Mein Opa gab mir einst eine Uhr. Eine mit schwarzem Kunstlederarmband und schlichtem Ziffernblatt, weiß. Zum Aufziehen ein Rad an der Seite.
Ich liebte die Uhr, war sie doch meines Opa´s, und ich trug sie immer, obwohl mein Gelenk so furchtbar schwitzte. Wenn ich auf sie blickte, zeigte sie nicht nur Zeit, sondern ebenso das verschmitzte Lächeln, die alte Schirmmütze, früher braun, dann von Lebensschmutz und Schweiß dunkel geworden, die Nase, kräftig und krumm, das stets schwarze Haar und den neckischen Blick. Sie berichtete mir von meinem Opa.
Erzählte mir all die Geschichten, die er uns, seinen kleinen Enkeln zu seinen großen Füßen, aus dem Buch vorlas, dessen Seiten in Wirklichkeit leer waren. Er dachte nur und malte uns die wundervollsten Spinnereien in den Geist. Jedes Wort war ein Gedicht für Kinderseelen. Ein fantastischer Mann steckte in ihm, voller Wunder.
Mit meinem Vater war er oft hinter der Scheune, rauchte selbstgedrehte Zigaretten. Immer nur filterlos. Und bekam er mal eine Filterzigarette geschenkt, er brach ihn ab. Ein ehrlicher Mann war er, der sich nie belog, nie wegsah.
Wollte er uns einen Schrecken einjagen, nahm er sein Gebiss heraus und verfolgte uns alle über den Hof, die Zähne in der Hand. Was haben wir geschrien, voll wohligem Grausen! Ein Mann, der rennen konnte, doch nur geradeaus.
Wenn es ans Arbeiten ging war er der Erste und wehe, man kam nach ihm an. Faulheit war nichts für ihn, der sein Leben lang mit Händen geschafft, was andere niemals erreichen. Ein harter Mann konnte er sein, den lieben Blick zu Eis erstarrt.
Oft hab ich in seinem Bett geschlafen, in der Besucherritze, unter der dicken Daunendecke, die immer so seltsam nach altem Menschen roch. Ich weiß noch, ich hab mich stets gefragt, wie das sein kann. Es schlief doch sonst nur noch mein Opa drin. Es war mir gar nicht recht dort zu schlafen, ist dieser strahlende Held meiner Kindheit doch manche Nacht schreiend aufgewacht, den Krieg im Kopf, die Bilder von Blut und Elend und leise weinend wieder eingeschlafen. Gebrochen war ein Teil des Mannes, den nichts umwerfen konnte.
Die Küche, wie auf jedem Hof der zentrale Ort, war stets beheizt, aber wirklich warm war es nur, wenn seine Gestalt im Mittelpunkt saß. Nie musste man ihm etwas hinterher tragen, war stets sein eigener Herr und niemandes sonst. Er sagte nicht immer viel und doch scharte sich das Leben um ihn, war jeder gern in seiner Nähe. Gesellig auf seine Art, die nur ein Mann wie er zu Stande bringt.
Für uns hatte er immer Zeit, immer ein Ohr, eine Hand uns die Nase zu klauen oder den Hintern zu versohlen. Voller Wunder und Standhaftigkeit, voller Weisheit und Erfahrung.
Mein Opa, der wundervollste Mann seiner Zeit, ein Privileg sein Enkel zu sein.
Er starb, so wie er es sich gewünscht hat, mit der Hacke in der Hand mitten auf seinem Feld. Keine Qual, nur der Tod, offen und ehrlich wie er.
Die Uhr meines Opa´s, ich habe sie immer getragen, mit stolzem Haupt und schwitzendem Arm. Bis eines Tages, mein erster Schritt in das eigene Leben getan. Mit dem Rucksack durch fremdes Land, zum ersten Mal alleine. So viel habe ich der Uhr gezeigt, tiefe Seen, hohe Berge. Ihr gefiel es wohl zu gut, vielleicht wollte sie ihm auch nur folgen, ich weiß es nicht.
Ich weiß nur, sie ist nicht mehr da, verloren auf halber Strecke. Als ich bemerkte, sie fehlt, bin ich Kilometer zurückgelaufen, gerannt, vergeblich. Von der Erde verschluckt, verloren für immer. Aber ich weiß noch genau wie sie aussah, schwarzes Kunstlederarmband und schlichtes Ziffernblatt, weiß. Zum Aufziehen ein Rad an der Seite.