KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Dienstag, 01. Januar 2008, 22:25
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OKTOBERGEDANKEN

Alpha
Der Mythos des Uranos ist in der Kunst nur im Ergebnis der Schaumgeborenen dargestellt. Da Männer keine Menschen gebären können, hätte Uranos eigentlich einer der großen Stoffe in der Weltliteratur, die von Männern geschrieben ist, sein können. Aber das Opfer, das Uranos gegen seinen Willen bringen muss, damit Aphrodite entsteht, ist seine Entmannung: Die Aufgabe des Lust- und Spieltriebs, des wesentlich männlichen Schöpfungsprinzips, zuletzt sein unheldischer Tod.

Beta
„Ulysses“ von Joyce ist von Wollschläger nicht immer gut übersetzt und in vieler Hinsicht unübersetzbar oder unübertragbar. Das polyphone Prinzip (Vernetzung aller semantischen Felder, aller absichtlichen und zufälligen Konnotationen, das Evozieren weiterer beliebiger semantischer Ebenen und psychischer Perspektiven) ist ganz gewiss eine angemessene Art, mit der uferlos uns überflutenden und unverstandenen Zeit umzugehen - eine Variante zu Kafkas labyrinthischer Welt im „Process“ -, aber zugleich vermessen und so unverständlich wie die abgebildete Welt.

Gamma
Thomas Mann ist deswegen nach innen gegangen und hat aus sich selbst heraus die Welt entworfen, in der er indirekt eigentlich nur sich selbst erzählt, aber als ein Medium für den Leser, der sich selbst verstehen will: Im „Zauberberg“ knüpft er metaphorisch formulierten Sinn, wie Goethe in seinen „Wahlverwandtschaften“, ähnlich ironisch und auch dadurch polyvalent. Das Montageprinzip im „Doktor Faustus“ zeigt das gleiche Prinzip mit anderen Mitteln, aber spürbare Mühe beim Versuch die Welt zu deuten.

Delta
Mir liegt das ‘tonale’ Erzählen mehr als die von Joyce mitbegründete Art ‘atonalen’ Erzählens, wo Strukturen, Perspektiven, Konstruktionismen und Ludismen zu komplex werden - so auch in Döblins „Alexanderplatz“ oder in „Zettels Traum“ von Arno Schmidt. Da bin ich alt-modisch mit meiner tonalen Seele und Sehnsucht nach Harmonien - es gibt formal harmonischere, also menschengemäßere Mittel, die Unmöglichkeit aller Ganzheitsentwürfe von Welt und Menschenleben anzudeuten. Dazu gehören die unbesiegbare metaphorische Methode und die fein changierenden Erzählperspektiven eines Erzählers, der mit der Uneigentlichkeit verschiedener Erzähl-’Jargons’ zu spielen vermag.

Epsilon
Mich hat ein Freund nach dem Lesen meiner Erzählungen irritiert gefragt, ob ich in den Texten Erlebtes, das ich verschwiegen oder zugedeckt habe, verarbeite. Ich antwortete: Nein, vielleicht bearbeite ich aber vergangene und lebendige Wünsche, ich weiß es selbst nicht genau. Ich verarbeite Gedanken und Assoziationen, die mir beim Erleben der Welt kommen, auch beim Zuhören und Lesen fremder Geschichten. Ich spiele mit meinen Worten und mit den Worten der Welt. Ob ich mich dabei abbilde, weiß ich nicht. Ich erkenne es jedenfalls nicht.

Zeta
Unsere Zeit hat seit dem Ende des zweiten Weltkriegs besonders wegen des allgemeinen materiellen Wohlstands, den es seit der Französischen Revolution nicht gab, zumindest in Europa oder in der Ersten Welt (der sogenannten Zivilisation) ‘Fortschritte’ in der ‘Gleichberechtigung der Geschlechter’ gebracht. Ich bin sehr skeptisch, ob das wirklich immer Fortschritte sind, bzw. für wen und auf wessen Kosten. Fortschritt wird beschworen, als vollziehe sich die Geschichte nach Hegels Idee: Automatisch kommt die Menschheit zur Vernunft, und das ist ihre Rückkehr ins Paradies. Aber die List der Gechichte meint nicht Gottes Güte und nicht den Witz der Menschen in der Not, sondern immer nur die unkalkulierten oder unkalkulierbaren Ereignisse und Ergebnisse. Wir müssen vielleicht hinnehmen, dass verschiedene Körper (Geschlechter) sich verschieden sozialisieren. Wir glauben die Natur zu verändern, aber die Klimmzüge klappen nur begrenzt. In der nächsten Notzeit, die auch die reichsten Länder nicht abwehren können, fallen auch die Kulturen der Moderne wieder zurück. Den reichen Ländern mit der feinen Zivilisation, die sie sich leisten können, fehlt die Religion, also der kontrollierte Glaube an sich selbst und Opferbereitschaft. Ich sehe das Auf und Ab der Mächte in der Geschichte.

Eta
Der Computer ist eine Verlängerung des menschlichen Körpers, alle Waffen, alle Prothesen der Fortbewegung - sie lassen sich integrieren in soziale Strukturen und politische Macht-Systeme, sie werden also funktionalisiert - aber indem das geschieht, geschieht es auch mit den Körpern der Menschen, zu denen die Gehirne und alle ihre mentalen Strukturen zählen. Wir haben von den technischen Geräten, die wir entwerfen und bauen, keine bessere Machbarkeit unserer Geschichte als zuvor. Es gab Phasen in der antiken und hochmittelalterlichen Geschichte, deren sozialen und politischen Zustände denen von heute nicht im geringsten unterlegen waren.
Meine Weltanschauung geht auf Grund meiner Lebenswahrnehmung von dem Gedanken aus, dass der Mensch und alles was er macht, ein sehr konstant labiles Wesen ist: Immer berechenbar in seiner ganzen Unbeherrschtheit - das ist unsere ganze Vernunft.

Theta
Eine List der Natur des Menschen scheint darin zu bestehen, dass er ein Tier ist: Obwohl ihn die Berührung mit Insekten ekelt, liebt er ihren Honig. Mich erinnert das an die List der Anatomie, die eine List der Geschichte aller Geschichten ist: Aus dem Organ, das im Liebesrausch Samen ejakuliert, fließt Urin, der überflüssige Rest des Stoffwechsels. Das eine ist wie das andere Stoffwechsel. Wir denken das ganz leicht auseinander. Ich frage mich, was hier überhaupt denkt. Denke ich am Ende weniger als gedacht?

Ulrich Bergmann

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