Dartmoor

Bericht zum Thema Andere Welten

von  Mac

Gegen fünf Uhr in der Früh stiegen wir am Sonntagmorgen ins Auto. Wir, das waren meine damalige Freundin Karin und ich. Ich weiss nicht mehr genau das Jahr, es war aber auf jeden Fall das Jahr, in dem der Euro-Tunnel eröffnet wurde. Oder der Sommer danach. Wir wollten nach Cornwall. Die Fahrt durch den Euro-Tunnel war für mich ein Muss. Das wollte ich erlebt haben. Fast kein Auto auf der Autobahn und so gelangten wir zügig durch Belgien und den Norden Frankreichs.

In der Nähe von Calais liegt das riesige Gelände der Eurotunnelgesellschaft. Sieht von weitem aus wie ein Flughafen. Bewölkt, und ziemlich kühl für Juni. Im Gelände ca. 20 Schranken wie bei einer Mautstelle. Bezahlt. Die Schranke öffnet sich. Duty-free shop. Zigaretten. Dann den Hang hinunter gefahren zum Autozug. Seitwärts auf das Shuttle drauf, ausgestiegen und ab ins Abteil.


Ein Knacken, dann eine Lautsprecherdurchsage. „Ladies und gentlemans. Welcome to the euroshuttle.  Your traincaptain is speaking. We arrive Dover in 35 minutes. The weather in Dover. Sunny, with some friendly clouds. We hope, you enjoy the journey.“
Ich kringelte mich in den Polstern vor Lachen. Ach, wie ich die snobistische Art der Engländer doch mag. Für eine 35minütige Zugfahrt solch eine Durchsage.

Dover. Vom Zug aus führt die Autobahn direkt nach London. 20 Meilen vor London
beginnt der Londoner Ring und ich schaue auf die Uhr im Wagen. 9:45. 4 ¾ Stunden von Jüchen nach London. Sozusagen, quasi, von einer Weltmetropole in die andere.  Mit dem Auto. Die Welt ist klein.


Doch ich will nicht nach London. Im Londoner Ring nehmen wir die Autobahn nach Südwesten, Richtung Cornwall und Wales. Ein Tommy in einem Porsche lädt mich zu einem Rennen ein. Ich behalte die Nerven. 200 km/h und drüber sind mir in England zu gefährlich. Das Polizeifahrzeug, 2 Minuten später, bestätigt mein Gefühl. Lächelnd fahr ich wenig später an meinem stehenden Kontrahenten, der sich in einem regen Gedankenaustausch mit der Autobahnpolizei befand, vorbei.
14:30. Ich bin in der Nähe von Stonehenge. Unglaublich. 9 ½ Stunden Fahrt bis hier einschliesslich Pausen. Wir finden ein nettes B&B Haus für ein paar Tage.


Cornwall. Land der Steinkreise und Künstler. Kleine Häuschen in rot, gelb, blau und grün sprenkeln die Landschaft. Künstlerkolonien. Gaukler, Schriftsteller, Maler und Musiker nennen diese Gegend ihre Heimat. Und dann die Sonne. So sanft, als hätte sich eine Lichtwelt zwischen die Sonne und die Erde geschoben. Unbeschreiblich.
Karin und ich hatten ausgemacht, auch ein oder zwei Tage im Dartmoor zu verbringen. Seit dem ich den „Hund von Baskerville“ gelesen und verschiedene Filme über das Dartmoor gesehen hatte, war ich ein Fan von dieser Gegend. Im Juni würde zwar kein Nebel auftauche, dachten wir, aber im Sonnenschein dieses Land zu sehen, hatte doch bestimmt auch was. Auf ins Dartmoor.


Wir nahmen die Landstrasse Richtung Plymouth und bogen dann ab auf eine single-track-road Richtung Dartmoor. Schon hatten wir das Schild „Dartmoor“ passiert. Es wurde nebelig. Karin und ich lachten herzhaft. „Yeah, dieses Glück können nur wir beide haben,“ meinten wir scherzend. „Dartmoor im Nebel.“


