Film & Fußball
Eine cineastische Mannschafts-Kolumne
Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"
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Tatort: „Tödliche Häppchen“
von Dieter_Rotmund
Die „Tatort“-Fernsehskrimis sind Teil der ältesten, noch laufenden Krimi-Reihe des deutschen Fernsehens. Wegen ihrer 41 Jahre Laufzeit haftet ihr etwas Piefiges, Altbackenes, Beamtengutbürgerliches an. Grundsätzlich gilt: Kaum jemand, der jünger als 35 Jahre alt ist, bekennt sich dazu, regelmäßig den „Tatort“ zu fernsehen. Das kommt nicht von ungefähr, ist das Erzähltempo der Episoden doch ganz offensichtlich dem typischen ARD-Zuseher ab einem Lebensalter von 60 Jahren angepasst. Das ist mal Fluch, mal Segen. Wer oft den „Tatort“ sieht, wird jedoch erkennen: So etwas wie „den“ Tatort gibt es gar nicht. Zu groß ist schon der Unterschied zwischen den aktuellen, etwa 16 Ermittlern und Ermittlungsorten. Zwischen dem kürzlich ausgestrahlten HR-Tatort „Das Dorf“ in Edgar Wallace-Look und den klamauknahen WDR-Tatorten mit Axel Prahl und Jan-Josef Liefers liegen Welten. Die Bandbreite bei den Regisseuren, die bisher für einen oder mehrere „Tatorte“ verantwortlich waren, ist gerade zu galaktisch, reicht sie doch von Wolfgang Staudte (Die Mörder sind unter uns, 1946) über Wolfgang Petersen (Air Force One, 1997 bis zu Dominik Graf (Der Felsen, 2002). Man könnte auch sagen, eine kollektive Ablehnung der Tatort-Reihe käme eine kollektiven Ablehnung des deutschen TV-Krimis gleich. Grundsätzlich kann man der gesamten Reihe jedoch nicht absprechen, dass sie, was die Herstellung betrifft, sehr sorgfältig gemacht ist. An einem einzigen Tatort-Drehtag wird nur Material für schlussendlich 3 Minuten geschaffen. Zum Vergleich: Bei Telenovelas sind es bis zu 30 Minuten pro Drehtag und entsprechend „08/15“ sieht es dann auch aus. Es ist vermutlich für die „Tatort“-Reihe genug (Gebühren-) Geld da, solange die höchst unverschämten finanziellen Forderungen von König Fußball nicht den gesamten Etat auffressen.
Eine wenig mehr Beachtung bekommt unter den (mehr oder weniger) 16 Tatorten der sogenannte „Dienstälteste“, wie gerne formuliert wird. Gemeint ist das älteste Ermittlerteam, das noch agiert. Das ist übrigens nicht dasselbe wie der das Ermittlerteam mit den meisten Folgen. Letztere sind die Münchner Polizisten Ivo Batic und Franz Leitmayr (Miroslav Nemec / Udo Wachtveitl), die schon seit einiger Zeit und nicht unlustig wie ein altes Ehepaar agieren. Das tun sie seit 1991, schon zwei Jahre zuvor fand die Erstausstrahlung des SWF-Tatort „Die Neue“ statt. Die Neue war damals Lena Odenthal (Ulrike Folkerts), am ersten Abend des Jahres 2012 wird nun die Erstaustrahlung von „Tödliche Häppchen“ als aktueller Ludwigshafen-Tatort des SWR folgen. Die Filmschau Baden-Württemberg zeigte im Metropol-Kino in Stuttgart vier Wochen zuvor ein Preview, zu dem zahlreiche Crew-Mitglieder gekommen waren. Eine der wenigen Gelegenheiten, einen aufwändig gemachten Fernsehfilm auf einer Kino-Leinwand zu sehen. In der Reihe vor mir saß ein etwa 10-jähriges Mädchen, die sicherlich nicht die Altersfreigabe erfüllte, wie ich so zu mir selbst mäkelte. Nach dem Film, beim anschließenden Q&A, ging das Mädchen auf die Bühne - sie war ein der Darstellerinnen. Ohne etwas verraten zu haben, denn das ist schon nach wenigen Minuten klar: Es geht in diesem „Tatort“ um industrielle Fleischherstellung; das Mordopfer ist eine Art Übermensch, eine „aufopferungsvolle Mutter“, wie man solche Figuren gerne beschreibt. In ihrer Freizeit war sie Gutmensch mit Tendenz zum Enthüllungsjournalismus, da passt ein modernes Schlachthaus wie die Faust auf‘s Auge dazu. Das Nebenthema „Mobbing“ kommt leider nicht so recht zum Zuge, dabei hätten gerade hier die Schauspielerinnen ihr Talent zeigen können. Vor allem Floriane Daniel; Bernadette Heerwagen mit viel zuviel Make-Up als Psycho-Wrack war nicht sehr überzeugend, ihre Leistung in dem deutschen Prä-Post-Apokalypse-Streifen Die kommenden Tage im letzten Jahr war da deutlich besser.
Die zentrale Frage, die sich bei „Tödliche Häppchen“ und dem Schauplatz Schlachthaus stellt ist meiner Meinung nach diese: Braucht ein Krimi ein gesellschaftlich kontrovers diskutiertes Thema? Verkommt der „Tatort“ damit nicht zum Stichwortgeber zur nachfolgenden Anne Will / (jetzt: Günther Jauch) - Talkshow, in dem die üblichen Fernsehgesichter ihre Empörungsmeinung kundtun? Die zuständige SWR-Redakteurin meinte, es würde den „Tatort“ adeln, wenn dieses Stichwortgebertum einträfe. Um es vorwegzunehmen: Am 1. Januar zeigt die ARD nach „Tödliche Häppchen“ keine Talkshow, sondern einen schwedischen Fernsehkrimi. Möglicherweise genau solch einen schwedischen Krimi, die ihre hohe Qualität in den letzten Jahren dadurch bekommen haben, das sie nur eines sein wollen, nämlich ein spannender Krimi. Der ARD reicht das offenbar nicht. Fazit: Das Fleischherstellungsthema in „Tödliche Häppchen“ schadet dem Film. Das Werk ist ansonsten anständig gemacht: Sehr solide Kamerarbeit und ein sich unterhaltsam stichelndes Ermittlerpaar Odenthal/Kopper, das eine moralinsaure Gutmenschenbotschaft als blinden Passagier nicht verdient hat.
Die ARD zeigt den Tatort „Tödliche Häppchen“ am Sonntag, den 1. Januar 2012 um 20:15 Uhr in seinem ersten Programm.
Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag
Die Dynamik der einzelnen Folgen nimmt mit wechselnden Ermittlerteams zu. Mit Bienzle und Ehrlicher sind die letzten alten Herren, Klassiker des deutschen Fernsehkrimis, vor einiger Zeit ausgeschieden. Eine solche Entwicklung bieten andere Krimi-Formate nicht, und dass trotzdem Zeit für menschliche Regungen bleibt, ist eine Stärke des Tatortes.
Es müsste "geradezu galaktisch" heißen, und nicht "gerade zu galaktisch".
Eine lesenswerte Kolumne zu einem interessanten Thema, Dieter.
"a"
Die nächsten drei "Film&Fußball"-Kolumnentexte sind voraussichtlich nicht von mir und Gastkolummen sind auch keine geplant!