Film & Fußball
Eine cineastische Mannschafts-Kolumne
Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"
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Ein Kammerspiel im Kino
von Dieter_Rotmund
Gastkolumne von eiskimo
Gutes Kino ist, wenn man sich selber darin wiederfindet. Egal, ob man klassisch guckt, streamt oder - wie ich jetzt - im Flugzeug auf eine flimmernde Rückenlehne starrt.
In „The Father“ (2020) von Florian Zeller war ich sofort drin. Zum einen, weil ich Zeller als spannenden Theaterregisseur kannte und wusste, dass der Franzose gern die ganz heißen Eisen aufgreift - auf sein Debüt hinter der Kamera war ich also schon positiv voreingenommen. Zum anderen und viel wichtiger aber: Olivia Colman (The Crown) bzw. Anthony Hopkins (Das Schweigen der Lämmer) haben mich von der ersten Minute an in ihren Bann gezogen . Ich sage es mit einer gewissen Dankbarkeit: Sie haben mir den elend langen Flug von Singapur nach Frankfurt förmlich zu einem Erlebnis gemacht.
Dass ich bei diesem Flug die große Leinwand nicht vermisste, lag sicher auch daran, dass Zeller hier ein Theaterstück ins Kino übersetzt hatte, nämlich das von ihm selber geschriebene Drama „Le Père“ aus dem Jahre 2012. Insofern gibt es in diesem Film keine hastigen Schnittfolgen, keine verspielten Effekte oder jähe Kamerafahrten. Vielmehr lebt man mit den Protagonisten in den immer gleichen Dekors einer bürgerlichen Wohnung und wechselt nur am Ende über … ins Pflegeheim.
Vor dieser Endstation aber habe ich hautnah miterleben müssen, wie der 83jährige Anthony – ja, Zeller hat hier bewusst den Vornamen seines Hauptdarstellers beibehalten –in seinem Londoner Wohnung gegen einen schleichenden Feind ankämpft: Seine zunehmende Demenz.
Dass er so bedrohlich krank ist, macht am Anfang nur die Tochter klar. Anne versucht nämlich, für den störrischen Vater eine neue Pflegerin zu engagieren, was dieser wortreich und mit allerlei Tricks zu hintertreiben versucht.
Ich war in diesem Ringen zunächst voll auf Anthonys Seite und hielt Anne für egoistisch. Sie hatte nämlich einen Franzosen kennengelernt, mit dem sie nach Paris ziehen wollte – klar, da musste der Vater sicher versorgt sein.
Dann aber verwechselt der eben noch so intelligent und charmant agierende Vater die Lebensgefährten der Tochter , und auch die neue Pflegerin, die bei der ersten Kennenlern-Begegnung noch kurzhaarig und dunkel war, ist plötzlich eine junge Blondine. Selbst in der Wohnung sind plötzlich Möbel vertauscht oder Bilder verschwunden.
Nein, da musste ich einsehen: Anthony ist wirklich verwirrt. Was Florian Zeller hierbei genial hinbekommen hat: Kontrollverlust und Verunsicherung sind real. Ich hatte quasi eine Innenansicht dieser schrecklichen Krankheit; ich selber mochte meinen Sinnen nicht mehr trauen.
Und spätestens da war ich auch wieder mit meiner eigenen Biographie ertappt: Meine Mutter, die ich nicht mehr allein lassen konnte…. Alzheimer. Und mein Schwiegervater, der im Pflegeheim am Ende nur noch vor sich hin dämmerte.
Keine Angst: Bei „The Father“ wird es nie unappetitlich oder wirklich zerstörerisch. Dafür spielen die Akteure einfach zu grandios. Es ist auch Platz für Komik und Charme. Kino mit Tiefenwirkung.
Anthony Hopkins hat für seine Leistung übrigens 2021 den Oscar des besten Hauptdarstellers bekommen. Für mich ebenso berechtigt ist der Oscar, den Florian Zeller zusammen mit Christopher Hampton für das beste Drehbuch erhielt.