Gegenschlag

Verstand vs. Irrsinn


Eine archivierte Kolumne von  Melodia

Dienstag, 05. März 2013, 23:15
(bisher 1.202x aufgerufen)

Das europäische Kasperletheater zieht weiter

In den letzten zwei Woche war wieder so viel los in aller Welt, dass man gar nicht weiß, welches Thema man aufgreifen soll. Aus eigenem Interesse und auch weil man immer globaler denken muss bzw. soll, werden die Parlamentswahlen in Italien das Thema sein; schließlich wird es einem nie langweilig die Politiker in meiner Heimat zu beobachten. Denn so mancher Kabarettist erscheint im Vergleich mit Bunga Bunga Berlusconi geradezu als Schatten seiner selbst.

Eigentlich war es voraus zu sehen, dass es bei den Wahlen zu einem Chaos kommen würde. Nicht nur, dass zum ersten Mal im Winter gewählt wurde und im Vorfeld wurden bereits diverse Theorien aufgestellt, welche Auswirkungen das Wetter haben könnte. Soviel zu unseren Politjournalisten. Es kommt nur auf die Inhalte an.

In Italien werden jährlich 120 Mrd. Euro an Steuern hinterzogen, dabei steckt das Land tief in der Finanzkrise und hat seit dem „Tagentopoli“–Skandal in den 1990er Jahren mehr neue Parteien kommen und gehen gesehen, als manche Damen des horizontalen Gewerbes. Das dabei Berlusconi wieder mitmischt war zwar abzusehen, auch wenn es alles andere als logisch erscheint, angesichts drohender Haftstrafen. Aber irgendwie windet er sich immer wieder raus, womit bewiesen ist, dass nicht nur seine Haare aalglatt sind.

Das Bunga Bunga dennoch relativ erfolgreich aus der Wahl hervorging liegt an seinen Wahlversprechungen. Wie stets übertrieben und unrealistisch. Er versprach Steuersenkungen und sogar die Rückzahlung aller eingenommen Steuern von 2012! Mehrere Steuern sollten abgeschafft oder gesenkt werden sowie die Staatsausgaben um 16 Mrd. Euro reduziert. Irre ich mich, oder würden diese drastischen Steuersenkungen im Endeffekt eine Schuldenerhöhung bedeuten? Da kann er auch 30 Mrd. weniger ausgeben – solange er nichts einnimmt bringt das reichlich wenig.
Auch die öffentliche Parteifinanzierung wollte er ad acta legen. Nebenbei wollte er Amnestien für gewisse Straftäter aussprechen, so z.B. für Steuerhinterzieher oder Bauunternehmer, die gepfuscht haben und eine Haftentlassung auf Kaution ermöglichen. Irre ich mich erneut, oder sind das alles Themen, die ihm selbst zugutekommen würden? Erneut! Und so sehr ich die Anschaffung der staatlichen Parteifinanzierung befürworte, in diesem Fall würde nur der Medienmogul gewinnen. Berlusconi hat sich Stimmen „gekauft“ und seine Medien wirksam dafür eingesetzt. Umso schöner, dass es nicht gänzlich funktioniert hat.

Sein direkter Gegner und Kandidat des Mitte-Linksbündnisses Bersani hingegen scheint das genaue Gegenteil des exzentrischen Ex-Ministerpräsidenten zu sein, nicht nur politisch. Ruhig, introvertiert und vor allem skandalfrei – eine Seltenheit in der italienischen Politiklandschaft. Der Nachteil: Seine Koalition besteht aus einer wilden Mischung von Konservativen bis hin zu Kommunisten. Da sind interne Querelen vorprogrammiert, von den üblichen Problemen von und nach außen abgesehen. Lafontaine ist ein Witz dagegen.

Der noch amtierende (oder auch nicht) Ministerpräsident Monti durfte offiziell nicht kandidieren, da er Senator auf Lebenszeit ist. Wirtschaftsminister konnte er aber sein und vom Präsidenten auch zum Ministerpräsidenten gewählt werden?!?! Aber zum italienischen Wahlsystem kommen wir noch. Seine Partei, die ihn als Ministerpräsident ernannt hätte, machte gezielt gegen Berlusconi Stimmung und plante ihr bisheriges Programm fortzuführen; weil es ja so unglaublich erfolgreich war…

Und dann gibt es noch Herrn Grillo, einen Komiker, Kabarettist und Blogger, der in diesen Bereichen durchaus zu überzeugen weiß, aber in der Politik? Das dürfte wohl auch der Grund gewesen sein, weshalb man ihm keine Siegchancen einräumte. Dabei hat seine Partei „MoVimento 5 Stelle“ (5-Sterne-Bewegung) durchaus interessante Programmpunkte. Als Eurowährungsgegner, wurde mit der Abschaffung aller Privilegien und mit Gehaltskürzungen für Parlamentarier geworben. Außerdem mit kostenlosen Italienischkursen für Immigranten, einer Arbeitslosenunterstützung, der Einführung eines staatlichen Mindestlohns, der Abschaffung staatlicher Förderungen von Privatschulen und aller Monopole, wie Autobahn, Bahn, Telefon, Strom und Gas.
Leider hat die Partei auch eher fragwürdige Punkte. Ich finde die Verbreitung des Internets durchaus gut, aber die Aufhebung der Urheberrechte geht mir dann doch etwas zu weit. Gerade Grillo, als Künstler, sollte wissen, was das auch für ihn heißen kann. Ebenfalls überzogen ist die obligatorische Internet-Nutzung an Schulen, bei gleichzeitiger Eliminierung von Schulbüchern. Ob das Energiesparprogramm unter diesen Voraussetzungen greifen würde?

