Brief nach Hause

Brief

von  bratmiez

Illustration zum Text
(von Ropa)
Liebe Marie,

ich darf nach Hause...endlich nach Hause!
Der alte Garten mit den wilden Sträuchern, den süßen Beeren und Kirschen und das saftige Grün des dezimeterhohen Grases. Ich hab es mir so oft vorgestellt. Ich hab es gemalt, gesungen, geschrieben. Mit offenen Augen träumte ich mich an jenen Ort zurück, der mir eigentlich zuwider sein sollte.
Nein, ich will nicht darüber reden...viel zu groß ist meine Freude Dich endlich, endlich wieder zu sehen. Deine Stimme hab ich fast schon vergessen. Langes braunes Haar wirst Du jetzt haben - so wie Du es immer wolltest.
Ach Marie, die Jahre gingen dahin, als wären sie nur Augenblicke gewesen...
Nimm die Spiegel ab, ja? Alle - ich will sie nicht sehen! Er starrt mich an, wenn ich an ihnen vorbei gehe. Manchmal starrt er auch aus der Wand (er beobachtet mich)...immer mit diesem einen bestimmten Blick (Du kennst ihn!). Und dann schlag ich mir die Finger blutig und mein Herz überschlägt sich. Siehst Du ihn auch? Siehst Du ihn???
Oh, ich bete zu Gott, daß Du davon verschont wirst!
Noch 27 Tage, Marie. All meine Sachen sind schon gepackt. Ob Du dich genauso freust? Ich weiß es nicht. Am Tag der Entlassung werde ich all Deine Briefe ausgehändigt bekommen. In den elf Stunden Eisenbahnfahrt bleibt mir genug Zeit, jeden einzelnen davon zu lesen.
Ich habe Angst, Marie....
Wie wird sie sein - die Freiheit? Manchmal fühle ich mich schuldig....ja schuldig. Das ist krank, oder? Aber wenn ICH schon so fühle, was denken dann all die anderen?
Großmutter..... Wie wird sie reagieren? Ich habe verdammt nochmal ihren Sohn getötet!!!
......NEIN........Ich wollte nicht darüber reden!

Stehen die Wildrosen noch im Garten...
...und das kleine Einhorn aus Porzellan?

Oh, ich vermisse Dich, Kleine!

Bald bin ich bei Dir....
Nicht mehr lange, Marie.

In Liebe,
Deine Schwester.

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Kommentare zu diesem Text

Ropa (33)
(25.07.05)
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Sektfrühstück (41)
(25.07.05)
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Eira (36)
(25.07.05)
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PraesidentDeath (24)
(16.08.05)
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 KopfEB (03.11.05)
Ein packender Text, keine Frage und eigentlich nicht der Erwähnung wert. Hat ja jeder andere schon gesagt.
Ich finde nur, an einer Stelle beißt sich deine Geschichte n bisschen. Sie kennt den Blick, aber soll verschont worden sein? Oder willst du andeuten, dass dein verwirrter Protagonist sich selbst was in die Tasche lügt, genauso wie mit den Schuldgefühlen?
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