Und dann...

Kurzgeschichte zum Thema Traum/ Träume

von  Bellis

Es kommt oft vor in letzter Zeit. Zu oft. Dass ich sie sehe, meine ich. Es sind mehr, als ich befürchtet hatte. Und sie sind überall.
Ich schlafe nicht mehr viel. Denn ich ahne, was sie dann tun.

Schon als Kind verfolgten sie mich. Lauerten mir neben dem Bett auf, wenn mich meine Eltern ins dunkle Kinderzimmer schickten. Und flohen natürlich, sobald meine Mutter im Zimmer das Licht anknipste. Nie hat sie mir geglaubt, dass sie da sind. Dass sie mich beobachten.

Später sah ich sie nur selten. Dachte, dass ich mit meiner Wohnung hoch über der Stadt endlich einen Platz gefunden hätte, wo ich sicher vor ihnen bin. Wo sie nicht hinkommen.

Doch hier sind sie auch. Ich sehe sie öfter in letzter Zeit. Zu oft. Vor allem wenn ich abends nach Hause komme. Wenn ich das Licht einschalte, dann ertappe ich manchmal eine, die unvorsichtig ist. Sie sitzt erst starr da, um dann loszuflitzen, sobald sie merkt, dass ich sie gesehen habe. Um dann blitzartig in der Wand oder unter dem Schrank zu verschwinden. Und mich von dort aus anzuschauen, meine ich. Denn das tun sie.

Fühlen konnte ich sie immer. Dass sie da sind und mich belauern, meine ich. Ich konnte spüren, wie ihre Augen auf mir ruhen. Wie sie meine Schritte überwachen, um mir nicht unter die Füße zu kommen.

Manchmal dachte ich sogar, dass ich sie flüstern hören kann. Dass sie sich untereinander Nachricht geben, wenn ich schlafe, um sich dann heraus zu wagen aus ihren Verstecken und sich anzuschleichen an mein Bett. Um dann dort zu sitzen, mich anzustarren und dann... Deshalb schlafe ich nicht mehr viel.

Denn inzwischen kann ich sie auch sehen, wenn sie nicht durchs Zimmer laufen. Obwohl ich das nicht will.

Anfangs sah ich sie nur außerhalb meiner Wohnung. Am Wegrand in Sträuchern. In Mauerritzen. Im Rinnstein unterhalb der Bordsteinkante. An Straßenlaternen.
Draußen konnte ich damit umgehen. Ich konnte einen Bogen um sie machen. Die Straßenseite wechseln. Den Blick abwenden. Die Augen schließen.
Aber irgendwann waren es zu viele. Sie waren überall, egal wohin ich schaute.

Ich dachte, ich könnte in meiner Wohnung hoch über der Stadt Zuflucht finden. Doch auch dort nahm ich irgendwann aus den Augenwinkeln flinke tastende Bewegungen wahr. Zuerst ignorierte ich das Zucken, sah einfach nicht hin, schloss meine Augen.
Später entdeckte ich verstört, dass offenbar die Wände und die Zimmerdecken meiner Wohnung lebten. Sie bewegten sich. Der Putz zappelte, waberte und pulsierte. UNTER dem Putz zappelt, wabert und pulsiert es.

Ich weiß nicht, warum ich das kann. Aber ich kann sie in der Wand sitzen sehen. Unter dem Schrank. Im Fußboden. Durch die Tür draußen im Flur. Unter vor allem in der Zimmerdecke, in dem Hohlraum zwischen Dämmplatten und Dach. Über meinem Bett. Über mir. Es sind viele. Mehr als ich befürchtet habe. Mehr als ich zählen kann.

Ich ignoriere sie, so gut ich kann. Trinke mir jeden Abend gleichgültigen Mut an. Jeden Abend schließe ich meine Augen, rolle mich in der Mitte meines Betts zusammen, um so weit wie möglich von den Bettkanten entfernt zu sein, und versuche, in den Schlaf zu entfliehen.

Ich weiß nicht mehr, wann ich zu träumen begann. Ich träumte, dass sie kamen. Dass sie aus ihren Verstecken krochen, über den Fußboden bis zu meinem Bett liefen, sich dort versammelten und mich im Dunkeln mit funkelnden Augen anstarrten. Und um dann...
Mein Herz rast nach diesen Träumen so heftig, dass ich glaube, es würde mir aus der Brust springen. Die Furcht zu sterben lässt mich aufwachen.

Zitternd, aber keiner bewussten Bewegung fähig, liege ich dann im Bett und lausche. Da ist ein schwaches Rascheln und Knistern zu hören, dicht neben meinem Kopf. Was wäre schlimmer? Wenn ich auf dem Weg wäre durchzudrehen oder wenn sie sich tatsächlich um mein Bett herum versammelt hätten?

Ich kann kaum atmen vor Angst. Das Rascheln und Knistern um mich herum ist keine Einbildung! Sie flüstern! Verzweifelt stürze ich mich auf den Schalter der Nachttischlampe, tauche den Raum in Licht und rette mich zurück in die Mitte des Betts.
Nichts. Sie sind weg.

Ab jetzt schlafe ich mit Oropax in den Ohren, um das Flüstern nicht hören zu müssen. Und ich lasse ein kleines Nachtlicht angeknipst. Die Lampe ist nicht hell, aber ihr Leuchten sollte ausreichen, um verstohlene Bewegungen in den Winkeln des Zimmers rechtzeitig wahrzunehmen.
Was ich freilich tun werde, wenn sie aus ihren Ritzen quellen, ist mir nicht klar. Ich will auch nicht darüber nachdenken, aus Angst zu begreifen, dass es keinen Ausweg gibt. Stattdessen hoffe ich, dass das Licht sie davon abhält, herauszukommen.

Ich schlafe nicht mehr viel, wache oft auf und durchforsche mit unruhigem Blick die Zimmerecken.
Eben bin ich wieder aufgewacht.

Und jetzt sehe ich sie.

Entsetzt erkenne ich dickliche pelzige Körper. Zahlreiche haarige Beine. Winzige glühende Augen, die wie kleine Dioden leuchten, in der Dämmerung rings um meinem Bett. Die mich unablässig und reglos anstarren. Genauso reglos, angstgelähmt, starre ich zurück.

Sie scheinen meine Panik zu spüren. Denn plötzlich setzen sich tausende krallenförmige Beine in Bewegung, huschen auf mich zu, klettern nebeneinander und übereinander an den Wänden, den Bettpfosten herauf, hasten über meine Bettdecke, rennen auf mich zu, auf meinen Kopf, in meine Haare, auf mein Gesicht, und dann...

Ich schlafe sehr viel. Wenn ich wach bin, liege ich, keiner bewussten Bewegung fähig, im Bett und lausche. Sehen kann ich sie nicht mehr. Meine Augen bleiben geschlossen. Aber ich höre sie flüstern. Fühle sie. Es sind viele. Mehr als ich befürchtet habe. Mehr als ich zählen kann. Und sie sind überall.


Anmerkung von Bellis:

© Bellis 01/2005

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Kommentare zu diesem Text

ub136 (41)
(30.08.05)
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 Bellis meinte dazu am 30.08.05:
Da hängt zwar schon einer, aber ich hänge Deinen daneben. ;o) Danke.
Irene (52) antwortete darauf am 31.05.07:
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