Introxilium

Kurzgeschichte zum Thema Horror

von  RainerMScholz

Tief. So tief ist es und dunkel. Ich habe mich verirrt, weiß nicht, wo ich bin, aber ich gehe immer weiter. Manchmal blitzt es in der Ferne, hellgrün, grellviolett oder rosarot, und dann stürze ich zu Boden, vielmehr falle ich und falle, denn da scheint kein fester Boden zu sein, kein Ende und kein Halt.

Am schwarzen Horizont scheinen zwei Öffnungen ins Freie zu führen, aber je länger ich auf sie zulaufe, umso weiter scheinen sie sich zu entfernen.

Dunkle Schatten, die um meine Beine streifen. Es könnten Lebewesen sein. Sie haben vielgliedrige Strukturen, ich kann es erahnen, wenn ein Blitz aufspringt oder ein Irrlicht scheint wie über einem Nebelmoor, für Sekunden, vielleicht für unbekannte Ewigkeiten. Immer führt ein Weg in die Tiefe, immer hinab, hinter verfinsterten Ecken und Winkeln führen Wendeltreppen in die Keller, Spiralbahnen ins Endlose; und die Schwere macht mir zu schaffen, als änderten sich unablässig die Grade der Gravitation; nur mühsam atme ich wie durch Masken, mein Körper scheint unförmiger, als ich mich erinnere.

Etwas kreuzt meinen Weg. Ich starre es an. Es ist ein borstiges, aufrecht gehendes Schwein mit einem Zigarrenstumpen im Winkel seiner langen Schnauze. Es sieht mich mit glasigen blauen Augen an, streicht sich den rosigen Bauch, grinst ein Schweinegrinsen, gibt unverständliche kehlige Laute von sich, grüßt mit der rechten Haxe und verschwindet in den Schemen. Ich verstehe nicht. Ich verstehe nicht. Ich – ich beginne auch zu grunzen, lache lautlos und Geifer rinnt meine Hauer hinab; dann stürze ich davon.

Im purpurnen Violett sind Maden gefangen; die Gallertmasse vibriert unter meiner Berührung, oder den Windungen der Tiere; die Maden sehen mich an, glaube ich; ich lächle, und sie lächeln zurück. Dann bewegt sich eine klumpige, vielbeinige Kreatur durch die klarsichtige, kompakte Masse und beginnt die Maden zu verspeisen; sie schreien, denke ich, sie müssen doch vor Schmerzen vergehen, aber sie lächeln unablässig weiter, wie Porzellanpuppen auf verstaubten Borden, die tot sind, tot und taub und blind.

Ich laufe. Immer in das Dunkel, das nicht Nacht heißen mag. Die Blitze, das monochrome diffuse Leuchten nehmen zu; Schattenwesen stehen in Ecken und Erkern, wachsen aus dem Boden, hängen von einer imaginären Decke wie Stalaktiten und greifen, rufen, flüstern nach mir. Dort sind die Lichter, es sind zwei. Gleich bin ich da.

Ungläubig stehe ich vor diesen undurchdringlichen Scheiben, schlage mit den Fäusten gegen sie, die Knöchel bluten und meine Stimmbänder sind ein hohles Krächzen. Erschöpft versuche ich hinaus zu schauen. Grell ist es, durchsichtiges Strahlen taucht die Welt dort draußen ohne Schatten in ein Meer aus Photonen, die eine mir unverständliche Szenerie zeigen voller Monstrositäten; das ist keine Welt mehr, hier sind keine Farben mehr, keine Schattierungen, keine Abstufung von hell zu dunkel, hier herrscht das kreideweißeste Licht, das mir Dinge zeigt, Dinge, die ein Mensch nicht wird ertragen können, wenn er bei Verstand bleiben will; eine Welt des Grauens, sinnentrückter Absurdität, eine Kreiselwelt, in der alle und alles sich verschlingen, um sich ohrenbetäubend würgend zu erbrechen und neu zu verschlingen unter zähnefletschenden Schmerzen und wilden Schreien, ein infernalisches Kreischen, als würden die Nägel Gottes über die Schiefertafel der Erde kratzen, ein Tosen, eine Nichtwelt, ein Ort der Desexistenz. Und das Schrecklichste, das Grauenvollste ist, dass ich glaube mich selbst gesehen zu haben, aus den Augenwinkeln, nur einen Augenblick, mich selbst wie ich lachend, weinend und mit Messern bewaffnet durch diese Agonie renne, nur einen Augenwinkelblick, einen kurzen Moment indirekten Sehens, eine Nuance des Erkennens.

Entsetzt und zu Tode erschreckt wende ich mich ab und verschwinde in die Stille der Dunkelheit, die von Blitzen durchzuckt ist, erhellt von hellgrünem, grellviolettem oder rosarotem Leuchten. Ich gehe heim. Ich gehe zu meinen imaginären Freunden, singe mit meinen Schatten, erfreue mich an meinen Kreaturen, Abgründen, Wendungen, an den Flederwesen, den Ungeheuern, meinen vielgliedrigen Schemen, Visionen und zerblitzten Traumgespinsten. Ich werde das Licht ausschließen. Ich gehe heim.



© Rainer M. Scholz



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Kommentare zu diesem Text


 Tula (27.09.22, 23:50)
Hallo Rainer
Solch ein packender Alptraum kann durchaus recht unterhaltsam sein  :)

LG
Tula

 RainerMScholz meinte dazu am 27.09.22 um 23:59:
Ich hoffe mit jedem weiteren Alpdruck zur Unterhaltung der Leserschaft mein Scherflein beitragen zu können.
Gruß + Dank,
R.

Antwort geändert am 30.09.2022 um 18:17 Uhr

 AchterZwerg (28.09.22, 07:22)
Der Spiegel im Spiegel enthüllt hier Grauenvolles.
Nicht einmal künstliche Linsen können uns davor bewahren ...

Für mich ein kleines Meisterwerk. <3

 RainerMScholz antwortete darauf am 30.09.22 um 18:22:
Vielleicht lasse ich mir einen Bart wachsen, dann wird es morgens nicht so schlimm; oder umgekehrt - wer ist das?!? Und wieso?!?
Ich danke sehr.
Grüße,
R.
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