USA.) Sie sind mir zu leicht, zu vordergründig.

Ich finde Stanislaw Lem nicht trivial. Er ist unter den SF-Autoren der atmosphärisch dichteste und gedanklichste. Asimow las ich auch gern. Sogar Heinlein. Die Marschroniken von Bradbury...

Ich suche aber nicht unbedingt den Ernst in der Kunst, sondern das, was mich (im weitesten Sinn des Worts) unterhält, das WIE, die Art der Sprache, die Atmosphäre, das Spiel.

* * *

Handke im Unterricht - schwierig, zumal "Gerechtigkeit für Serbien", das packt auch kein Geschichte-LK. Auch für Lehrer dürfte diese Materie zu kompliziert sein, und didaktisch höchst unergiebig, weil auch viel zu speziell.

Der Erste Weltkrieg kommt in der Schule oft viel zu kurz dran, dabei ist er eine wichtige Station auf dem Weg in die nationalsozialistische Herrschaft und Judenvernichtung. Es wird Zeit, dass auch Bismarck in den Schulen so kritisch gesehen wird, wie es seine außenpolitische Flickschusterei verdient und seine ultrakonservative Innenpolitik, die eine Verhöhnung aller freien Geister war. Bismarck war ein Machiavell, ein Säufer dazu, ein Politiker, der die Zeit angehalten hat - und das rächt sich in der Geschichte immer, siehe Honecker... Gorbatschow: Wer zu spät kommt, den straft die Geschichte.

Handkes frühe Stücke und Bücher gefielen mir, jetzt schreibt er wie Stifter und ist mir also viel zu abgehoben, eigentlich auch unoriginell, ideenlos, ja geschwätzig im Edelparlando.

Kunst (Literatur, Musik) ist für mich immer beides: Arbeit und Genuss, Bauch und Kopf. Je mehr Arbeit, umso größer oft der Genuss. Aber: Beides sollte ausgewogen sein. Zu intellektuell (Arno Schmidt, Zettels Traum) ist schlecht und verliert sich selbst, zu leicht auch.

Adorno äußerte sich vor allem zur Lyrik bezüglich Auschwitz, nach A. sei keine Lyrik mehr möglich. Natürlich überzogen, das wusste er auch. Das Elfenbeintürmige, das sich Autoren und Künstler und ihr Bildungsbürgertum leist(et)en, griff er an. Er wurde doppelt widerlegt: Von Celan, Mohn und Gedächtnis - darin die "Todesfuge", und von der Liebe zur absoluten Kunst (poésie pure).

(Aus Briefen an darkjoghurt im November und Dezember 2010)

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 loslosch (27.05.11)
Kein Philip Roth (USA)? - Zum Weltkrieg I: Mein ehemaliger Geschichtslehrer, OSt Frischbier, jetzt 86, hat offenbar alles richtig gemacht.

Zu Zettels Traum: Sau-nah. Da gruselts mich.

"... Celan, Mohn und Gedächtnis ...": Mohn? Lothar

 loslosch (27.05.11)
Korrektur: Mohn und Gedächtnis, so heißt der Titel; wusste ich nicht.

 loslosch (27.05.11)
@Jack. Du hast nichts Inhaltliches gesagt. Früher hieß es: WK I-Ursachen ein Mix. Alle waren schuld. Wir lernten bei Frischbier: KW II suchte einen Grund zum Losschlagen. Der "Kollege" in Wien half ihm dabei (Sarajewo). Das war damals, 1960, ein mutiger Standpunkt.

 Bergmann (27.05.11)
Lo: Nein, auch nicht Philip Roth (USA), auch nicht dann, wenn er den Nobelpreis bekommen sollte.

Jack: Ergebnisoffen... ein schwieriges Wort. Angesichts des Völkermords, den Hitler und seine Helfer betrieben, wird es wohl so weit nicht kommen, dass jedes Urteil möglich ist. Die überwiegende schuld Deutschlands kann jedoch im Dienste der Wahrheit relativiert werden, wenn die Kritik an Deutschlands Gegnern, insbesondere Frankreich und England, stärker als bisher untersucht wird. Anzunehmen, Deutschlands Gegner im Westen seien von hohen moralischen Zielen in ihrer Außenpolitik geleitet worden, wäre ignorant. - Ich kann sagen, dass meine Kollegen im Fach Geschichte einen allseitig kritischen Geschichtsunterricht gaben und geben.
Die Kritik an Preußen ist mir auch zu undifferenziert. Der Niedergang - jedoch nicht auf allen Ebenen - setzte allmählich in der Bismarck-Zeit ein, woran der Eiserne Kanzler nicht unschuldig war, und setzte sich mit Wilhelm II. stärker fort, ohne jedoch alle sozialen Schichten und Bereiche des Lebens zu erfassen. Nach Ebert wird es kritisch. 1933 ist Schluss, wenn auch nicht innerhalb der Familien und in den Köpfen, die nach 1945 noch manch Segensreiches im altpreußischen Geist bewirkten. (Alle falschen Preußen ausgenommen.)
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