Der Vorgarten

Kurzgeschichte

von  KopfEB

Seine dunkel-beige gefärbten Sandalen betraten knirschend den schwarzweißen Kiesweg und wären vor Schreck am liebsten auf der Stelle wieder umgekehrt.
„Warum muss es dieses Haus sein? Warum bin ich nicht erst zwei Nummern später in den Vorgarten eingebogen?“
Nun war es wohl zu spät, würde albern aussehen, jetzt noch umzudrehen.

Dieses Heim schien auf den ersten Blick vollkommen normal.
Auf den Zweiten jedoch musste man sich wahrhaft wundern, dass einem die kleinen, widerwärtigen Details nicht sofort ins Auge und auf die Seele gefallen waren:

Der Kies des Weges war exakt so bemessen, dass ein schwarzer Stein von vier Lagen weißer Steine umringt war. Er führte in Perfektion und in genau abgemessenen zweieinhalb Kurven zur Veranda, kein Stein lag außerhalb der Reihe oder gar des Weges!
Neben diesem waren schmale Blumenbeete, alle zwei Schritte von einem kleinen Pfad aus beigem Sand unterbrochen, der sowohl mit der tiefschwarzen Erde der Beete, als auch mit der Komposition und Anordnung der gelben und roten Blumen harmonierte, das einem die Augen tränten – in der offenbaren Hoffnung, dass Neid der Anlass dafür sei.
Hinter diesen Beeten, der perfekte englische Rasen, saubere Kanten, alle Halme die exakt gleiche, vorschriftsmäßige Länge, kein einziger rebellierte gegen die aufgezwungene Ordnung.
Sogar die Irritation des modernen Gartenzwergs, der einen Ton-Maulwurf mit bloßen Händen erwürgte, war dermaßen durchdacht und geplant, dass es wohl eher auffallen würde, wäre er nicht vorhanden gewesen.
Und natürlich durfte auch der kleine Teich mit winzigem Springbrunnen und drei Kois nicht fehlen. Man hatte ihn auf der rechten Seite platziert, damit auf der Linken Platz war für den Sandkasten der Kleinen, selbstverständlich mit perfekt eingeharktem Spiralmuster, das an japanische Steingärten erinnerte und dem genauen Beobachter wäre auch der kleine Kiesel in der Mitte der Spirale nicht entgangen.
Hinter dem Rasen ein Holzzaun mit Schutzlasur gegen den Regen in warmem Braunton. Nach vorne raus je zwei niedrige Buxbaumhecken, die in perfekter Symmetrie den Vorgarten von der Strasse abtrennten, ohne dabei abweisend zu wirken.

Auf der Veranda standen zwei Korbstühle mit einem Blumendekor auf den Bezügen und je einem blauen und einem rosa Kissen darauf, mit Spitze. Es hätte nur noch gefehlt, dass die Worte „Er“ und „Sie“ darauf gestickt waren, aber dem Denker und Lenker dieser Vorstadthölle war die Sinnlosigkeit einer solchen Tat nicht entgangen und er hatte seinem Wüten nach Perfektion Einhalt geboten, um eben jene nicht zu verletzen. Nichts anderes war wohl dazu in der Lage.
Ein Kinderrad stand schräg neben der Eingangstür, wie es schien in genau berechnetem Winkel zu dieser, so dass jeder Gast direkt erkennen konnte, dies ist ein freundliches Haus mit freundlichen Menschen (aber nicht zu aufdringlich und vor allem voll ehrlicher Herzenswärme), wilden Kindern (aber nicht zu wilden, normal halt) und hier kann einen nichts anderes erwarten als Zuneigung und Liebe ...


Er öffnete die Haustür, trat hindurch und aus seiner Kehle erklang es mit einem kaum wahrnehmbaren Unterton von Ekel, Abscheu und Verzweiflung:
„Schatz, ich bin zu Hause!“

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Kommentare zu diesem Text

Samjessa (28)
(24.04.08)
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 KopfEB meinte dazu am 27.04.08:
Das freut mich natürlich. Der Text ist eigentlich nur als Übung entstanden. Ich wollte mein Können in der Detailbeschreibung einer Szenerie schulen, um mehr Leben in meine Texte und Ideen zu bringen.
Anschließend hat er mir dann gut genug gefallen, um doch als "echter" Text durchzugehen :.)

Wenn dir der gefallen hat, lies doch mal,  "Nachts, halb drei in Deutschland", der ist ähnlich.
Samjessa (28) antwortete darauf am 27.04.08:
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