La Messias: Gottes Wort aus Mutters Mund
Rezension zum Thema Verlorenheit
von dubdidu
Mir scheint manchmal, dass einige Menschen, die einen Kampf gegen Gott und Religion führen, in Wahrheit gegen ihre Mutter kämpfen, die ihnen die Lehre einst näher brachte. Um die Liebe also, die Gott verunmöglichte, als er sich zwischen das Kind und die Mutter stellte. Auch in La Messias wird eine tragische Kinder-Mutter-Gott-Verstricktheit geschildert.
Die Serie La Messias sticht aus der Fließbandserienproduktion der letzten zwanzig Jahre gleich in mehrfacher Hinsicht heraus: thematisch, technisch, schauspielerisch. Wer die Offenheit hat, sieben anderthalbstündige Folgen im spanischen Original mit deutschen Untertiteln zu verfolgen, dem oder der sei sie wärmstens empfohlen (Arte Mediathek). Die Zusehenden erwartet eine äußerst gelungene Verknüpfung unterschiedlicher Genres, ein Sozial-Psycho-Drama zweier Generationen über drei Zeitebenen mit Trash- und Sciencefiction-Versatzstücken, in deren Mittelpunkt die Hauptfiguren zwischen Gefangenheit und Verlorenheit nach Heilung suchen; durch Erleuchtung, Kunst, Liebe, Sex, Arbeit und Alkohol. Kein Zeigefinger wird ausgefahren und keine einfachen Lösungen versprochen. Aber Möglichkeiten gesehen.
Schauplatz ist die katalonische Gebirgslandschaft, insbesondere der Berg Montserrat spielt eine bedeutende Rolle, nicht zufällig heißt so auch eine zentrale Figur der Serie. Montserrat bedeutet gesägter Berg, vielleicht besser: zerklüfteter; so erscheint auch die Psyche der jungen Montserrat im Katalonien der 80er Jahre. Sie schimpft, kokettiert narzisstisch vor ihren Kindern eine Cindy Lauper zu sein oder eine Madonna, lässt die Kinder nachts allein zuhause und geht auf Partys, veranstaltet welche zuhause und reißt die Kinder mit lauter Musik aus dem Schlaf, weigert sich, sie zur Schule zu schicken. Nichtsdestotrotz gibt es auch sehr liebevolle, nahe Momente zwischen Montserrat und ihren Kindern, Enric und Irene: gemeinsames Lachen, Zusammengehörigkeit. Die überzeugenden Darsteller spielen ihre Rollen mit viel Sinn für die Zwischentöne, fürs Schweigen und für Hin-und-her-Gerissenheiten. Trotz der ganzen Vernachlässigung hat man einen Zugang zur jungen Montserrat, manchmal bricht eine durchaus sympathische Theatralik durch den narzisstischen Grusel, die zum Mitlachen anregt. Man wünscht ihr, sie möge irgendwie einen Weg finden, ihre eigene Verlorenheit zu überwinden, um den Kindern die geborgenheitsspendende Seite des Berges zu sein, nicht die unberechenbare. Dann findet sie Gott oder eher wird sie zu ihm gebracht, in seinem Dunstkreis eingesperrt, auf dass sie gerettet werde, bis er schließlich tatsächlich in sie gefahren zu sein scheint und durch sie spricht.
Die Drehbuchautoren finden exzellent Worte dafür, mit denen ihre Schwester das Scheitern Montserrats lakonisch auf den Punkt bringt:
Deine Mutter hatte viele Männer: gute, schlechte, normale. Aber der Schlimmste von allen war Gott.
Auf der Zeitebene im Jahr 2012 sucht der erwachsene Enric nach seiner Mutter und seiner Schwester Irene. Auslöser ist eine Reihe von absurd trashingen Youtube-Videos der christlichen Girlgroup Stella Maris, die angeben im Auftrag Gottes zu singen und zu tanzen. Um nicht weniger als das: die Welt zu retten. Enric erkennt in den jungen Frauen seine sechs Halbschwestern, die er im Jahr 1997 (der dritten Zeitebene) in einem einsamen Haus in den Bergen zurückgelassen hat.
Von der Handlung möchte ich nicht mehr verraten, falls tatsächlich jemand La Messias sehen möchte. Ein paar Worte zur Technik: Anders als man es mittlerweile gewohnt ist, sind die Wechsel zwischen den Zeitebenen recht unregelmäßig, was einen assoziativen Flow erzeugt, statt eine strikte Gliederung, häufig erfolgt der Wechsel zunächst über den Ton, das Echo aus der Vergangenheit, dann erst kommt der Schnitt. Dennoch bin ich der Meinung, dass es die regelmäßige Unregelmäßigkeit ist, in dem die Wechsel erfolgen, sowie die unterschiedliche Länge der Zeitebenen, die das unvermittelt Unbewusste der Figuren betonen, statt die bewusste Stringenz der Filmemacher. Ebenfalls sehr gelungen ist der Soundtrack, der stark zum Realismus der Zeitebenen beiträgt, ebenso wie die Aufnahmen, welche die filmische Ästhetik der jeweiligen Zeit zitieren.
Zum Tenor: alles andere als Schwarz-Weiß, fein ironisch ohne auslachend zu sein, nie relativierend, sondern differenzierend, nie kitschig, immer einfühlsam, gespielt von einem großartigen Ensemble.
Ach so, und: es gibt zwei große Lebensretter in La Messias: die Geschwisterliebe und die Liebe zur Kunst. Zwei tätige Lieben.
Anmerkung von dubdidu:
A