Kein Wald, kein Licht, nur du

Elegie zum Thema Einsicht

von  Hans-Jakob

Mensch, der über Hass und Ekel klagt,

als seien es nicht deine eigenen Dämonen,

die deine Eingeweide dir zertrampeln-

den Blick auf Schönheit dir versperren.

 

Nein.

Kein Baum

vermag die Seele dir zu retten.

Kein Zweig

wird je dein Päckchen für dich tragen.

Kein Meer

macht deinen Gram, dein Ohnmachtsrauschen

zu Musik.

Kein Licht, das nicht auch in dir ist,

kann dir von außen scheinen

 

Gestern in Sachsenhausen sah ich:

winzige geschnitzte Figuren

eines tschechischen Studenten

aus Brot geformte Schachfiguren

sowjetischer Gefangener

und in der Lagerküche

an die Wand gemalte Blumen

 

Das war nicht die Natur,

kein Gott!

Das haben Menschen getan.


Und was ein einziger vermag,

ist Handlungsmöglichkeit

für einen jeden Menschen.


Drum sing ich Haushofers Sonette

die er in seiner Moabiter Zelle schrieb,

freue ich mich an der Liebe

die Hans von Dohnanyi

seiner Frau ins Gesicht zeichnete.







Anmerkung von Hans-Jakob:

Hans von Dohnanyi gewidmet, der gestern vor 80 Jahren im Konzentrationslager Sachsenhausen hingerichtet wurde.fr

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Kommentare zu diesem Text


 Saudade (10.04.25, 16:52)
Das gefällt mir ausnehmend gut! Das Schöne im Grauen sehen, das ist eine große Kunst.

 IDee (15.04.25, 17:19)
Hat mir sehr gut gefallen, sehr tiefgreifend.

 Isensee (26.04.25, 00:22)
Der Text ist eine radikale, fast schon schockierende Auseinandersetzung mit dem menschlichen Leid und der Selbstreflexion. Hans-Jakob entlarvt die Täuschung, dass Erlösung von äußeren Kräften kommt, und stellt die bittere Wahrheit dar, dass der einzige Ausweg im inneren Kampf des Einzelnen liegt. Es geht nicht um hohe Weisheit, sondern um eine brutale, schmerzhafte Konfrontation mit den eigenen Dämonen. Der Autor geht sogar so weit, die Hoffnung in Natur und göttliche Eingebungen zu widerlegen – „Kein Baum vermag die Seele dir zu retten.“ Diese radikale Haltung zieht sich durch den ganzen Text und fordert den Leser heraus, sich selbst zu hinterfragen.
Besonders stark ist die bildhafte Sprache, die Hans-Jakob hier nutzt. 
Die Wiederholung der „Kein“-Sätze wird zur treibenden Kraft und verstärkt das Gefühl von Ohnmacht, aber auch von Verantwortung. Jeder „Kein“ erinnert uns daran, dass wir es sind, die mit unserem eigenen Leid umgehen müssen, nicht irgendjemand oder irgendetwas anderes. Das hat etwas unglaublich Präzises, Brutales und Faszinierendes an sich.
Die zweite Hälfte des Textes bricht dann mit der Abstraktion und holt uns in die Realität zurück. Der Verweis auf Sachsenhausen, die handgeschnitzten Figuren und die Schachfiguren aus Brot, die von Gefangenen gefertigt wurden, zieht den Leser in eine tragische, reale Geschichte. Hier geht es nicht um die Flucht in den Trost, sondern um den Überlebenswillen, die menschliche Fähigkeit, auch in der dunkelsten Zeit zu handeln.
Und der Hinweis auf Haushofer und Dohnanyi verleiht dem Text eine zusätzliche Tiefe. Hier geht es um das, was ein Mensch in seiner Isolation leisten kann, selbst unter extremsten Bedingungen. Die Idee, dass wir im Alltäglichen das Besondere finden können, auch wenn wir im Dunkel stehen, zieht sich als Leitgedanke durch.

Sprache/Stil: 9/10
Die Sprache ist scharf, kraftvoll und unmissverständlich. Es gibt keine Schnörkel, keine Umwege – der Text trifft genau da, wo er soll. Er verlangt vom Leser, sich auf die Unmittelbarkeit der Worte einzulassen.

Thematische Tiefe: 10/10
Das Thema des inneren Kampfes und der Selbstfindung wird hier ohne Beschönigung, dafür aber mit umso größerer philosophischer Klarheit behandelt. Es ist eine Auseinandersetzung mit der menschlichen Existenz, die keine einfachen Antworten bietet.

Spannungsbogen: 7/10
Der Text arbeitet nicht mit klassischer Spannung. Es geht weniger um eine Erzählung, die sich steigernd aufbaut, sondern um eine stetige Entfaltung von Gedanken. Doch die philosophische Auseinandersetzung hält die Spannung aufrecht.

Emotionale Wirkung: 8/10
Die Bilder und die Verweise auf die Geschichte wecken Emotionen, ohne ins Sentimentale abzugleiten. Der Text provoziert, regt zum Nachdenken an und lässt einen nicht so schnell los.

Kreativität: 8/10
Die Verbindung von persönlichen und historischen Referenzen ist kreativ und ungewöhnlich. Die Bildsprache ist nicht nur effektiv, sondern auch sehr wirkungsvoll, um die Themen des Textes zu transportieren.

Literarische Referenzen: 8/10
Die Anspielungen auf historische Persönlichkeiten und Werke sind gut integriert und vertiefen das Thema. Sie fügen sich harmonisch in den Text ein und erweitern dessen Bedeutung.

Originalität: 8/10
Der Text ist in seiner Herangehensweise an das Thema und der Art, wie er es aufarbeitet, erfrischend und originell. Die brutale Ehrlichkeit und die konsequente Ablehnung jeglicher äußeren Hoffnung macht ihn zu einem starken literarischen Statement.

Fazit:
„Kein Wald, kein Licht, nur du“ ist ein intensives Gedicht, das sich mit existenziellen Fragen auseinandersetzt, die jeder von uns irgendwann selbst stellt. Die kraftvolle Sprache und die ungeschönte Darstellung der eigenen Verantwortung und des eigenen Leids machen den Text zu einer wertvollen Lektüre, die den Leser nicht nur intellektuell, sondern auch emotional fordert. Es fehlt vielleicht etwas an klassischer Spannung, aber als philosophische Elegie ist es ein gelungenes und sehr intensives Werk.
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