Unter diesen Voraussetzungen gab es ein, aus neutraler Sicht, interessantes Wahlergebnis. Bei den Parlamentswahlen in Italien geht es um die Zusammensetzung der Abgeordnetenkammer und des Senats. Der einzige Unterschied besteht in der Anzahl der Abgeordneten, ansonsten haben sie exakt dieselben Befugnisse. Als Wähler bekam man also zwei Wahlscheine. Das Gesetzt sieht vor, dass im Abgeordnetenhaus die Partei mit den meisten Stimmen automatisch immer mindestens 340 der 630 Sitze bekommt. Vermutlich, um wenigstens irgendeine Form von Stabilität in italienische Regierungen zu bekommen. Dadurch bekam das Mitte-Links-Bündnis die Mehrheit, auch wenn der prozentuale Vorsprung nur äußerst knapp war.

Im Senat wiederum gibt es solch eine Regelung nicht, wodurch keine Koalition die absolute Mehrheit erringen konnte. Dazu kommt die Problematik, dass in der Einzelwertung, also ohne Koalitionspartner, die Partei Grillos hauchdünn (exakt mit 0,13% mehr) gewonnen hat. Dadurch braucht das Bündnis unter Bersani einen Koalitionspartner, um regieren zu können. Genau hier beginnen, wie immer, die lustigen politischen Hütchenspiele. Bersani möchte nicht mit Berlusconi regieren, was ich vollkommen verständlich finde. Grillo wiederum möchte nicht mit Bersani koalieren und der Präsident Napolitano verweigert die Erlaubnis für eine Minderheitsregierung des Mitte-Links-Bündnisses. Die Bürger wählen und die Politiker sperren sich. Wen verwundert da noch Politikverdrossenheit und niedrige Wahlbeteiligung?

Wahrscheinlich wird es, wie in Griechenland, zu Neuwahlen kommen. Denn ansonsten wäre Italien ebenfalls „unregierbar“, wie es so schön heißt. Wenn man es genau nimmt, sind die Politiker mit daran schuld, dass es zu Krisen kommt und dann weigern sie sich miteinander diese zu beheben. Politiker machen Staaten „unregierbar“. Aber solange Herr Schäuble weiterhin meint, dass die Finanzkrise fast behoben sei und Italien immer fähig war, „auch aus komplizierten Wahlergebnissen geschafft hat, regierungsfähige Mehrheiten zu bilden“, solange ist alles in Ordnung. Vielleicht hat sich Schäuble die letzten Jahre auch zu sehr mit Videoüberwachung und Bankenrettung beschäftigt, denn so ganz stimmt die Aussage nicht.

Persönlich hoffe ich, dass das politische System in Italien zusammenbrechen wird, wobei das durchaus für jedes Land zutrifft. Wäre auch das schlimmste was den Menschen passieren kann, wenn Politiker sich nicht einigen können. Einen Kabarettisten an der Spitze hätte zumindest etwas Unterhaltendes. In den USA wurden schließlich auch schon Schauspieler in hohen politischen Ämtern gewählt, wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg. Und das Kasperletheater in Deutschland ist auch nicht besser und hatte eine Zeitlang schon eine sehr illustre Besetzung.

Eine Frau als Bundeskanzlerin, ein Schwuler aus Außenminister, ein Behinderter als Finanzminister… zwischenzeitlich ein adliger Verteidigungsminister. Wohlgemerkt alles CDU oder FDP – Politiker! Das treibt so manchen linken Politiker Tränen in die Augen!

Ich bin sehr gespannt, ob es bei der Bundestagswahl im Herbst ähnliche Ergebnisse wie in Italien oder Griechenland geben wird. Ich hege die Vermutung, schließlich gibt es kaum noch politische Differenzierungen zwischen den Parteien, oder hätte jemand von euch jemals Gedacht, dass die CDU die AKWs abschafft und sich jetzt für die gleichgeschlechtliche Ehe einsetzt?

Das Puppentheater Europas wird weiterziehen. Bereits die Wahlen im letzten Jahr in Frankreich, Niederlande und Griechenland haben gezeigt, dass die Parteien immer näher zusammenrücken. Es sei denn man heißt Putin. Dann ist man der Puppenspieler.

Wenigstens steht jetzt dem Prozess gegen die Mafia-Marionette Berlusconi nicht mehr im Wege. Theoretisch.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram