Der Runenstein

Kurzgeschichte zum Thema Horror

von  Kot-Producer

Die Luft war frisch an diesem Abend. Die Vögel zwitscherten von den großen knorrigen alten Bäumen, die ein dichtes, saftig grünes Blätterkleid trugen. Die Grillen zirpten laut auf den verwilderten Wiesen und die Sonne, die vom blauen Himmel mit vereinzelten Wolken schien, legte ihre wärmenden Strahlen sanft auf meine Haut, als ich den kühlenden Wald verließ und meine Wanderung auf dem Kiesweg am Waldrand fortsetzte.

Nun hatte ich einen freien Blick auf das Tal. Der Kirchturm des kleinen, verschlafenen Dorfes ragte zwischen den Dächern hervor. Mein Heimatdorf. Seit meiner Kindheit kannte ich diese Gegend. Doch erst jetzt, wo ich nur noch selten hierherkam, nahm ich ihre Schönheit und Idylle war. Ich musste an meine Kindheit denken. Damals bin ich diesen Weg oft gelaufen.

Ich kam an die Kreuzung, an der der Rundweg endete, den ich am Morgen beschritten hatte. Der rechte Weg führte wieder in den Wald hinein, der linke führte über die weiten Felder ins Tal. Ein kleiner Bach entsprang hier einer Quelle.

Ich blickte ein letztes Mal in den Wald hinein und sah unmittelbar vor dem ersten Baum einen rechteckigen Stein, der mit Moos überwachsen war. Solche Steine gab es hier zu Hunderten. Sie markierten irgendwelche alten Grundstücksgrenzen. Doch dieser Stein schien bei näherer Betrachtung irgendwie anders zu sein. Ich konnte nicht sagen warum. Er hatte eine seltsam anziehende Wirkung auf mich. Ich näherte mich dem Stein, kniete mich hin und kratzte einen Teil der Moosschicht ab.

Darunter waren Zeichen zu sehen. Seltsame alte Runen, die eine unnatürlich verschnörkelte Form hatten. Ich kannte diese Zeichen nicht, wusste nicht einmal in welcher Sprache sie geschrieben waren, doch als ich sie las, formten sich Worte in meinem Kopf, von einer fremden, wirren, uralten Sprache. Worte, die komplett falsch und unheilerregend klangen. Dann kam eine weitere Stimme hinzu, schriller. Und dann eine weitere und noch eine, bis die Worte zu einen entsetzlichen Schrei verschmolzen. Mir lief ein eiskalter Schauer über den Rücken.

Es war der Schrei einer verlorenen Seele, die unermesslich entsetzliche Qualen erlitt. Ein Schrei der nicht von dieser Welt kam. Ein Schrei aus der Hölle, der sich tief in meine Seele brannte. Und einen Moment fühlte ich es, fühlte die Qual und die Pein, fühlte den unendlichen Schmerz, fühlte wie der Himmel sich verdunkelte und die Wolken sich schwarz färbten, hörte, wie sich das Zwitschern der Vögel zu einen ächzenden, gequälten Schrei verzerrte, sah wie der Wald und die Wiesen im tosenden Feuersturm verbrannten und zu Staub zerfielen. Dann war alles still,  kein Vogel war mehr zu hören, die Grillen waren verstummt. Nicht einmal das leise gluckern der Quelle war zu hören.

Warum musste ein Mensch ein solches Werk schaffen? Warum musste er diese furchtbaren Zeichen in den Stein meißeln? Diese schreckliche Nachricht, die die Natur verspottete. Dieser Schrei, der wider alles Guten, durch die Landschaft schallte und alles Schöne verblassen ließ. Vom Wahnsinn getrieben richtete mich auf und rannte panisch in das Tal hinab. Die untergehende Sonne schien in bedrohlichen orange auf die Felder, als ob sie mich verspotten wollte. Ich bin seitdem nie wieder in meine Heimat zurückgekehrt. Ich höre heute noch das Echo dieses furchtbaren Lautes in meinem Kopf nachschallen.

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Kommentare zu diesem Text


 Judas (02.06.15)
Lovecraft lässt grüßen? :) Gefällt mir.

 Kot-Producer meinte dazu am 03.06.15:
Ich bin ein großer Fan von Lovecraft. Freut mich, dass man das ein wenig raushört

 Judas antwortete darauf am 12.06.15:
Nach nochmaligem Lesen zum Favoriten ernanntn. Lovecrafts Erbe ist einfach zu cool.
Metulskie (32) schrieb daraufhin am 14.06.15:
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 Judas äußerte darauf am 14.06.15:
Ja, ohne geht's nicht. Lovecraft ist sicher auch nicht jedermanns Geschmack...
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