Schaurige Kommoden

Kurzprosa

von  Gabyi

Als kleines Mädchen ging ich auf eine Mädchenschule, die nur für Mädchen erlaubt war, Jungen hatten keinen Zutritt. Sie mussten sich mit ihrer grobschlächtigen Rabaukenschule begnügen, in der sie geprügelt wurden. Wahlweise mit einem Stock auf den Hosenboden oder mit einem Lineal auf die Hände. Ihr Lehrer hieß passenderweise Unverhau.
Ich weiß das so genau, weil ich in der vierten Klasse in die Jungenschule wechseln musste, da unsere Mädchenschule geschlossen wurde. Dort galten jetzt ähnliche Regeln auch für uns Mädchen, nur unsere Hinterteile blieben verschont. Nur das Lineal auf die Hände kam zum Einsatz.
Meine Mädchenschule hieß sinnigerweise "Mädchenbürgerschule" und meine Klassenkameradinnen kamen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten. Fischerkinder, Kaufmannskinder, Barackenkinder (Flüchtlingskinder).
Einige rochen streng und waren mit einer dunklen Schmutzschicht überzogen, andere waren hübsch und adrett gekleidet. Ich bewegte mich im Mittelfeld, dachte ich wenigstens. Wahrscheinlich stank ich auch, denn wir hatten kein fließend warmes Wasser und ein Plumpsklo, das einmal in der Woche geleert wurde und für 12 Personen herhalten musste.
Mein Schulweg zur Mädchenschule führte mich durch einen schmalen Gang an einem kleinen Möbelgeschäft vorbei. Der Gang trug den Namen "Sauersgang". Ich konnte noch nicht lesen und wusste demzufolge weder wie das Geschäft hieß noch was hier verkauft werden sollte. Jedesmal wenn ich an dem Laden vorbeiging, ergriff mich ein seltsam beklommenes und ungutes mulmiges Gefühl. Ich konnte die ausgestellten Möbel nicht einordnen in meinen Erfahrungsschatz. Sie sahen dunkelbraun oder hellbraun aus mit Verzierungen aus Metall, glänzend oder matt. Mein Opa hatte in seinem Zimmer ähnlich aussehendes Mobiliar. Kommoden, einen Spiegelschrank und ein altes barockes Sofa. Aus dunkelbraun glänzendem Mahagoniholz gefertigt.
Einmal, als ich mit meiner Mutter in der Gasse an diesem Laden vorbeiging, fragte ich sie, nachdem ich all meinen Mut zusammengenommen und mir ein Herz gefasst hatte:
"Mami, was sind denn das da für schaurige Kommoden ?"
"Das sind doch Särge, weißt du das denn gar nicht ?"
antwortete sie barsch.
In meiner Vorstellung waren Särge aber immer würfelförmige Raumgebilde gewesen, nachdem ein Nachbarehepaar bei einem Autounfall ums Leben gekommen war und einen kleinen Sohn hinterlassen hatte. Sie wurden in einem Doppelsarg bestattet erzählte man in der Stadt.
Für mich brach eine kleine Welt zusammen.
Meine ruppige Mutter seifte uns drei Kinder einmal in der Woche am Sonnabend immer von Kopf bis Fuß am ganzen Körper ab. Mit warmem, im Teekessel erhitzten Wasser und einem Waschlapppen.
An den intimen, exponierten Stellen fühlte es sich besonders unangenehm an und es roch nach Fisch.
Und jetzt auch noch diese gruselige Nachricht. Särge sind nicht würfelquadratisch.
Sondern schlimmer noch, es sind schaurige Kommoden.
Nach der gründlichen Reinigung verpasste meine Mutter uns blütenweiße frische Unterwäsche, die bis zum nächsten Sonnabend vorhalten musste. Dann war ihr Geruch schon etwas fahl.
Ob es so auch im Sarg roch ?


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Kommentare zu diesem Text


 Teichhüpfer (25.04.24, 18:43)
Ich kam als erster Jungenklasse auf ein Mädchengymnasium, oha.

 Gabyi meinte dazu am 25.04.24 um 19:16:
In meinem Fall handelte es sich um einen Grundschule, die hieß früher mal Volksschule ;).

Antwort geändert am 26.04.2024 um 10:52 Uhr

 Teichhüpfer antwortete darauf am 26.04.24 um 18:33:
Der Unterschied zwischen den Schülern und Lehrern ist die Frage wert. Mich wollten die in der Quarta abschießen. Ein Lehrer zwei Hauptfächer mit Ansage. Ich wechselte die Schule und wurde Schulbester, dann kam die Liebschaft mit einer jungen Lehrerin, und ich erlebt, wie die von eins auf sechs setzen können.

Antwort geändert am 26.04.2024 um 18:39 Uhr

 AchterZwerg (26.04.24, 07:13)
Ja, ja,
der damalige wöchentlich Kleiderwechsel ist mir ebenfalls noch in "bester" Erinnerung ...
Vermutlich aus derart anerzogenem Protest zog ich mich später oft dreimal täglich um.
Manchmal noch heute.

 Gabyi schrieb daraufhin am 26.04.24 um 10:41:
Dito. Hab Dank für die Empfehlung :).
Gruß aus der Gruft zur frischen Luft.

LG
Gabyi

 Gabyi äußerte darauf am 26.04.24 um 15:43:
@KonstantinF. 
danke dir für die Empfehlung :). Hat mich sehr gefreut.

LG
Gabyi

 Gabyi ergänzte dazu am 03.05.24 um 07:53:
Danke auch an lugarex für die Empfehlung :).

LG, Gabyi

 Gabyi meinte dazu am 03.05.24 um 11:54:
@Dieter_Rotmund:
Danke vielmals für die Empfehlung :).

LG
Gabyi
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