Die sechs Damen

Text zum Thema Beziehung

von  Muuuzi

Die kleine Uhr mit dem kaputten Ziffernblatt tickte. Die sechs Blonden saßen schweigsam um den verbrauchten Eichentisch und lauschten ihrer monotonen Melodie, bis ein schnurrbärtiger Kellner kam, um ihre Bestellung aufzunehmen. Sein Gehen war schwer und mühsam, doch er ließ es nur ungern erkennen.

„Ich hätte gerne ein Glas Himbeersaft, nicht zu warm! Aber ohne Eiswürfel. Niemand mag Eiswürfel in Getränken um die Winterszeit, verstanden. Ich habe eure geldsparende Verkaufsstrategie satt, Eiswürfel in die Gläser zu füllen, damit ihr weniger Getränk verwenden müsst.“, erklärte die Erste.
Unverfroren und stark blickte sie dem Mann ins Gesicht. Ihre kleinen Falten ließen Gnade nur selten walten. Ihre blonden Haare umrahmten ihr blasses Gesicht, das keine Röte auf den Wangen trug. Sie musterte einen Senffleck, den der Kellner auf seiner verschwitzten Schürze preisgab und war nun wieder schweigend geworden. Niemand wagte es, sie von ihrem arroganten Ross zu stoßen. Die anderen beneideten sie für dieses Selbstvertrauen.

„Natürlich, Madam.“, antwortete stotternd der Verlegene, als er seine Sprache wiedergefunden hatte.

„Ich hätte bitte gern ein großes Bier.“, sagte die Zweite, die direkt neben der Ersten saß. Sie liebte die Einfachheit und die Tradition ihres Landes. Auch sie hatte blondes Haar, das streng zu einem geflochtenen Zopf gebunden war. Ihr Dialekt war alt und doch lag eine Brise Kühnheit darin. Sie hatte eine gesunde Farbe im Gesicht und war dem Kellner freundlich gestimmt. Sie mochte den Alten und schenkte ihm ein verlegenes Lächeln.

„Nur Wasser!“, murmelte die Schüchterne unter ihnen. Die anderen Frauen nannten sie Lulu.
Sie gebrauchte  fast nie Wörter, stattdessen hörte sie den anderen Frauen interessiert wirkend zu und nickte im ordentlichen Rhythmus, um Zustimmung und Anteilnahme auszudrücken.

„Wollen Sie sonst noch etwas?“, fragte der Kellner liebenswert.

„Sie will nur Wasser, Dummkopf!“, erwiderte die Erste. „Ansonsten hätte sie zusätzlich etwas bestellt!“

„Selbstverständlich!“, antwortete er klein.

Das Gasthaus war bereits verwahrlost und hinterließ graue, einsame Spuren des Verfalls. Es gab nur einen Wirt und den bereits ergrauten und gebrechlichen Kellner, der bereits Jahre ein treuer Wegbegleiter des Eigentümers war. Die Damen kamen beinahe jeden Donnerstagabend um dieselbe Zeit und blieben genau 2 Stunden, ehe sie gemeinsam die vermoderte Gaststube verließen.

Die Theke, die gegenüber des Eichentisches stand, war schon einige Zeit nicht mehr in Betrieb. Die alten Schnapsgläser waren verstaubt und vertrocknet, die Etiketten beinahe unkenntlich. Zarte Schriftzüge ließen nur erahnen, was früher mit dicker und deutlicher Schrift zum Verkauf angeboten wurde.
Die vierte Dame bestellte einen Glaskaffee und ein eckiges Schokoladenstückchen, die Fünfte unter ihnen wollte einen Eistee in einem besonders hohen Glas.

„Was darf ich Ihnen bringen?“, fragte er die Letzte.

„Nichts, danke!“

Diese Antwort hörte er jedes Mal. Dann ging er, ehe er mit den 5 Gläsern zurückkehrte.

Die Damen dankten ihm, dann erst begannen sie mit ihrem Gespräch.

„Es ist schön, nicht allein zu sein. Ich bin gerne bei euch. Ihr versteht mich. Mit euch kann ich über alles reden!“, sprach die Dame mit dem Eistee zu den anderen. „Ihr seid meine wahren Freunde.“

„Da kann ich nur zustimmen!“, erwiderte die Selbstbewusste und nippte an ihrem angenehm warmen Saft. „Ihr seid mein größtes Publikum, das ich sonst nirgends gefunden hätte. Ich brauche niemanden außer euch. Ihr seid alles für mich, meine wahren Freunde!“

„Ganz egal, was alle anderen sagen!“, sagte die Schüchterne plötzlich.

„Hauptsache wir sind glücklich! Hauptsache wir bleiben immer Freunde und halten zusammen!“

„Auf die Freundschaft!“, stimmte die Erste an.
„Auf die Freundschaft!“, sagten die anderen in einem zustimmenden, lärmenden Atemzug. Nur die Dame ohne Glas starrte die anderen unglücklich an.

Dann sprachen sie über alltägliche Dinge und ihren darin verborgenen, oftmals verlorenen Sinn. Sie mochten Geschichten, Bücher und Weisheiten.

