Blutspritzer an der Gitarre

Cut-Up

von  Koreapeitsche

An Tøles Gitarre waren ständig Blutspritzer zu sehen. Wenn er Songs wie „Deutsche Fette Kuh“ von Jürgen Zeltinger auf seiner Klampfe spielte, schlug er die Gitarrenseiten ohne Plektron mit den Fingern dermaßen hart an, dass er sich die Haut neben den Fingernägeln einriss und früher oder später anfing zu bluten. Das störte ihn nicht. Er spielte einfach weiter und ließ sich nichts anmerken. Tøle hielt trotz starker Schmerzen sogar den Tonus der Stimme aufrecht. Er war schmerzresistent wie ein Fakir. Wenn Leute mit ihm im Zimmer saßen, auf einem Punk-Sit-in oder einer Party, so war es ihm egal, wenn das Blut spritzte, und er spielte in gewohnt aggressiver Weise weiter, bis die Finger und die Gitarre merklich blutig aussahen. Irgendwann wurde er darauf hingewiesen:

      „Ey, deine Gitarre ist blutig!“

Tøle antwortete nicht darauf, denn beim Gitarrespielen war er wie ein Autist. Das Blut wurde schließlich zur Kruste, die Blutspritzer vergilbten, wurden braun und pissgelb.

      Seine “Bloody Guitar“ war keine besonders wertvolle Akustikgitarre. Er hatte früher in der Teenagerzeit von mir bei einem Tauschgeschäft eine E-Gitarre ergattert. Ich weiß nicht, was aus dieser E-Gitarre später geworden ist.

      Tøle kreierte durch sein Geschrammel einen eigenen Stil. Andere machten es ihm nach, bis es als positives Zeichen galt, wenn beim Gitarrespielen Blut floss, auch wenn nur in Maßen. In gleicher Weise zeigte meine hellbraune Akustikgitarre, die ich lange vor meiner Punkzeit von meinen Eltern zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte, bald erste Blutspuren, ohne dass Tøle jemals mit der Gitarre gespielt hatte. Die Flecken konnten also nur von mir selbst stammen. Mit der Zeit verloren die Spritzer gleichfalls an Intensität und wirkten auf dem preiswerten Holz ockerpissgelb.

      Die Finger konnten sogar bluten, wenn ein Plektron benutzt wurde, wenn es falsch oder umständlich gehalten wurde. Egal ob an den Saiten einer E-Gitarre, Western- oder sogar Nylongitarre, du konntest dir überall die Haut aufratschen und längst verheilte Wunden wieder aufreißen. Die Gewalt war entscheidend.

      Doch bei Tøle war es wirklich krass. Bei seinem masochistischen Umgang mit der Gitarre ließ er sich nichts anmerken, wenn das erste Blut austrat, spielte einfach immer weiter und verzog keine Miene. Erneut kamen Hinweise wie

      „Du blutest“ oder

      „Da ist Blut an der Gitarre!“

Da schien er innerlich zu lächeln, spielte weiter und tat so, als hätte er nichts gehört. Schrie jedoch jemand

      „Die Gitarre blutet!“

brach Gelächter aus, gefolgt von einem Edgar Wallace Hintergrund Lachen

       „Ha, ha, ha, ha, haaaa!“

was das Gelächter zum Erliegen brachte.

      Tøle ließ nur ungern Gäste an seine blutige Gitarre. Nüchtern ekelten sich ohnehin die meisten, die sonst jede Klampfe sofort in die Hand nahmen.

      Schon bald zog Punk-Tøle von Kiel-Wik nach Gaarden in die Kirkestraße. Er wohnte hier fortan in einer Zweier-WG mit einem ehemaligen Schilkseer. Ich besuchte die WG ein paar Mal, nutzte die Gelegenheit, um mit dem Fahrrad von Friedrichsort nach Gaarden zu fahren.