Eine Minute später lachte keiner mehr von uns. Der Nebel wurde immer dichter. Die vormals freundlichen Bäume am Strassenrand verwandelten sich in fahle Gestalten. Schneller wie 20 km/h konnte ich nicht mehr fahren. Der Nebel wurde jetzt undurchdringlich. 10 km/h. Die Bäume wurden zu Gespensterbäumen, deren Äste, wie Tentakel auf uns eindrangen. „Was willst du, Fremder?“ vermeinte ich eine Stimme in meinem Kopf zu hören. Der Nebel sprach zu mir? Das konnte doch nicht sein. „Es gibt keinen intelligenten Nebel“, meldete sich mein Logiksektor. Wie zur Antwort schlugen die Tentakel des Nebels mit solcher Wucht auf die Frontscheibe, dass ich schon das Geräusch splitternden Glases im Kopf hatte. Karin und ich krümmten uns auf den Vordersitzen. Da. Es wurde heller. Plötzlich eine Lichtung im Nebel. Sofort gab ich Gas. Nur weg hier. 10 Sekunden später dasselbe Spiel. 10 km/h. Tentakel. „Er spielt mit mir,“ dachte ich. „Der Nebel spielt mit mir.“ Ich fühlte die Nässe meines T-Shirts auf meinem Rücken. „Nur nicht provozieren lassen. Langsam fahren,“ nahm ich mir vor. Ca. eine Stunde dauert die Fahrt durch diese unwirkliche Gegend bevor ich nassgeschwitzt ein Haus, in dem nun lichter werdenden Nebel wahrnahm. Meine Blicke saugten sich sozusagen an einem etwas festem fest. Meine überreizten Nerven beruhigten sich wieder.
Kurz nach dem Haus sah ich im Nebel ein riesiges Gebäude. Menschen, nur als Schemen zu erkennen, verweilten vor dem Gebäude oder gingen ein und aus. Fahlgesichtige Gestalten, kaum zu erkennen. Ich stoppte am Strassenrand und wollte schon nach dem Weg fragen. Da fiel es mir wie Schuppen vor den Augen. Ich wusste, wo ich war. Princetown, Dartmoor. Englisches Staatsgefängnis, erbaut damals für die napoleanischen Kriegsgefangen. Heute erste Adresse für alle Schwerverbrecher des United Kingdoms. Berühmt, berüchtigt. Bewacht nur im Frontbereich. Nach hinten raus ans Moor grenzend. Eine Flucht ins Nebelmoor. Man würde Hunde hinterher schicken, die die Flüchtlinge noch weiter ins Moor trieben. Viele haben es probiert. Vielleicht 0,001 Prozent geschafft. Der Tod im Moor. Welch eine Perspektive zum Gefängnis.


Diesen lieblichen Platz hatte ich mir ausgesucht, um eine Auskunft zu erhalten. Gang rein und wegfahren war eins. Doch ich wusste nun, wo ich war und bekam Oberwasser. Innerlich grinsend fragte ich Karin ganz lieb: „Schatzi, sollen wir uns hier eine Übernachtungsmöglichkeit suchen? Ein nettes B&B house?“ Den überlegenen Mann spielen macht manchmal Spaß. Das waren die ersten Worte, welche wir miteinander sprachen seit unserem Lachen über Dartmoor. Alle Anspannung Karin`s kam mit einem Schlag aus ihr raus: „Fahr bloss weiter, du Idiot. Du bist ja total bescheuert. Keine Sekunde bleibe ich länger hier.“ Ich kicherte und meinte zu Karin, mit einem englischen *please* hätte die Antwort bestimmt höflicher geklungen.  Wir fuhren aus Princetown raus und mit einem Schlag war der Nebel verschwunden. Die Landschaft war herrlich. Einzelne Tiergruppen waren über die einsamen Wiesen des Moores verteilt wie gemalt. Dazu eine strahlende Sonne. Die Strasse führte uns in das Tal des Darts. Wir erreichten schließlich *Two Bridges“, ein Hotelrestaurant allererster Sahne. Ganz für sich allein gelegen mitten im Dartmoor, in der Nähe des Flüsschen Dart, der dort von zwei malerischen Brücken überspannt wurde. Eine umgebaute Kutscherunterkunft des Prinzen von Cornwall aus dem 17. Jahrhundert. Jetzt ein First-Class-Hotel.
Gegen eine Rast hatten wir beide nichts. Wir betraten das Restaurant und waren wieder in einer anderen Welt gelandet. So, als würden wir ein paar hundert Jahre zurückgebeamt.


Der ganze Raum atmete die wohlige Kraft alter Eichen-  und Buchenwälder. Alles war aus reinem Holz geschaffen. Die Treppe, die zu den Zimmern führte, knarrte wie eben alte Treppen knarren sollen. An den Wänden hingen handgemalte Bilder und auch einige Portraits von Filmschauspielerinnen wie Vivian Leigh und Audrey Hephburn. Unter den Hollywood-Akteuren der Nachkriegszeit war „Two Brigdes“ ein Muss. Auch Queen Elizabeth II. und andere Nachkriegsgrößen hatten hier übernachtet. Die tiefen Decken waren aus dunklen, schweren Eichenbalken. Der Raum wurde von Kerzenleuchter in jene Helligkeit versetzt, die so anheimelig wirkt.. Auf den Tischen sah ich silbernes Geschirr, handgearbeitet natürlich.
Appetit hatte ich eigentlich auf apple pie with cream and coffee. Aber coffee wäre Stilbruch gewesen. Ich entschied mich für strawberries, cream and tee. Natürlich mit Messer und Gabel wurden die Erdbeeren gegessen. Wie gesagt, ich mag die snobistische Art der englischen Upper Class. Ich muss nur aufpassen, dass ich nicht zu sehr innerlich lache. Erstickungstod wäre die Folge, denke ich.