„Ich muss gestehen, ich finde den Schluss in einem Buch oder in einem Film am wichtigsten, obwohl und weil ich ihn immer vergesse. Er soll herausragend sein, er soll mich regelrecht umwerfen, versteht ihr!“, meinte Eine während einer anfangenden Diskussion.

„Nein, nicht genau“, erwiderte die Patriotin und nahm einen großen Schluck. Ihr Name war Frida. „Erklär es mir doch bitte nochmal!“

„Nun ja. Ich finde einfach, dass der Schluss der Höhepunkt sein sollte. Die überraschende Wendung, der Knalleffekt, die wunderbare, befriedigende Explosion, die einem Orgasmus gleichkommen soll. Der Schluss sollte unerwartet sein und der Geschichte den entscheidenden Sinn geben. Ich habe entdeckt, dass ich keine Bücher oder Filme mag, die enden oder schön abschließen. Der Schluss sollte kein Abschluss sein, sondern eine Auflösung. Eine Geheimnislüftung!“

„Ich mag eher Happy Ends!“, erklärte die Kaffeetrinkerin. „Sie sind wunderschön und bringen mich zum Weinen!“. Sie nippte an ihrem Getränk, stellte ihr Glas nieder und vermischte den Milchschaum mit dem schwarzen Gebräu darunter.

„Blödsinn. Das ist doch alles Kitsch! Glaubst du wirklich, dass es diese hollywoodverseuchten Happy Ends wirklich gibt? Also ich finde diese Dinge langweilig.“, meinte die Eisteetrinkerin. „Im Übrigen endet die Geschichte nicht. Sie zeigt nur eine Zeit, in der alles wunderbar ist.“

„Unerwartete Schlüsse, plötzlich auftretende Ideen oder verrückt Dahingestelltes sind die Krone der Geschichten!“

„Ich mag Selbstmorde!“, schrie Eine dazwischen und grinste. Alle anderen starrten sie an, ignorierten sie jedoch bald.

„Wie könnt ihr nur alle den Schluss am Wichtigsten finden? Nein! Die Einleitung ist doch viel bedeutender. Wie eine Geschichte aufgebaut ist, wie sie einem fesselt, was sie bewegt, überhaupt an diesen einem Zeitpunkt zu beginnen. Es ist Kunst, wenn man einen spannenden Anfang findet und zum Weiterlesen anregen kann. Nicht, wie eine Geschichte endet, sondern wie sie beginnt“, erwiderte eine Andere unruhig. „Der Anfang muss vor dem Ende bestehen und verführen können, damit das Buch gerne gelesen werden kann.“

„Anfang, Hauptteil, Schluss, alles Kinderei! Richtige Autoren verstehen es, aus dem Volksschulwissen auszubrechen und gegen jene Regeln zu verstoßen!“, sagte plötzlich die Biertrinkerin wütender.

„Wie auch immer. Der Schluss muss dennoch besonders sein, damit die Geschichte hängen bleibt und ihr Aroma verliehen bekommt! Man will sie dann nochmal lesen und entdeckt viele neue Dinge in ihr verborgen!“, meinte die Himbeersaftliebhaberin.

Die Nichtstrinkende starrte müde in die Runde und versuchte dem Gespräch zu folgen. Ihre Augen waren geschwollen. Ihr Wohlbefinden schien zu leiden. Sie merkte, wie die anderen sie ohnmächtig ignorierten, damit sie nicht über ihre Probleme reden mussten.

Die Frauen wechselten bald das Thema und unterhielten sich über Unwichtiges. Manchmal kam der Kellner und sah nach dem Rechten, doch sie ignorierten ihn meistens. Nur einmal schrie ihn die Selbstbewusste in verständnislosen Ton an:
„Wir haben es satt, dass man uns immer alleine in einen gastlosen, leeren und verkümmerten Raum steckt. Warum werden wir von den anderen Trinkern getrennt und isoliert? Wir sind doch keine Lärmmacher!“

„Das haben wir doch schon geklärt!“, sagte er traurig. „Es tut mir leid!“

Eine von den Frauen wühlte währenddessen in ihrer Handtasche. Sie zog rasch ein kleines, eckiges Päckchen heraus, steckte eine Zigarette, die darin aufbewahrt war, in ihren Mund und zog hastig daran.  Danach blies sie den nackten Rauch in die warme Stube. Der Kellner war wieder verschwunden.

Die Frauen merkten, dass es der Frau ohne Glas immer schlechter ging. Sie wirkte verloren, gequält und zerbrochen. Doch sie konnten nicht mit ihr darüber reden, da sie sie nicht verstanden. Schon einmal hatten sie den Versuch gestartet. Dann hat die Frau nur geweint und sie fassungslos angeschrien.
„Lasst mich doch bitte in Ruhe!“, sagte sie damals.

„Ich habe die Gespräche satt. Nicht mal ihr versteht mich… ihr wollt immer nur euch selbst verstehen!“

Die Freundinnen verstanden sie wirklich nicht. Das mussten sie tapfer zugeben.