      Ich wunderte mich immer wieder über Tøles Musikgeschmack und fragte mich, wo er seine Platten herzauberte. Dazu gehörten Bands wie Marginal Man, Attak, Subhumans (U.K.), F.U.’s, The Easter, Dag Nasty, Uniform Choice und Mega City Four. Auch Tøle verkaufte seine Punk-Perlen, als er in Geldnot war. Das übliche Syndrom, das fast jeder Punk durchlebte. Geldnot war dafür verantwortlich. Jetzt waren seine Punk-Platten futsch, obwohl er weiterhin nichts anderes als Hardcore-Punk hörte. Tøle hörte trotz der versilberten Punk-LPs auch in Zukunft nur Punk, weil er tonnenweise Punk-Tapes liegen liegen. Nachdem er gar die Landspeed Records von Hüsker Dü veräußert hatte, besorgte er sich die Scheibe später erneut.

      Das Arbeitsamt steckte mich eines Tages in eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Das war in veralteten Büroräumen in der Nähe der Spitze der Kieler Förde auf Ostuferseite. Da traf ich plötzlich Tøle wieder. Wir saßen zusammen mit rund 30 arbeitslosen Kielern in ein paar Pseudobüros und hatten nicht den Eindruck, dass irgendwer uns beruflich weiterhelfen wollte. Ganz im Gegenteil. Als Tøle schließlich eine große Fliege an der Decke sitzen sah, behauptete er felsenfest, das sei eine Kamera, mit der wir ausspioniert werden sollten. Dermaßen groß war das Misstrauen gegenüber dem Arbeitsamt.

      Manchmal erweckte Tøle den Anschein, er sei eine Art Ultra-Minus-Punk, also alles andere als ein Pseudo. Doch dafür war er insgesamt zu gutmütig. Was er auf seiner Gitarre so verbockte, war im Prinzip der pure Akustik-Punk-Terror oder Terror-Punk – wie man’s nimmt – und es gefiel nur seinesgleichen. Es war eine Form von Selbstverletzung. Wir hatten Angst, dass er sich bei diesen Exzessen eine Blutvergiftung zuziehen könnte. Im Vollsuff wollten die anderen Punks und Pseudos die Klampfe schlussendlich doch mal in die Hand nehmen, um zu zeigen, was sie draufhatten. Sogar das Thema Aids kam auf, wenn die blutverschmierte Gitarre am späten Abend einer fortgeschrittenen Party die Runde machte. Trotzdem konnte niemand so konsequent singen wie Tøle und dazu den Rhythmus halten, als wollte er sich bei der Band EA80 als Ersatzmann bewerben. Er wirkte wie ein versteinerter Protestsänger.

      Da Tøles Gitarrespiel ohne Plektron Schule machte, und alle ohnehin schnellen Punk und Hardcore bevorzugten – selbst mit der Akustikgitarre –, so konnte es passieren, dass andere, Tøles Stil imitierten. Sie hackten auf der Gitarre herum, ratschten mit Fingern, Fingernägeln, Fingerkuppen, Handballen, Faust und Mittelhandknochen oder sogar ergänzend mit Pfennigstücken als Plektron. Jetzt konnten auch bei den anderen Gästen die Finger anfangen zu bluten, bis die Gitarre das Blut mehrerer Punks auf dem Korpus trug, auf dem Gitarrenhals und auf den Saiten. Im Extremfall wurde die Gitarrensession zum Blutbad, erzeugt von blutigen Fingern und einer überharten und unreflektierten Spielweise und Anschlagtechnik. Von Fingerpicking war da keine Spur, was jeder anständige Gitarrenlehrer gefordert und gefördert hätte. Ein solcher würde wohlmöglich durch Wegnahme der Gitarre das Inferno unterbrechen oder laut „Halt!“ oder „Stopp!“ rufen, denn all das hatte ohnehin nichts mit wohlklingender Gitarrenmusik zu tun. Es war Punkrock pur auf der Akustikgitarre, auch wenn im Hintergrund schon wieder Hüsker Dü lief.

 

Wenn er nicht gestorben ist, so spielt er sich die Finger immer noch blutig.



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