Der Geiger

Erzählung zum Thema Musik

von  Lorolex

Unser schönes Mehrfamilienhaus, mit der Hausnummer einunddreißig, zählte vier Geschosse und besaß einen kleinen Hinterhof in dessen Mitte eine knorrige, alte Eiche stand. Wir lebten in der Hauptstadt und es geschah dort zu finsteren Zeiten ein Vorfall, den wir nicht vergessen sollten.

Ganz unten, zu ebener Erde, wohnte eine kleine Familie, wobei man es eigentlich so nicht nennen durfte, da der Vater fast nie gesehen wurde. Zwei Jungs wuchsen dort mit ihrer Mutter auf, die so ungefähr um die Vierzig war. Der Eine konnte gerade mal das ABC aufsagen, der Andere war sechzehn Jahre alt, ging zur Schule und fiel nie besonders auf.

Ebenfalls lebte da noch, in der ersten Etage, die Vermieterin, eine recht korpulente Frau, zusammen mit ihren Mann. Sie war sehr fleißig und rein, und es roch stets nach Bohnerwachs auf den Fluren. In ihrer Wohnung mit dem Fenster zum Hof stand auf dem Sims ein etwa zwei handlängengroßer, stacheliger Kaktus. Sie hegte und pflegte ihn und ein paar mal im Jahr ging er auf, mit sonnengelben Blüten. Ihr Mann fand das Gewächs grässlich, schimpfte manchmal darüber, da sie so sehr an ihm hing. Doch zog der Alte eigentlich immer den Kürzeren und fand sich damit ab.

An die Frau aus der zweiten Etage kann ich mich noch sehr gut entsinnen, denn ihr Name klang so ungewöhnlich, nämlich Mäusezahl. Sei war Witwe und erzählte uns stets im Treppenhaus von den Reisen ihre verstorbenen Mannes. Er kam viel herum und sah die weite Welt. Seit ein paar Jahren aber, lebte sie nur noch mit der schwarzen Katze, die sie liebte und vergötterte. Ihr Mann ist auf See an einem Schlaganfall gestorben.

In der Wohnung ganz oben unter dem Dach, hatte sich der Herr Rothschildt, Herr Isaac Rothschildt vor etwa drei Jahren niedergelassen. Er ging einem Hobby, welches er viele, viele Stunden am Tag ausführte, das Geigenspiel nach. Er spielte sehr gerne die Nachtmusik und das ganze Haus hörte zu! Ach, wenn er doch geahnt hätte!

Frau Mäusezahl´s Katze, so elegant wie sie war, saß meist auf dem Sims am Balkon, rekelte sich und schnurrte, während sie ihr Fell in der sommerlichen Hitze putzte. Und sie hörte und genoss die wohl tuenden Töne von Herrn Rothschildt. Gelegentlich erhob sie sich, streckte sich und trank aus einer kleinen Schale. Was soll schon passieren, was soll schon passieren?

Die Vermieterin saß, mit all ihrer Fülle, wie immer auf einem Stuhl neben ihrem Kaktus und lauschte Herrn Rothschildts kunstvolles Schwingen auf der Violine. Alles so harmonisch! Es erinnerte sie an ihre Jugend, als sie einst Klavier spielen erlernt hatte! Leider aber, und sie beherrschte die Tasten ganz gut, musste sie wegen einer schmerzhaften Nervenerkrankung, die Noten, den Gesang und das Klavier aufgeben! Aber, sie klagte nicht.

Auch die kleine Familie, ganz unten im Haus, liebte es, der Nachtmusik zuzuhören.

Und in der Luft war ein Gemisch von Bratkartoffelgerucht und das süße Säuseln der Geige.

Es war so friedlich und so entspannt. Wer hatte ahnen können was kommen sollte!

So geschah der Vorfall an einem regnerischen Donnerstag im April, so zirka zehn Uhr morgens, Die Kinder im Hause hatten Schulfrei. Der Flur war gebohnert, die Katze saß, geschützt vor dem Regen auf dem Sims, der Kaktus war halt ein Kaktus und Herr Rothschildt, wie sollte es sein, verzauberte mit seinem Streichinstrument. Moll, Dur, crescendo ,piano und fortissimo, das ganze Repertoire. Und plötzlich nahm das Schicksal seinen Lauf!

Ich beobachtete wie ein dunkler Opel P4 auf unserem Hofe vorfuhr. Drei in ebenfalls schwarzen Mänteln und Hüten gekleidete Männer stiegen aus den Wagen und ich sah schon … sie führten nichts Gutes im Schilde. Sie suchten unter ihren Hüten vor den Regen Schutz und zogen sie weit hinunter, so dass man ihre Gesichter nicht mehr erkennen konnte. Die Männer stießen die Haustür förmlich auf und einer kam auf dem frisch gebohnerten Boden etwas ins Straucheln. Ich habe sie nicht gesehen, wie sie das Treppenhaus herauf gestürmt sind, dafür hat man das gehört, alles andere als gemütlich, langsam, sondern schnurstracks hinauf zum vierten Geschoss. Was dann geschah, konnte ich nur halb verfolgen. Aber plötzlich unterbrach das Geigenspiel und die lauten, entsetzten Rufe von Herrn Rothschildt und die eindringenden Befehle der Männer, ließen je vermuten, was in der Wohnung vorgefallen ist. Es rumpelte, als ob ein Kampf statt fand, es klirrte, wie zerberstendes Geschirr und immer Wortfetzen wie : Los, sofort, herkommen!

Dann stolperte Herr Rothschildt auf sein Balkon hinaus, es schien fast so, als ob er über ihn flüchten wollte und über die Balustrade fallen würde. Seine Geige hielt er fest in den Händen, ja, er klammerte sich regelrecht an ihr. Dann griffen die Gestalten zu und er verlor sein Instrument, welches auf dem Balkon von Frau Mäusezahl fiel und in tausend Stücke auseinander brach!

Der plötzliche Lärm und die heruntergefallene Geige erschreckten die Katze in ihrer Mittagsruhe so sehr, dass sie laut fauchend einen Fluchtweg suchte und dabei durch die Balustrade herunter direkt auf den Kaktus der erschrockenen Vermieterin plumpste und von dort auf eine gewundene Tomatenranke aus Metall im Hof fiel, … sie war hinüber!

Der eingetopfte Kaktus zerbrach dabei, zum Unmut der Vermieterin, in ein dutzend großer und kleiner Scherben. Die Pflanze selbst hat an einer Seite einen Zweig verloren und sah jetzt unproportional und kaputt aus.

Von den Tag ein gab es keine Musik mehr in dem Mehrfamilienhaus mit der Nummer einundreißig!


Herr Rothschildt war nicht mehr!

Es heißt Frau Mäusezahl starb am gebrochenen Herzens, da sie die Katze so liebte!

Bei der Vermieterin und ihren Mannes kam es zum Streit und er verließ sie!

Der sechzehn jährige Sohn ging zum Militär und starb dort alsbald!




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