Die Frau starrte nun auf ihr unsichtbares Glas und schwieg.
Der Kellner beobachtete sie heimlich, da er sie sehr merkwürdig fand. Da stand die Frau auf und verließ den ungeheizten Raum, in dem sie sich befand. Die zwei Stunden waren vorüber und es war Zeit zu gehen. Sie gab dem Kellner sechs Mal in unterschiedlicher Weise die Hand und schloss die Tür hinter sich.

Die fünf Gläser standen ausgetrunken am leeren, unbewohnten Tisch. Ihre Gedanken hatten an diesem Abend großen Durst.
Der Kellner wusste, dass sie krank war. Ihr Vater, der Wirt, hatte es bereits erwähnt, obwohl es nicht nötig war.
Sie war für ihn die Frau mit den fünf Gläsern.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (08.01.14)
"Die kleine Uhr mit dem kaputten Ziffernblatt tickte. Die sechs hellhaarigen Frauen saßen schweigsam um den alten, verbrauchten Eichentisch und lauschten ihrer monotonen Melodie, bis ein alter schnurrbärtiger Kellner kam, um ihre Bestellung nicht unfreundlich aufzunehmen. Sein Gehen war schwer und mühsam, doch er ließ es nur ungern erkennen."

(Hervorhebungen von mir)
Nichts für ungut, aber schon der erste Absatz ist ein geradezu groteskes Adjektiv-Bombardement!

 Muuuzi meinte dazu am 08.01.14:
Na und? Ich steh drauf.

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 08.01.14:
Das darfst Du, dir sei aber bitte bewusst, dass Viele Adjektive = viel vorgekaut = anspruchsloser Text = Nix Zum Nachdenken = unmündiger Leser = schlechte Trivialliteratur. Dies auf die Schnelle und in aller Kürze.

Bitte hier an dieser Stelle keine weißen Ritter, die sich für Muzi heldenhaft ins Schlachtgetümmel stürzen wollen, ich bin an keiner Schlacht interessiert!

 Muuuzi schrieb daraufhin am 08.01.14:
Alles klar. Deine meinung halt. Ach... Die brauch ich auch nicht. Bin schon ein großes mädchen und kann das verkraften :)

 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 08.01.14:
"... meinung halt. Ach... Die brauch ich auch nicht"
Nun, wenn Du bzw. Deine Texte nicht kommentiert werden sollen und keiner seiner Meinung darüber äußern darf/soll, dann gibt es die Möglichkeit beim Einstellen die Funktion, dass der Text nicht kommentiert werden kann...
Dies nur als Vorschlag, damit sich zukünftig andere nicht umsonst die Mühe machen.

 Muuuzi ergänzte dazu am 08.01.14:
klar brauch ich meinungen. Nur verletzen sie mich nicht. Also was soll ich sagen? Dass ich auf deine berühmte liste will? Nein wirklich nicht. Mühe machen lieber dieter_rotmund? Ich denk nicht dass dies der fall bei dir war. Aber gut. Danke für deinen kommentar, den ich zur kenntnis genommen hab, aber der mich dennoch nicht runtermacht. Lass mich ruhig ein bisschen lachen :)

Ach ja: mit die brauch ich auch nicht meinte ich die weißen ritter.
(Antwort korrigiert am 08.01.2014)

 Judas meinte dazu am 19.03.14:
Ich finde Dieters Kritik berechtigt. Ich denke auch nicht, dass er dich beleidigen wollte damit. In der Tat können zu viele Adjektive gerade in einem so langen, erzählenden Text störend wirken. Bei einem Bild oder einer Skizze, was von adjektiv triefenden Metaphern beherrscht wird, kann eine ganz andere Wirkung erzielt werden. Solche Texte sind aber in der Regel auch viel viel kürzer. Es steht dir natürlich frei zu sagen "Na und? Mag ich halt so!" aber das klingt irgendwie trotzig und sollte es nicht, oder?

 Muuuzi meinte dazu am 20.03.14:
Nein, trotzig bin ich nicht. Nur habe ich erstens einige Adjektive gestrichen und zweitens seine Kritik als eher wenig konstruktiv empfunden.
Was sollte das mit den weißen Rittern? Sowas finde ich etwas daneben. Aber gut... jeder wie er mag.

lg

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 20.03.14:
Sorry, das mit den weißen Ritter ist so ein Forumsphänomen, für das Du zunächst nichts kannst, das aber in solchen Diskussionen manchmal auftaucht.
Was ist denn "konstruktive Kritik"? Was kann den noch konstruktiver, ergo hilfreicher (?) sein als auf handwerkliche Schwachstellen explizit hinzuweisen?

 Muuuzi meinte dazu am 20.03.14:
Naja... die Übertreibung mit der schlechten Trivialliteratur hätte nicht sein müssen. Hab nichts dagegen, wenn man mir seine eigene Meinung mitteilt (auch wenn sie barsch und direkt ist). Dennoch lehne ich Verallgemeinerungen eher ab.
Trotzdem danke für die Mühe. Habe, wie gesagt, einige Adjektive weggelassen. Aber um deinen Geschmack zu treffen, muss ich wahrscheinlich den ganzen Aufsatz weglassen.
Nichts für ungut. Wollte nicht trotzig sein.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram