Dieser Seemannsgarn spinnende Poet Joachim Ringelnatz konnte es aber auch ganz leise und abgerückt vom Sensationsgepolter der Daddeldu-Welt:
Rettende Insel
Wenn Parteien sich und Massen
Sichtbar und geräuschvoll hassen,
Klingt das mir wie Meeresrauschen.
Und dann mag ich henkelltrocken
Still auf einer Insel hocken,
Die mich zusehn lässt und lauschen.
Nicht, dass ich dann etwa schürfe
Oder was dazwischen würfe
Oder schlichten wollte, nein,
Nein, ich weiß, das muss so sein.
Und ich dehne mich und schlürfe
Eingefangnen Sonnenschein.
Und dann schwimmt – fast ist es schade –
Noch ein Mensch an mein Gestade,
Sucht an meiner Pulle Halt.
Aus ist die Robinsonade,
Denn nach Insulanersitte
Sag ich unwillkürlich: „Bitte!“
Und ein zweiter Pfropfen knallt.
Und wir trinken. Es gesellen
Andre sich dazu. Die Wellen
Glätten sich. Der Hass zerstiebt.
Bis zuletzt in süßer Ruhe
Niemand noch was in die Schuhe
Andrer schiebt,
Und sich alles gegenseitig
Eingehenkellt ganz unstreitig
Duldet, gern hat oder liebt.
Der Privatmensch Joachim Ringelnatz hatte mit dem abgerissenen Seemann Kuttel Daddeldu, den er auf der Bühne spielte, wenig zu tun. Der private Ringelnatz trug weiße Anzüge und Gamaschen, hatte einen Gehstock. Er war in der Regel sorgfältig herausgeputzt, dandyhaft und eitel. Er liebte teure Weine und Champagner. Er hat das Geld in vollen Zügen ausgegeben, wenn er es denn hatte, verkehrte mit berühmten Leuten wie Max Schmeling und der Filmdiva Asta Nielsen.
An Asta zum Geburtstag
Frohe Zukunft wie auf Rosen,
Langes Leben, weiße Hosen,
Liebesluft wie Ricke-Katz
Wünscht dir heute Ringelnatz.
An Asta Nielsen – 11. Februar 1934
(neun Monate vor seinem Tod)
Du dort, ich hier.
Ich hier, du dort.
So reisen wir
Vonander fort.
Wann kommen wir zusammen
Verliebt, wie wilde Flammen?
Du siehst, die Sehnsucht heiß und tief
Diktiert mir diesen Liebesbrief.
(Erzähle nichts an Muschel!
Sonst gäbe das am Sachsenplatz
Über das Thema »Ringelnatz«
Ein fürchterlich Getuschel.)
Sei mir gegrüßt und bleibe hold
Gesinnt dem alten Trunkenbold,
Dem Menschen und dem Dichter.
Denn überall und jederzeit
Verlöschen nachts bei Dunkelheit
Die meisten Lichter.
In den 20er/ frühen 30er Jahren war Ringelnatz ein Star. Wenn er in eine Stadt kam, war das ein Ereignis. Aber er wurde nicht gut bezahlt. Ihm blieb gar nichts anderes übrig, als viel zu arbeiten. Und das machte er mit ganzem Herzen. Er hat manchmal drei 90–Minuten–Programme an einem Abend absolviert. Er war geradezu bühnensüchtig, liebte sein Publikum, er genoss es, angehimmelt zu werden und bei der Kritik Lob einzuheimsen.
1909 kam Ringelnatz nach München. Dort entdeckte er das Künstlerlokal „Simpl“ (den berühmten „Simplicissimus“), wo sich die Boheme der Zeit traf: Frank Wedekind, Klabund, Hermann Hesse, Erich Mühsam und andere. Hier begann seine literarische Karriere. Kathi Kobus, die Wirtin, machte ihn zum Hausdichter des „Simpl“, hier trug Ringelnatz allabendlich seine Verse vor.
Wie die Kathi zu ihrem Hausdichter kam
Er ritt auf seinem Pegasus,
Hell glänzte die edle Nase,
Die Wirtin vom Simplicissimus
Stand vor der Tür auf der Straße.
Sie sah ihn halten und rief entsetzt:
»Was kommt denn dort für Geflügel?«
Doch sprach sie‘s nur leise und hielt ihm zuletzt
Beim Absteigen höflich den Bügel.
Er zog sie ins Zimmer mit wilder Hast
Und knitterte mit Papieren.
Ein langes Gedicht, von ihm selbst verfasst,
Begann er zu deklamieren.
Da ließ sie ihm eiligst vom Pfälzer Wein
Einen mächtigen Humpen bringen
Und bat ihn flehend: »Halt ein! Halt ein!
Mir will das Trommelfell springen.«
Handgreiflich haben sie sich gepackt,
Doch waren sie sich gewachsen,
Und schließlich schloss einen Friedenskontrakt
Die Bayerin mit dem Sachsen.
Er sollte, wie es gerade trifft,
Für ihren Hausbedarf dichten
Und sollte dafür als Gegengift
Möglichst viel Pfälzer vernichten.
So kam es. Sie leben schon manches Jahr
Zusammen auf gutem Fußi,
Und böse Menschen behaupten sogar,
Er wäre jetzt ihr Gespusi.
Fortsetzung folgt