Leider konnte ich Karin partout nicht überreden dort für eine Nacht zu bleiben. Der Schreck von vorhin steckte ihr bestimmt noch in den Knochen. Wenn ich an „Two Bridges“ zurückdenke, gefällt mir noch immer der Gedanke, dort eines Tages mal zu nächtigen.
Nach dem Essen beschlossen wir, im herrlichen Sonnenschein ein wenig im Dartmoor zu wandern. „Der Sonnenschein wird bestimmt Balsam sein für unsere überreizten Nerven,“ dachten wir. Am Ufer des Darts gingen wir über die saftigen Wiesen hügelwärts. 500 Meter von „Two Bridges“ entfernt spannte sich einer der Brücken über den River Dart. Kaum hatten wir die Brücke erreicht, kam der Nebel zurück. Mit einer Geschwindigkeit, die ich einfach nicht für möglich hielt. In Sekunden standen wir auf der Brücke im dichtesten Nebel. Ging das Spiel von vorne los? Ich packte Karins Hand, ich konnte sie kaum erkennen, und schritt über die Brücke. Die Brücke führte nämlich auf die Strasse. Das war mir viel lieber, als irgendwo im Moor zu landen. Wir mussten nur hügelabwärts der Strasse folgen, dann kamen wir automatisch in „Two Bridges“ an. Diesmal würde ich dem Nebel ein Schnippchen schlagen, nahm ich mir vor. Hatte ich euch schon erzählt, dass ich Horrorfilme hasse? Kein Ton war zu hören, als wir uns vorsichtig über die Strasse bewegten, immer darauf achtend, dass Teer unter unseren Schuhen war. Kein Ton bis auf ein „tak,tak“ und wieder „tak,tak,tak. „Wenn jetzt noch ein großer Hund anfängt zu heulen,  dreh ich durch,“ dachte ich. Wir blieben stehen. Kein Geräusch. Wir bewegten uns wieder. „tak,tak,tak!“ Das Geräusch kam näher und näher. Nichts zu sehen. Resignierend blieben wir wieder stehen. Komme, was wolle, wir wollten es sehen. „Tak,tak,tak,tak“. Noch näher. Und dann ein Schnauben. Höchstens zwei Meter von uns entfernt. Der letzte Meter. Es war soweit. Ein kleiner Pferdekopf schälte sich aus dem Nebel und sah uns an. „Ein Pony,“ lachte ich. „Eins der wilden, frei lebenden Dartmoor-ponys.“ Wir hatten die Pferdehufe auf dem Asphalt gehört. Ach, hätte ich jetzt dort noch ein Zuckerklümpchen vom Tee. So tätschelten wir nur die Nase des Ponys. Dieses schritt nun an uns vorbei die Strasse runter in Richtung „Two Bridges“. Das Pony kannte den Nebel. Ihm machte es nichts aus darin zu wandern. Wir folgten schnell unserem Führer und bald lichtete sich wieder der Nebel. Jetzt hatte ich auch die Nase voll vom Dartmoor. Wir stiegen ins Auto und fuhren wieder Richtung Cornwall im strahlenden Sonnenschein natürlich. Bis heute habe ich das Gefühl, dass dieser Nebel dort intelligent ist. Vielleicht ein heimlich gezeugtes Kind der Elemente und deshalb verbannt ins Dartmoor. Nur lebensfähig dort?
Wir fuhren also wieder nach Cornwall und Devon. In das Land von Stonehenge, des Ring of Aveburry, (für diejenigen unter euch, die fliegen lernen wollen wie ein Vogel, sehr empfehlenswert) und King Arthur`s Land and Castle.

Auch du, Avalon, solltest einst dort beheimatet gewesen sein. Doch an dem Platz, der dort ausgewiesen ist als deine Heimat, da warst du nicht. Keine Energien. Nur spöttisch über mich grinsende Sylphen. Du kannst dich nicht in der Zeit verstecken, ich werde dich finden. Smile.

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Kommentare zu diesem Text

jovanjovanovic (61)
(09.08.10)
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 Mac meinte dazu am 09.08.10:
danke schön, jovan. ich habe versucht die meist etwas langatmigen erzählungen hier durch eine etwas andere schreibweise zu kompensieren.
lg mac
leilah (48)
(12.08.10)
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 Mac antwortete darauf am 12.08.10:
danke schön, ute. ja, cornwall und devon sind schon bemerkenswert. falls ihr die möglichkeit habt, dorthin zu fahren, nehmt die gelegenheit wahr. das land wird euch erzählen, viel besser als ich dies kann. lg mac
leilah (48) schrieb daraufhin am 14.08.10:
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 Dieter_Rotmund (07.01.20)
"Karin`s"
Ein klassisches Deppenapostroph.
Sorry, heisst aber so.
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