Es war in meinem Lieblingsmonat, im September. Ich saß unter einem Baum und spielte selbstvergessen Flöte. Ich versuchte, mein Spiel dem Rhythmus des gemächlich vorbeiziehenden Flusses anzupassen. Der Fluss raunte Geschichten von längst vergangenen Sommern, von Lastkähnen, die er von Ort zu Ort getragen hatte. Ab und zu schnellte ein Fisch empor und hinterließ Kreise auf der Wasseroberfläche.
Ich hatte sie nicht kommen hören. Auf einmal saß sie neben mir im Gras. Sie hatte rotes Haar und trug ein bunt geblümtes Sommerkleid. Ich fand sie schön.
"Das hat sich gerade angehört wie ein gewaltiges Orchester: das Murmeln des Flusses, das Rauschen der Bäume, der Gesang der Vögel, das Wispern der Gräser und dazu dein Flötenspiel .Die ganze Welt war ein Musikstück. So habe ich mir die Sphärenklänge immer vorgestellt", sprach Dagmar.
Sie erregte alle meine Sinne. Ihr Anblick, der Klang ihrer Stimme und das Leuchten ihrer Augen überfluteten mich mit einer Woge des Erkennens. Wir hatten Freude aneinander, sie an mir und ich an ihr.
Als Dagmar mich berührte, begriff ich endlich: Ich habe mich in sie verliebt. Es war bereits geschehen. Dagmar schmiegte sich an mich, lautlos schnurrend wie ein Kätzchen. Sie wurde meine Geliebte. Wir erlebten miteinander Abenteuer der Gefühle. Wir sprachen niemals über Frauenliebe, sondern wir lebten sie. Das Ich verband sich mit dem Du zu Einem. Wir ergänzten uns phantastisch.
Wir erlebten erotische Höhenflüge und körperliche Grenzenlosigkeit, bis der Tod uns trennte. An Dagmars Grab weine ich noch heute. Sie fehlt mir schmerzlich. Sie war der absolute Höhepunkt in meinem Leben. Mit der Erinnerung an sie verbinde ich noch immer höchstes Glück, Genügsamkeit und tiefen Frieden.
Heute bin ich alt und mein erotisches Empfinden ist verblasst. Doch wenn Dagmar wieder käme, wäre ich so jung wie damals.