Film & Fußball
Eine cineastische Mannschafts-Kolumne
Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"
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Diese Kolumne ist Salman Rushdie gewidmet
von Dieter_Rotmund
"Wohl weiß ich, daß ich mit meinen Appellen zur Besonnenheit einen schweren Stand habe in einer Welt, wo amerikanische Frauen Straßenfeste veranstalten, weil eine Frau freigesprochen wurde, die ihrem brutalen Mann den Penis abgeschnitten hat, aber ich sage trotzdem: 'So geht das nicht (...) ' ", schrieb Deutschlands vielleicht bester Kolumnist, Max Goldt, bereits im März 1994.
Schriftsteller während Lesungen mit Messern zu attackieren, da sage ich: So geht das nicht. Hoffentlich erholt sich Salman Rushdie von diesem feigen und niederträchtigen Anschlag gut.
Z.B. bin ich auch nicht mit den Ansichten von Peter Singer einverstanden, aber deswegen gehe ich nicht mit dem Messer auf ihn los. Wieso will niemand mehr miteinander reden, miteinander diskutieren? Jeder glaubt sich im Besitz der absoluten Wahrheit und dies durchzusetzen rechtfertigt offenbar jedes Mittel. Mit Herrn Rushdie hätte man auf dieser Lesung sicherlich gut diskutieren können. Aber stattdessen: Messer raus und los. "So geht das nicht!", möchte ich nochmals wiederholen, und seien die Motive auch noch so integer - es sind sie oft nur für diejenigen, die jedes Maß verlieren und sich in der Heldenrolle wähnen.
Nun, diese Kolumne ist hiermit Salman Rushdie gewidmet und damit auch der Freiheit der Kunst.
Apropos Kunst, da gehe ich, kein überraschender Themawechsel hier an dieser Stelle, doch lieber ins Kino.
Everything Everyhwere All at Once (USA 2021). Ein wahre Tour de Force des Kinofilms! Eine völlig überforderte Besitzerin eines Waschsalons (Michelle Yeoh) versucht ihr Leben (und den Laden, und natürlich die Familie) in den Griff zu kriegen, aber das Leben geht durch die Decke, könnte man sagen. Überraschung: Es ist Multiversen-SciFi! Am Ende sitzt man geplättet vor der Kinoleinwand und muss erstmal durcharmen und verdauen...
Sundown (F/MEX/SWE 2021). Das ist so ein Film, an den sich das Mainstream-Multiplexkino nicht rangetraut hat zu vermarkten (zu wenig Actionszenen?) und das Programmkino vielleicht oft als zu kommerziell empfindet. Es ist eigentlich ein recht ruhig erzählter Film darüber, dass Familie die Hölle sein kann und über Habgier und darüber, dass man ein selbstbestimmtes Leben führen möchte. An diesem Vorhaben scheitert Neil Bennett (Tim Roth) fast. Bis es soweit ist, ist Sundown stellenweise recht kafkaesk. Gerne gesehen, in OmU in einem schönen Kino direkt am Neckar.
The Last Bus (UK/VAE 2021). Der Hauptdarsteller von The Last Bus ist das Gesicht von Timothy Spall, könnte man sagen. Es macht einfach Spaß, seine Verkörperung der Figur Tom zu beobachten. Auch die Filmmacher haben offenbar erkannt, dass das Gesicht das große Plus des Films ist und sind immer nahe daran an Tom, der fest entschlossen ist, am Ende seine Lebens eine letzte Reise zu machen (nicht die allerletzte) , und das in Bussen des öffentlichen Nahverkehrs. Der Film leistet sich zwar auch die ein oder andere Rührseligkeit, aber insgesamt ist er gut gelungen. Mein Lob gilt Regisseur Gillies McKinnon, dessen Werk Hidious Kinky von 1998 (mit Kate Winslet!) mir gut in Erinnerung geblieben ist. Den deutschen Verleihtitel von The Last Bus will ich hier nicht wiedergeben, es ist einfach mal wieder zu dämlich. Warum auch? Ich habe den Film in OmU gesehen, wie alle Filme, die ich dieser Kolumne bespreche.
Dann bin ich natürlich wieder im Open Air Kino gewesen. Es war schön, endlich, mit Einbruch der Dunkelheit die schwindenden Temperaturen zu genießen, mit einem kühlen Bier vom Fass. Gespielt wurde auf der großen Leinwand im Freien Blow out (USA 1981), nicht zu verwechseln mit dem etwas verschnarchten Antonioni-Klassier von 1966 (Blow Up), oder einem der beiden Franka-Potente-in-Hollywood-Werken, Blow, von 2001, den ich einst, als er neu war, ebenfalls Open Air sah, in München, aber das ist eine andere Geschichte.
