andi(e)stirnschlag
Kleinlichkeiten
Eine archivierte Kolumne von AndreasG
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frei regeln
Vor einigen Tagen gab es mal wieder ein altbekanntes Gesprächsthema, als ich einen Freund besuchte.
Ansatzpunkt war: die Deutschen seien zu spießig, zu reglementiert, zu unfrei. Anders die US-Amerikaner, die Kanadier oder die Südafrikaner, denn die könnten Eigeninitiative leben, weil es nicht für jeden Pups eine Vorschrift gäbe. Ob jetzt für Selbstständige, Existenzgründer oder Steuerzahler: weniger Regeln bedeuten mehr Freiheit. Also bleibt nur der Umzug (die Auswanderung), um endlich frei zu sein.
Klar. Es hat etwas Verführerisches, weil es sich so schön einfach anhört. Besonders bei den großen Schlagworten (Freiheit, Liebe, Leben ...) neigen wir Menschen ja zu leichten Antworten. Altbekannt.
Auch gerne werden klassische Phrasen oder Vergleiche zu Rate gezogen. Bei der Freiheit sind Tiere besonders beliebt, je nach Naturell der Fisch im Wasser, der Vogel oder der einsame Wolf (Napfschnecken, Würmer oder Quallen dienen anderen Vergleichen). Sie beschreiben sehr plastisch die persönliche Unfreiheit, der es zu entrinnen gilt. Etwa:
“ich lebe am falschen Ort“ = Fisch auf dem Trockenen
“ich werde zu sehr eingeschränkt“ = beschnittene Flügel
“ich spüre zu starken Druck, den Andere auf mich ausüben“ = Rudel- bzw. Gruppenzwang
Nun bin ich auch kein Fan von ellenlangen Vorschriftsketten und denke, dass es eine Menge kontraproduktive Regeln gibt. Aber ein Leben ohne Regeln? Sollen sie nicht Sicherheit geben?
Bedeutet das, dass Sicherheit der Gegensatz zur Freiheit ist? – Ich fürchte, dass Viele zu diesem Schluss kommen (allein diese Extremsportarten ...); allerdings selten zu dem Umkehrschluss: Freiheit = Unsicherheit.
Warum sonst sind die Tiervergleiche so unpräzise? Stellt sich etwa jemand vor, ein Hering in einem gewaltigen Schwarm zu sein? Nein, Es ist immer das Bild eines ungefährdeten Fisches im Wasser (es gibt mindestens 18000 Fischarten, ein kleiner Seitenblick ins Aquarium gefällig?). Selber ein großer Fisch zu sein, ist sicherlich auch populär (und wovon leben große Fische? – Sie fressen kleine Fische. Wie erstrebenswert!).
Genauso erscheint der Adler verlockender als die Ente. Doch hier stellt sich die Frage: Warum fliegen Vögel? – Dient nicht das Fliegen oft genug der Möglichkeit zur Flucht, der Sicherheit also? Oder als Hilsmittel Andere zu fressen?
Und der einsame Wolf? Stellt sich da jemand ein abgemagertes Tier vor, das kaum Schlaf bekommt und vor Angst und Hunger nicht mehr klar denken kann? – Wölfe sind hochgradig gesellig. Einsame Wölfe darum nicht romantisch gestimmt, sondern schlecht gelaunt (und sehr sehr unzufrieden).
Aber egal. Jeder Mensch hat seine eigenen Vorstellungen von Freiheit. Und solange andere nicht darunter leiden müssen ...
Da fällt mir ein netter Ausschnitt ein, den ich letztens im Fernsehen gesehen habe. Ein mittelalter Mann beschwerte sich darin über die vielen Vorschriften und die Unfreiheit in Deutschland.
„Ich wandere eh aus, es ist ja Alles verboten hier“, sagte er, nachdem er von der Polizei mit 190 km/h aus einer 100 km/h-Zone gefischt worden war. Klar, denke ich, soll er doch. Er gönnt seinen Mitmenschen ja auch Freiheit: Frei wie die Vögel dürfen sie für ihn sein, vogelfrei.
Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag
öhm... was bin ich dann???
:-))) lg silvi
Interessante Thematik -> originell umgesetzt. Joa, so stelle ich mir Kolumnen vor, geht in etwa konform mit meiner Schreibe. Dank dir für den Text! Herzliche Grüesse - von wem wohl, sind ja eh immer dieselben ...
Hat mir gefallen. Und gerne gelesen habe ich es auch.
Liebe Grüße, Tom