Kapitel1 - Me

Roman

von  volpe

Ein pochender Schmerz zog durch ihren gesamten Körper. Zwischen ihren Finger spürte sie etwas feuchtes, klebriges. Mühsam versuchte die junge Elfe ihre Augen ein Stück weit zu öffnen und zwischen ihren Lidern hindurchzuspähen. Sie erkannte die verschwommenen Umrisse einer Gestalt, die sich über sie beugte. Ein unangenehmer Geruch drang in ihre Nase, eine Mischung aus Schweiß und... etwas Beißendem. Sie versuchte den Kopf wegzudrehen, um den widerlichen Geruch loszuwerden, doch ihr Körper schien ihr nicht zu gehorchen. Auch ein Versuch, den Mund zu öffnen, etwas zu sagen, scheiterte kläglich.
Die Gestalt wandte sich von ihr ab und sie hörte, wie sich ihre Schritte entfernten. Wieso half man ihr nicht? Hielt man sie etwa... nein, das konnte nicht sein... Sie schloss die Lider. Hielt man sie etwa bereits für tot? Nein, das durfte nicht sein. Sie wollte noch nicht sterben. Nicht ehe sie...
Noch bevor sie den Gedanken zuende führen konnte sank sie in einen langen, traumlosen Schlaf.

Ihr Körper war umgeben von einer wohligen Wärme und ihre Hände umklammerten weichen Stoff. Sie schlug die Augen auf und musste zunächst blinzeln, da das helle Licht sie blendete. Nachdem sich ihre Augen an das Licht gewöhnt hatten, betrachtete sie neugierig ihre Umgebung. Sie lag in einem schmalen aber bequemen Bett, neben dem Bett stand ein kleiner Nachttisch mit einem Tonkrug und einem Becher darauf, auf dem Boden lag ein grober Teppich aus Wolle und neben einem kleinen Schrank an der Wand links von ihr befand sich eine kleine Tür. Insgesamt schätzte sie die Größe des Raumes auf knapp 6m².
Gerade wollte sie durch das Fenster über dem Bett nach draußen spähen, als sich die Tür öffnete und eine Frau mittleren Alters den Raum betrat. Vor den Bauch hatte die Frau eine Schürze gebunden und in der Hand hielt sie eine dampfende Holzschale.
"Ah, gut, dass Ihr wach seid, ich habe Euch eine Suppe gemacht. Ihr müsst bestimmt hungrig sein." Die Frau lächelte freundlich und setzte sich auf die Bettkante. "Wer... wer seid Ihr und wo bin ich hier?" Der jungen Elfe war die Verwirrung wohl gut anzusehen, doch die Frau schüttelte nur weiterhin lächelnd den Kopf und hielt ihr auffordernd die Schüssel hin. "Iss erst einmal, alles andere lässt sich auch später noch erklären."
Die Elfe setzte sich langsam im Bett auf. Erst jetzt spürte sie einen leichten Schmerz durch ihren Körper ziehen und als sie die Hände nach der Schüssel ausstreckte sah sie, dass ihr rechter Arm vollständig bandagiert war. Die Frau musste ihren erschrockenen Blick wohl gesehen haben, denn beruhigend sagte sie: "Ich habe eure Wunden versorgt. Ihr werdet bald wieder ganz gesund sein. Eure Sachen vermisst ihr sicherlich auch bereits. Ich habe sie dort in den Schrank getan. Aber nun esst schon, ehe die Suppe kalt wird und ich sie erneut aufwärmen muss." Wieder lachte die Frau. Sie schien eine sehr herzliche Art zu haben, doch die Elfin war mit anderen Gedanken beschäftigt. Zögernd nahm sie die Schüssel entgegen und löffelte zaghaft die klare Suppe, während ihr Kopf von Fragen geflutet wurde: Sachen? Was für Sachen? Und... wer war sie überhaupt? Wie war sie hierher gekommen? Wieso fiel ihr erst jetzt auf, dass sie sich an nichts, aber auch wirklich garnichts erinnern konnte? Nicht einmal ihr Name wollte ihr in den Sinn kommen. Und sie wusste auch nicht wie sie aussah, geschweige denn wie alt sie war. Gab es in diesem Raum einen Spiegel? Ja, dort neben der Tür.
Sie stellte die halbvolle Schüssel auf den Nachttisch, erhob sich mühsam vom Bett und schwankte, nicht auf die Proteste der Frau hörend und ihre Hand vorsichtig von ihrem Arm schiebend, zum Spiegel. Was sie erblickte, erschrak sie zunächst ein wenig, denn auf ihrer linken Wange erblickte sie einen blutverkrusteten Schnitt. Doch bei näherem Hinschauen war der Anblick eigentlich gar nicht so übel: langes, schwarzes Haar, mit einer Strähne, die ihr leicht ins Gesicht fiel, hellblaue Augen, aber weder kalt noch blass sondern eher keck, wohlgeformte Lippen und eine fast schon zarte Stupsnase im Mittelpunkt. Wer auch immer sie war, unansehnlich war sie keineswegs.
"Ihr könnt Euch an nichts erinnern, nicht wahr?", fragte die Frau mit sanfter Stimme. Diesmal lächelte sie nicht. "Woher wisst Ihr das?" "Ich weiß vieles, mein Kind, doch man sieht es Euch an. Eure Verwirrung, eure Verstreutheit... und bei euren Wunden ist ein traumatischer Gedächtnisverlust nicht allzu verwunderlich." Das Lächeln war zaghaft an seinen Platz zurückgetreten. "Keine Sorge, mein Kind, euer Gedächtnis wird stückweise zurückkehren und wenn die Zeit reif ist, werdet ihr Euch wieder an alles erinnern können." "Seid Ihr Euch sicher?" "Ich hoffe es, denn vieles hängt davon ab." Nun wirkte das Lächeln verkrampft, als würde die Frau Schmerzen empfinden. Die junge Elfe war von diesem letzten Satz beunruhigt und fragte: "Wie meint Ihr das?", doch die Frau wandte sich zum Gehen und murmelte beim Durchqueren des Türrahmens: "Ihr werdet es noch früh genug erfahren." Etwas lauter fügte sie nun wieder mit ihrer fröhlichen Art hinzu: "Vergesst eure Suppe nicht."

