Der Literat

Kurzgeschichte zum Thema Literatur

von  Malik

Dieser Text ist Teil der Serie  Sei. Oder rede.
Kurzgeschichten sind mir ein Graus. Genauer gesagt: ich lese sie nicht gerne. Kaum hat man angefangen, fällt man unversehens über die Klippe des letzten Satzzeichens ins Leere - bei gedruckten Büchern meist kurz nach dem Umblättern, wenn man gerade die Fortsetzung am oberen Seitenrand mit den Augen hat fixieren können, und sich noch nicht im Klaren darüber ist, dass die Kürze der fünften Zeile nicht etwa dem Ende eines Absatzes geschuldet ist, sondern den Leser auf heimtückische, ja nachgerade hinterhältige Weise ins Nichts stürzen lässt.

Und dann? Gedanken im freien Fall, Satzfetzen flatternd hinter sich her gezogen, rasen unaufhaltsam auf die harte Realität am Boden der Tatsachen zu. Whammm.

Aus genau diesem Grund möchte ich auch nie Kurzgeschichten schreiben. Ich könnte die Enttäuschung des Lesers nicht ertragen - sei sie nun real oder nur meiner Einbildung geschuldet, die mir als mit zu viel Phantasie ausgestattetem Menschen immer neue Horrorszenarien über literarische Racheaktionen vorgaukelt (vorausgesetzt, ich würde überhaupt so gut schreiben können, dass auch nur ein einziger Leser nach dem Ende der Lektüre meiner Zeilen enttäuscht wäre - aber nehmen wir einfach zugunsten meines hier schriftstellernden literarischen Ichs einmal an, es wäre an dem), denn nichts erschiene mir schlimmer, als fremden Menschen, die sich vielleicht gar frohen Mutes an meine Texte wagen, seelische Schmerzen der Art zu bereiten, wie ich sie bei Kurzgeschichten - oder genauer, bei deren Ende - meistens empfinde.

Davon abgesehen bleibt in einer Kurzgeschichte, wie ich sie vielleicht schreiben würde, wenn ich es könnte und wenn meine oben beschriebene geistige Verfassung dem nicht entgegenstünde, viel zu wenig Raum für die Entwicklung eines - und sei es auch nur gedanklichen oder virtuellen - Handlungsstranges; kaum hätte ich mich beim Schreiben der Stelle genähert, an der nun endlich eine Person eine Handlung vornimmt und somit den eigentlichen Ablauf des zu erzählenden Inhaltes beginnen lässt, wäre der knappe Platz, den ich mir eingeräumt hätte, um den Text noch als Kurzgeschichte ausgeben zu können, statt Roman dazu sagen zu müssen, vollgeschrieben. Für die eigentliche, spannende Geschichte, die ich selbst so fesselnd finde, dass ich sie unbedingt erzählen muss, bliebe - kurz gesagt - so gut wie kein Raum mehr; ja, es wären nur noch so wenige Zeilen verfügbar, dass ich mich einer extremen Verdichtung befleißigen müsste, die aufgrund meiner sprachlichen Eloquenz zwar mühelos zu bewältigen wäre, das Finale der Kurzgeschichte jedoch zweifelsohne aus eben diesem Genre herauskatapultieren und auf eine neue literarische Ebene heben würde.

Ich möchte damit keinesfalls andeuten, dass ich überhaupt in der Lage bin, Literatur auch nur auf dem untersten, gerade noch akzeptablen Niveau zu schreiben (und, wie gesagt, schon gar nicht als Kurzgeschichte), aber selbst unter der Annahme, dass nicht ich, sondern mein Protagonist derartige Ambitionen und Fähigkeiten besäße, wäre es mir unmöglich, diesen Fertigkeiten im Rahmen einer Kurzgeschichte auch nur annähernd gerecht zu werden - vielmehr würde sogar mein schriftstellerisch hochbegabtes alter ego mit dem Versuch scheitern müssen, innerhalb eines solchermaßen beengenden Rahmens auch nur einen ersten Eindruck von der Urkraft seines literarischen Ausdrucks zu vermitteln.

Schon an dieser Stelle - so viel sei fairerweise gesagt - reicht der Platz eigentlich nicht einmal mehr für die Einführung des Protagonisten aus; es ist also müßig zu beschreiben, dass es sich um einen leicht angedickten Mittvierziger handelt, der die Enge seines zwischen Schreibtisch und Wand quasi unbeweglich eingeklemmten Bürosessels mit bedächtig getippten literarischen Höhenflügen kompensiert, während er für alle, die ihn von den anderen Arbeitsplätzen aus beobachten, den Anschein erweckt, mit der Restrukturierung kniffliger Bedingungskonstruktionen in einer obskuren Programmiersprache beschäftigt zu sein, deren Kenntnis ihm diesen Arbeitsplatz an der kühlen Außenwand des Gebäudes erst verschafft hat.

Noch weitaus unsinniger wäre es allerdings, jetzt, wo sich der durch eiserne Selbstdisziplin strikt beschränkte Platz für die Kurzgeschichte dem Ende zuneigt, auf die weiteren heimlichen Aktivitäten ebenjenes Protagonisten hinzuweisen, die den eigentlichen Grund dafür bilden, dass diese Geschichte überhaupt des Erzählens oder Aufschreibens würdig zu sein scheint. Nein, es bleibt nun nur noch eine einzige Zeile, in die die gesamte Handlung gepresst werden muss, bevor die Geschichte mit den bereits oben beschriebenen unerfreulichen Folgen für diejenigen Leser, die genau wie ich Kurzgeschichten ganz und gar nicht leiden können, ihr unvermeidliches Ende findet - und diese Zeile wird aufgrund ihrer starken, ja schon beinahe lyrisch zu nennenden Verdichtung wohl für die meisten Leser trotz - oder vielleicht gar wegen? - ihrer unzweifelhaft umfassenden Bildung und Intelligenz unverständlich bleiben.

Wumm. Krach. Aaaaaargh. Stille.


Anmerkung von Malik:

TbD gewidmet, der aus irgendeinem, mir nicht ersichtlichen Grund auf eine Kurzgeschichte von mir erpicht ist. Tut mir leid, alter Junge.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (23.06.11)
Der Protagonist kann tatsächlich keine Kurzgeschichten schrieben, er macht nämlich viel zu lange Sätze. Finde ich.
Wobei mir der erste Absatz eine schöne Einleitung ist, dann wird es für meinen Geschmack aber etwas zu fahrig...
The_black_Death (31)
(06.08.11)
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AronManfeld (43)
(28.01.13)
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Wehner (41)
(28.01.13)
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AronManfeld (43) meinte dazu am 28.01.13:
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Wehner (41) antwortete darauf am 29.01.13:
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KoKa (44) schrieb daraufhin am 29.01.13:
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