KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Freitag, 22. Mai 2020, 20:56
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Kopfwäsche

716. Kolumne


Ich lag fast flach im Waschstuhl mit wachsender Erwartung. Die Polin griff in mein Haar und kraulte es durch. „Sie waren doch erst vor drei Wochen bei mir“, sagte sie. „Da sehen Sie“, hauchte ich durch die Corona-Maske, „was Sie mit mir angerichtet haben.“ – „Mon Dieu“, sagte sie, „war ich so schlecht?“ – „Nein nein, im Gegenteil.“ – „Sie scheinen mir ja ein Meister der Ironie zu sein, gut, ich schere Ihnen Ihr Denkerhaupt gleich mal fast kahl.“
Auf dem Frisierstuhl schaute ich ihr in die aufregend bewimperten Augen und fragte sie: „Was lesen Sie so?“ „Kommt darauf an. Und Sie?“ „Ich lese gerade die Venus im Pelz ...“ „Was? Sie lesen Porno?“, unterbrach sie mich. „Haben Sie’s auch gelesen?“ „Nö“, sagte sie, „nur den Film von Polanski.“ „Und?“ „Geht so.“
„Sie müssen das Buch lesen!“, sagte ich, „die Sprache macht mit Ihnen, was sie will.“ „Umgekehrt ist es mir lieber“, sagte sie. „Dann lesen Sie doch mal was von Elfriede Jelinek“, schlug ich vor. „Nein, ich lese lieber die Geschichten von Ferdinand von Schirach. Jelineks ludistische Beliebigkeit ist mir etwas zu prätentiös. Schirachs zerebrale Magie gibt mir mehr.“
Irgendwie ging es auch heute wieder schief. Tant pis – Übung macht den Meister, sage ich mir, und damit meine ich mich.


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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (24.05.20)
Die polnische Friseuse ist belesen??? Das ist 'ne schöne Vorstellung, aber unwahrscheinlich.

 Bergmann meinte dazu am 24.05.20:
Es ist immerhin die Meisterin ...
In der Erwartungsenttäuschung der gewöhnlichen Annahme des Lesers, was die Bildung einer Kleinunternehmerin betrifft, liegt ein Nebenwitz dieses Dialogs. Umso reizvoller wird für den verliebten Kunden das Objekt seiner Begierde.
Ich habe hier eine parodistische Bemerkung Erich Kästners umgewandelt:
"Der Kunde zur Gemüsefrau:
Was lesen Sie denn da, meine Liebe? Ein Buch von Ernst Jünger?
Die Gemüsefrau zum Kunden:
Nein, ein Buch von Gottfried Benn. Jüngers kristallinische Luzidität ist mir etwas zu prätentiös. Benns zerebrale Magie gibt mir mehr."
(Stuttgarter Nachrichten 29.12.1949)

Im Übrigen gab es schon in meiner Jugend erstaunliche soziale Bildungsverwerfungen. Akademisch Gebildete (mit und ohne Examen, Diplom etc.) traf ich bei meinen Beschäftigungen als studentische Aushilfskraft in Ministerien in subalternen Funktionen, sogar in Diskotheken als fest angestellte Bedienstete usw. - allerdings noch nicht in einem Friseursalon als Friseur oder Friseuse, das gebe ich zu.
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