Auch nachdem die Elfe schließlich die Suppe ausgelöffelt hatte beschäftigte der Satz der alten Frau sie noch immer und so ging sie grübelnd in dem Zimmer auf und ab, bis ihr Blick plötzlich auf den Schrank fiel. Meinte die Frau nicht, dass ihre Sachen in diesem Schrank lagen? Langsam öffnete sie beide Schranktüren. Bis auf einige Stofffetzen im mittleren Fach schien der Schrank leer zu sein. Beim Herausnehmen der Sachen stellten sich die Stofffetzen jedoch als Kleidungsstücke, genauer gesagt ein dunkelrotes Top, ein noch dunklerer Rock sowie schwarze Kniestrümpfe und Armstulpen, heraus. Viel interessanter war jedoch, was hinter der Kleidung verborgen gelegen hatte: ein elegantes Schwert mit einer dunkelsilbernen Klinge, einem schwarz umwickelten Griff und roten Schnörkeln ober- und unterhalb der Wicklung.
Als sie ihre Kleidung angezogen hatte setzt sie sich im Schneidersitz auf das Bett, das Schwert über die Beine gelegt, und betrachtete es nachdenklich. Auf der Klinge befanden sich einige dunkelrote bis bräunliche Flecken, bei denen es sich wohl zweifellos um Blut handelte. Hatte sie mit diesem Schwert jemanden getötet? Was führte sie bloß für ein Leben, dass sie mit einem Schwert durch die Gegend lief? War sie eine Abenteuerin? Hatte sie womöglich sogar einen Auftrag? Das würde zu den Worten der Frau passen.
Als habe besagte Person ihre Gedanken gelesen, trat sie nun wieder in das Zimmer. Überrascht sah sie die Elfin an. "Oh, wie ich sehe habt Ihr Euch bereits angezogen. Ein sehr hübsches Schwert ist das übrigens, nur... die Flecken... Ihr solltet es vielleicht reinigen. Ich hätte es ja getan, aber mir lief jedes mal ein kalter Schauer über den Rücken, wenn ich es nur zu lange betrachtet habe. Doch zu Euch scheint es zu passen. Fast, als würde das Schwert nur seine Besitzerin als Trägerin akzeptieren. Vielleicht ist das auch der Grund, warum eure Angreifer es zurückgelassen haben. Ach... ehe ich es vergesse: Hier ist eure Kette. Ich habe sie vom Schmied reparieren lassen." Die Frau holte aus der Seitentasche ihrer Schürze eine silberne Kette mit einem sehr detalliertem Wolf als Anhänger. Staunend betrachtete die Elfe das Schmuckstück, ungläubig darüber, dass sie soetwas schönes besaß. Es musste sehr wertvoll sein.
"Ihr habt so viel für mich getan... Wie kann ich Euch nur jemals dafür danken?", fragte die Elfe, nachdem sie sich die Kette um den Hals gelegt hatte und der Wolf nun auf ihrer Brust ruhte. "Findet so schnell wie möglich euer Gedächtnis wieder und führt euren Auftrag zuende, das wird Dank genug sein." Wieder klang die Stimme der Frau eigenartig, fast schon ein bisschen geheimnisvoll. "Mir scheint, als wüsstet ihr mehr über mich, als ihr preisgebt." "Ich weiß vieles, doch ihr müsst es selbst herausfinden. Ich kann Euch dabei nicht helfen. Meine Lippen sind versiegelt." Die Frau wandte sich erneut zum Gehen, hielt dann jedoch kurz inne und winkte die Elfe zu sich in das Wohnzimmer, wo die beiden sich an einen Tisch setzten und sich unterhielten.

Am frühen Abend saß die Elfe vor dem Haus, dachte über den bisher so verwirrenden Tag nach und befreite mühsam ihr Schwert von den hartnäckigen Blutflecken. Sie hatte nahezu den letzten Fleck knapp oberhalb des Griffes entfernt, als ihr Blick auf eine kleine Gravur fiel, die zuvor von der Blutkruste verdeckt gewesen war. Dort stand in zierlichen Buchstaben: Syriana. War das etwa ein Name? IHR Name? Konnte das sein?
Die Frau, die sich inzwischen als Bäuerin Mechthilde vorgestellt hatte, jedoch lieber Me genannt wurde, war unbemerkt hinter sie getreten und sagte nun: "Ah, du hast es also endlich entdeckt, Syri." "Ihr wusstest es, Me? Ihr wusstet die ganze Zeit meinen Namen und habt ihn mir nicht gesagt? Was wisst Ihr noch?" Syri schien zugleich verwirrt und aufgebracht. "Ich weiß vieles, mein Kind, das sagte ich doch bereits. Aber ich kann es dir nicht sagen. Es geht einfach nicht. Aber nun, da du deinen Namen entdeckt hast, bist du bereit für das, was dich erwartet. Du wirst alles zu seiner Zeit erfahren, Syri, dränge also nicht. Lass das Schicksal seinen Lauf gehen und versuche nicht es zu ändern. Hast du gehört? Versuche nie das Schicksal zu ändern."


Anmerkung von volpe:

habe den text bisher nur flüchtig nach jedem absatz auf fehler durchgeschaut, kann also sein, dass sich noch einige versteckt haben...

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