Blow out von 1981 ist ein ordentlicher Verschwörungsthriller, aber noch vom alten Schrot und Korn im 70er Jahre-Look. Leider hat der Film ein paar lose Enden, wie auch im Werk der Begriff der loose ends vorkommt, aber da geht es um Vertuschung. Cineastisch interessant ist diese zweidrei Mal verwendete, über den Schauplatz der Handlung schwebenden Perspektive, wie über einen Bauplan (wie heißt das?). Auch diese Erdrosselung mit den zappelnden Füßen des Opfers, ein gern verwendeter Topos. Außer der damals sicher hochmodernen Abhörtechnik ist alles schön analog und leicht schäbig. Überall wird geraucht und in den U-Bahnstationen sieht es aus wie auf bundesdeutschen Autobahnraststättenklos der 80er. Ach, das waren noch Zeiten! Autobahnraststätten in den 80ern!
Gute Besserung, Salman Rushdie.
Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag
(18.08.22, 08:48)
Unsere Rechtsordnung legt allerdings Wert darauf, daß eine solche Vergewaltigung von einem unbefangenen Gericht unter Anhörung des Beschuldigten festgestellt wird, bevor die Strafe vollzogen wird. Das ist selbstverständlich und unterscheidet Recht von Selbstjustiz. Allenfalls Notwehr wird zugestanden, und es muß in einem Prozeß festgestellt werden, ob die Frau sich in einer solchen Lage befunden hat.
Weiterhin verzichtet unsere Rechtsordnung auf bestimmte Strafen, z.B. die des Auge um Auge, Zahn um Zahn, Vergewaltigung um Kastration. Das ist sehr freundlich von unserer Rechtsordnung, auch wenn der in einem Strafverfahren rechtskräftig Verurteilte sich nicht beschweren könnte, wenn es anders stünde, s.o.
Dies alles verbietet einen Vergleich mit Salman Rushdie, dessen "Vergehen" darin besteht, daß es sich in seinem Buch "Die satanischen Verse" über Ajatollah Khomeini lustig gemacht hat, was dieser als Angriff auf den Islam umgedeutet und mit einer Todes-Fatwa belegt hat, die schon daran krankt, daß nicht ein unbefangener Richter, sondern der Angegriffene in eigener Sache geurteilt hat.
Wenn etliche Moslems, die - wie der Attentäter - das Buch obendrein gar nicht gelesen haben, Rushdie seitdem als vogelfrei behandeln, hat das mit einer Rechtsordnung so viel zu tun wie Micky Maus mit ordentlichen Mäusen.
P.S.: Wer hat überhaupt "Die satanischen Verse" gelesen?
Sie sind ist nicht weniger kriminell, auch wenn man sich auf noch so hehre Motive (Moral/Religion) beruft. Darum geht es, um die anmaßende Selbstjustiz, die Taten sind da fast nebensächlich.
Man macht einem Schriftsteller allerdings ein schlechtes Kompliment, wenn man hitzig über ihn diskutiert, ohne das zu tun, was sein eigentliches Anliegen ist: sein Buch zu lesen.
Mir den Roman vorzunehmen (ad fontes!), war das erste, was ich in der seinerzeitigen Affäre getan habe. Dabei habe ich rasch festgestellt, daß er sich nicht gegen den Islam, aber ganz offenkundig gegen Ajatollah Khomeini richtet: in einem Kapitel. Und das war es, was dieser böse alte Mann Rushdie nicht verzeihen konnte.
Nein, das tut er eindeutig nicht.
Und selbst wenn es Gotteslästerung wäre, gälte das Wort des Kaisers Tiberius: "Gotteslästerung zu bestrafen, ist Sache der Götter selber." [Deorum iniurias dis curae.]
Allerdings hat deswegen niemand Herr Flaubert mit dem Messer angegriffen.
Das waren noch Zeiten!
Diese kleinen Veränderungen im Korantext entsprechen der islamischen Überlieferung von den 'satanischen Versen' (die der "Satan" in den Koran eingeschmuggelt haben soll); diese Überlieferung hat Rushdie nicht erfunden, sondern darauf bezieht er sich - schon mit dem Titel seines Buches.
Nein, ich bleibe bei meiner Ansicht und halte es nicht für zufällig, daß Khomeini die Fatwa ausgesprochen hat.
Würde man alles andere als den Glauben an die wortwörtliche Gottesquelle des Koran für blasphemisch halten, wäre natürlich jede kritisch-historische Koranforschung blasphemisch.
Das wäre beinahe noch schlimmer.
Mohammeds Frauen - ein Thema für sich. Wie beurteilt man das heute, daß er mit Aisha ein Kind geheiratet hat?
Dieser ganze Sumpf von Dingen, an die man nicht rühren darf ...
@Graeculus:Ich glaube nicht, dass Khomeini als beleidigte Leberwurst reagiert hat.
Historisch-kritische Islamforscher (es gibt einige) verstecken sich meist unter Pseudonymen, das spricht Bände!
Gruß Quoth