Ein großer Seemann wollte er werden, der Hans Bötticher aus dem sächsischen Wurzen. Ohne Wissen der Eltern hatte er 1901 für ein Jahr als Schiffsjunge und Leichtmatrose angeheuert, er diente als Freiwilliger in der Kaiserlichen Marine und war im Ersten Weltkrieg Leutnant zur See auf einem Minensuchboot. In den Gedichten vom Seemann Kuttel Daddeldu erzählt der Dichter vom heiß erträumten Dasein auf den Schiffen und Meeren und in den Kneipen an Land. Dieser Kuttel Daddeldu sieht alles im Leben wie zum ersten Mal. Er ist von überwältigender Kindlichkeit, die keine Hemmungen, keine Tabus kennt. Die Realität ist bei ihm ganz anders, als der gesunde Menschenverstand sie sieht, nämlich chaotisch, undurchschaubar. Ringelnatz führt dieses bizarr ausgestattete Ungetüm Kuttel Daddeldu in unmöglichen Situationen vor. Es wird von wilden Seefahrten erzählt, von wüsten Landaufenthalten in Hafenkneipen, Bordellen, bei der festen Braut Marie, die aus Bayern stammt, wir hören von Kindern, die er in aller Herren Ländern hat, und „Die Weihnachtsfeier des Seemanns Kuttel Daddeldu“ endet in einer wüsten Schlägerei. Mit seinen moritatenhaften Grotesken tingelte Ringelnatz in den 20er und frühen 30er Jahren quer durch Deutschland.
Kuttel Daddeldu und die Kinder
Wie Daddeldu so durch die Welten schifft,
Geschieht es wohl, daß er hie und da
Eins oder das andre von seinen Kindern trifft,
Die begrüßen dann ihren Europapa:
»Gud morning! – Sdrastwuide! – Bong Jur, Daddeldu!
Bon tscherno! Ok phosphor! Tsching – tschung! Bablabü!«
Und Daddeldu dankt erstaunt und gerührt
Und senkt die Hand in die Hosentasche
Und schenkt ihnen, was er so bei sich führt,
Whiskyflasche,
Zündhölzer, Opium, türkischen Knaster,
Revolverpatronen und Schweinsbeulenpflaster,
Gibt jedem zwei Dollar und lächelt: »Ei, ei!«
Und nochmals: »Ei, Ei!« – Und verschwindet dabei.
Aber Kindern von deutschen und dänischen Witwen
Pflegt er sich intensiver zu widmen.
Die weiß er dann mit den seltensten Stücken
Aus allen Ländern der Welt zu beglücken.
Elefantenzähne – Kamerun,
Mit Kognak begossnes malaiisches Huhn,
Aus Friedrichroda ein Straußenei,
Aus Tibet einen Roman von Karl May,
Einen Eskimoschlips aus Giraffenhaar,
Auch ein Stückchen versteinertes Dromedar.
Und dann spielt der poltrige Daddeldu
Verstecken, Stierkampf und Blindekuh,
Markiert einen leprakranken Schimpansen,
Lehrt seine Kinderchen Bauchtanz tanzen
Und Schiffchen schnitzen und Tabak kauen.
Und manchmal, in Abwesenheit älterer Frauen,
Tätowiert er den strampelnden Kleinchen
Anker und Kreuze auf Ärmchen und Beinchen.
Später packt er sich sechs auf den Schoß
Und lässt sich nicht lange quälen,
Sondern legt los:
Grog saufen und dabei Märchen erzählen;
Von seinem Schiffbruch bei Feuerland,
Wo eine Woge ihn an den Strand
Auf eine Korallenspitze trieb,
Wo er dann händeringend hängen blieb.
Und hat nix zu fressen und saufen;
Nicht mal, wenn er gewollt hätte, einen Tropfen Trinkwasser, um seine Lippen zu benetzen,
Und kein Geld, keine Uhr zum Versetzen.
Außerdem war da gar nichts zu kaufen;
Denn dort gabs nur Löwen mit Schlangenleiber,
Sonst weder keine Menschen als auch keine Weiber.
Und er hätte gerade so gern einmal wieder
Ein kerniges Hamburger Weibstück besucht.
Und da kniete Kuttel nach Osten zu nieder.
Und als er zum drittenmal rückwärts geflucht,
Da nahte sich plötzlich der Vogel Greif,
Und Daddeldu sagte: »Ei wont ä weif.«
Und der Vogel Greif trug ihn schnell
Bald in dies Bordell, bald in jenes Bordell
Und schenkte ihm Schlackwurst und Schnaps und so weiter. –
So erzählt Kuttel Daddeldu heiter
Märchen, die er ganz selber erfunden.
Und säuft. – Es verfließen die Stunden.
Die Kinder weinen. Die Worte verlallen.
Die Mutter ist längst untern Tisch gefallen,
Und Kuttel – bemüht, sie aufzuheben –
Hat sich schon zweimal dabei übergeben.
Und um die Ruhe nicht länger zu stören,
Verlässt er leise Mutter und Gören.
Denkt aber noch tagelang hinter Sizilien
An die traulichen Stunden in seinen Familien.
Fortsetzung folgt