KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Hermetische Literatur. Eine Diskussion
Eskapismus in die Hermetik der Kunst ist eine Flucht nach vorn - auf der Suche nach der verlorenen Sprache will der Künstler die Welt begreifen…
[Ausschnitte aus der Diskussion]
Bergmann:
Ein Lyriker kann nur so schreiben, wie er verfasst ist. Wenn seine Situation sich immer mehr in Richtung Hermetik entwickelt, wenn er also zum Beispiel materiell und geistig isoliert ist, bringt er eben dies zum Ausdruck. So ist der geschriebene Ausdruck des hermetischen Zustandes ein Ausweg. Kunst hat oftmals diese Genese.
Ich finde, das ist eine interessante und wichtige These: Die Funktion der Hermetik als lebensnotwendiger Eskapismus des Künstlers. Auch Alpha findet das und regt diesen Thread an. Kunst, also auch Literatur, dient der Befreiung der schrei(b)enden Seele, und das ermutigt die lesende Seele. Und: Erst die Kräfte, die den Schreibenden zur Hermetik bewegen, WEIL ER ES ANDERS NICHT SAGEN KANN, bringen jene Authentizität hervor, die große Literatur ausmacht, um die es einzig geht.
Hermetik ist letztlich der Versuch, das Unsagbare doch noch zu formulieren. Der Eskapismus des Künstlers ist eine Flucht nach vorn auf der Suche nach der verlorenen Sprache…
Was meint ihr dazu? Ich freue mich auf die Diskussion!
Jack:
"WEIL ER ES ANDERS NICHT SAGEN KANN" ! - würde er versuchen, es anders zu sagen, wäre die form dem inhalt äußerlich und nicht angemessen. kunst ist ein paradox: absolute freiheit und absolute unfreiheit untrennbar vereint.
Treulieb:
Vielleicht kann der Prozess des Verfassens von Literatur erst dann beginnen, wenn man das Schreiben hinter sich lässt. Im Beginn des Schreibens ist ein Bemühen um Verständigung, ein Tasten und Suchen nach Anderen. Bei mir fiel der Beginn der Schreiberei mit dem Beginn der Pubertät zusammen. Ich suchte verwandte Seelen und fand heraus, dass die Welt um so einsamer wird, je mehr Gedanken man sich macht. Sobald die Illusion weg ist, irgendjemand würde einen schon irgendwann verstehen, findet man seine eigenen Ausdrücke, Bilder und Zeichen. Materielle und geistige Isolation mögen helfen, sind aber keine conditio sine qua non. Schließlich gilt sowieso: 'Jeder Mann und jede Frau ist ein Stern'. Wenn mit Hermetik nicht nur Abgeschlossenheit sondern auch Isolation aufgrund der Entfernung gemeint sein kann, dann erscheint mir die Metapher schlüssig. Dann leben wir in einem hermetischen Universum und Kommunikation ist ein Wunder.
Niemand kann einfach anders, aber Alle versuchen es. Und ohne den engagierten Interpreten, der wunderbarerweise den literarischen Weg des Hermeten kreuzt wird keine keine Literatur jemals bekannt.
Wupperzeit:
Wie auch immer, was auch immer User bei KV suchen, eine Antwort auf diese Frage ist so falsch wie alle Antworten auf diese Frage und so richtig:
Es gibt Gegenbeispiele für die These vom einsamen Autoren, um einmal einige zu nennen: Brecht und Benn, Goethe ohnehin, ihr Werk entstand auch auf Grund ihrer Lebenserfahrungen, die sie nicht im einsamen Kämmerlein erworben haben. Grundsätzlich waren das zwar anscheinend negative Erfahrungen, so wurden sie immerhin literarisch verarbeitet, aber ich bin der Meinung, dass jemand, der keine Erfahrungen gemacht hat oder machen will auch keine Themen findet um diese zu gestalten. Eine gewisse Welterfahrung ist nötig, um eine Welt zu beschreiben, und nicht nur die eigene.
"Hermetik ist letztlich der Versuch, das Unsagbare doch noch zu formulieren. Der Eskapismus des Künstlers ist eine Flucht nach vorn auf der Suche nach der verlorenen Sprache… "
... das kann man nicht diskutieren, weils (immer noch) eine Aussage ist, die so gilt, wie sie da steht, und auch wieder nicht.
LuJa:
Ist mehrere Aussagen zugleich, die auch noch einander bedingen(nd aufgestellt sind)
a) Hermetik ist letztlich der Versuch, das Unsagbare doch noch zu formulieren.
b) Der Eskapismus des Künstlers ist eine Flucht nach vorn
c) auf der Suche nach der verlorenen Sprache …
Wenn du meinst ...
Warum auch nicht ...
Schöner Titel ...
a) Hermetik verschließt sich
b) man flieht halt in die Richtung, aus der einem der geringste Widerstand entgegen steht - das ist in manchem Fall, aber nicht in jedem, man selbst - man flieht in sich hinein, so weit man eben kann.
c) Wer auf der Flucht ist, sucht nicht. Der flieht. "Auf der Suche nach der verlorenen Sprache" ist viel zu poetisch für eine Flucht. Ist Schnörkel(ei).
Aber - warum auch nicht?
Farnaby:
Mein ästhetischer Grundsatz lautet:
Ein gutes Kunstwerk (sei es Literatur, Musik, was auch immer) versucht seinen Inhalt so klar wir möglich zu vermitteln.
Im Gegensatz zu Wittgenstein ("Was sich sagen lässt, lässt sich auch klar sagen"), bin ich jedoch der Auffassung, dass Klarheit ein durch und durch subjektives Konzept ist, welches stark vom individuellen Bildungs- und Erfahrungshintergrund abhängt. Außerdem kommt es auf den Inhalt an, wie leicht oder schwer es ist, ihn klar zu vermitteln. "Triviale" Inhalte zu vermitteln ist nicht die Aufgabe von Literatur oder Kunst im allgemeinen. Es geht grade eben um solche Inhalte, bei denen es grade nicht so leicht ist, sie klar in einem Satz zu fassen. Diesen trotzdem eine gewisse Klarheit abzugewinnen - das macht für mich Kunst aus.
LuJa:
@ Farnaby - schön, schön - dann steht das ja auch nicht dem entgegen, dass ein sich sperrender Text (dem Zugang wehrender) durchaus auch Ausdruck eines Schreibenden sein kann, der sich bedrängt, eingeengt, eingesperrt fühlt. Ausdruck ist - rein vom Wort her - immer ein von innen nach außen gerichteter Vorgang und daher reicht der Schreibende dem Leser einen Kassiber durch die Gitterstäbe.
Dieser Kassiber ist in einer Sprache verfasst, derer man außerhalb des Planeten X nicht mächtig ist.
Es bleibt: Da hat wer was gesagt
Warum - vor allem WAS - bleibt Sache des Zettellesers. Ohne Enigma keine andere Klarheit als die, dass da wer was sagte, der ...
"So klar wie möglich" - ist erfüllt, wird immer erfüllt.
Wittgensteins vordergründig bestimmendes "lässt sich auch klar" relativiert sich dann in "das ist, was sich sagen ließ, und ist das, was an klarheit ist" KLar istm das's unklar ist und nicht anders geht - die "Fluchtbewegung" somit Interpretation (Kassiberhandbuch)
giftpreisträger:
@tee-säusel: Das habe ich auch soeben gedacht.
Übrigens: Sanskrit gilt für eine Art genetischer Signatur, die in allen Lebensformen des Universums Gültigkeit behauptet. Wenn ich so einem Schreiber vorhalte, dass der arme Kerl sicher eine schwere Kindheit gehabt hat, wird das nichts mit dem Lesen. Und wenn es noch nicht einmal dafür reicht - was solls dann erst mit dem Schreiben werden...
Wenn eine These nicht ihren legitimen Platz zwischen extremen finden kann, wird sie zum Truppenübungsplatz und sollte rechtzeitig überdacht werden.
Farnaby:
"So klar wie möglich" - ist erfüllt, wird immer erfüllt."
Ist es meiner Meinung nach nicht. Bei vielen Texten habe ich den Eindruck, dass versucht wird, eine eigentlich triviale Idee durch Schwurbeleien aufzupeppen. Das ist für mich das Gegenteil von "so klar wie möglich": Texte die durch bewusst gesetzte Hermetik den Eindruck erwecken wollen, "tief" zu sein, es aber schlicht und ergreifend nicht sind.
mmazzurro:
Klarheit ist gut!
Wann ist ein Text/Gedicht tief: ab 1,80 m unter der Oberfläche oder erst ab 2,50 m? Die Tiefe der subjektiven Empfindung ist für den Leser nicht immer leicht einzuordnen, eine Hilfe bietet, bzw. ein Kunstwerk ist für mich einigermaßen gelungen, wenn die Tiefe halbwegs rüberkommt, durch die gewählten Mittel (Sprache/Worte, Musik/Töne/Rhythmus, Bilder/Farben/Formen usw., um auch auf andere Kunstformen als die Literatur auszudehnen).
Außerdem gibt es "reine" Hermetik meiner Meinung nach gar nicht. Gut, das Schreiben (oder der kreative künstlerische Akt) ist meist ein "abgeschlossener" Vorgang, findet immer irgendwie "isoliert" (materiell, geistig), erst im Kopf, dann auf dem Papier, der Leinwand, dem Instrument usw. statt, meist unter Ausschluss der "Öffentlichkeit" bzw. aus einer wie auch immer tiefen Stimmung oder einem Denkprozess oder sonstwas heraus statt. Aber, zur Ausgangsthese zurück, dass der Künstler sich aus der materiellen oder geistigen oder seelischen Isolation heraus artikuliert oder das Inhalt seiner Kunst ist, bzw. aus der Reaktion / unter dem Einfluss eben dieser, ist rein aus der sophistischen Logik schon keine Hermetik im Sinne von Isolation sondern eine glatte Wechselwirkung, eben durch Beeinflussung, durch Spüren des "Mangels" (hier im Sinne von Isolation) ... welcher Unterschied besteht dann zu anderen "nichthermetischen" Künstlern? Auch die erschaffen aus welcher Motivation auch immer und äussern diese ihre "Motivation", diese Triebfeder oder machen sie zu ihrem Inhalt ... wo also der Unterschied?
Und wenn wir eine ganze Kolonie aus Hermetikern bekommen, die sich womöglich noch zusammentun, wie hier in kV? Das wäre eine schöne Kolonie aus Einsiedlern?
Der einzige "wirkliche Hermetiker" in streng logischem Sinne war Gott (mal als Künstler betrachtet) bei der Erschaffung der Welt, denn da gab es vorher nix um ihn, der war auch materiell und geistig sehr isoliert (unter der Annnahme Gott gibt/gab es und die Schöpfung). Der "Urknall" muss wohl so ähnlich abgegangen sein?
Es gehört auch bisserl "Liebe" zum gewählten (Kunst)Mittel zu, ob Sprache, Musik, Bildhauerei oder Malerei oder anderes. Und dann "Talent", / "Fähigkeit", "Erfahrung" / "Übung", "Bildung" (ja Bildung, Gelerntes) in der Benutzung der Mittel zu, dann "Glück", das man grad richtig drauf ist, sich gut und richtig zu äußern, dass es ein paar "Willige" (Leser, Betrachter etc.) gibt, die das Geschaffene (Kunstwerk) lesen, anschauen usw. ... schließlich benutz jeder Künstler sein gewähltes (allgemein, auch von anderen gebrauchtes) Mittel irgendwie auch bewußt (nicht alles geschieht unbewußt, das, was er benutzt kann er eben oder meint es zu beherrschen) ... das ist eben der Vorgang des "Schaffens" ...
Ob das jetzt auch "lebensnotwendig" ist oder gar "Eskapismus" (wie der Titel des Freds lautet), weiß ich nicht. Ich glaube nicht. Lebensnotwendig sind wirklich nur Essen, Trinken, Schlafen und in irgendeiner Form Sex (oder allgemein biologische Triebbefriedigung, jetzt nicht so ein Luxus wie Liebe oder Erotik oder so'n Zeugs) und für ein soziales Wesen im Zusammenleben mit anderen Artgenossen (selbst für gefestigte Einsiedler und "harte" Hermetiker) ein allgemeines Angenommenwerden und sich Ausleben als Grundbedürfnis des Menschen vom Säuglingsalter an (das kann Kunst leisten, tut es meistens auch, weil sie häufig Anerkennung und Ruhm, manchmal auch Geld, usw. bringt (jedenfalls keine Unsterblichkeit) ... Es sind also wirklich wenige Dinge, die "lebensnotwendig" sind.
Hermetik als Funktion für den Künstler lass ich gelten, er wählt ja meist schliesslich selbst (wenn er "isoliert" oder allein mehr zustande bringt als in "Gesellschaft", dann ist ja gut, das kann er halten wie er will, wozu dann die Diskussion, jeder nach seiner Fassong, warum nicht) ... ich würde aber dieses nicht zu sehr verallgemeinern oder zum Prinzip erheben, wie gelegentlich geschieht, als eine Möglichkeit von mehreren/vielen JA!
Ein weiterer "wirklicher" Hermetiker (neben Gott zu Beginn der Schöpfung) fällt mir grad ein, ist vielleicht noch ein Künstler (eine Künstlernatur) ohne Kunstwerk! (weil er nix kann oder gelernt hat oder entwickeln konnte, aber der künstlerisch fühlt und denkt, ganz tief, "wahr"!) Das ist meiner Meinung nach die ärmste Sau und ein wahrer Hermetiker, der steht völlig isoliert da (materiell, geistig, psychisch usw., das grenzt manchmal schon an tiefe, echte Depression..) ... gebe ich auch mal zu bedenken ...
Treulieb:
Sprache ist eben immer zweierlei. Mittel zum Verständigen (selbst Menschen, die zwei völlig verschiedene Sprachen und jeweils nur diese, sprechen, werden eine Verständigung herbeiführen, so sie denn wollen) und Mittel zum Ab-und Ausgrenzen (über Dialekte, Gruppenidiome, Fachterminologie). Zwischen Lingua Franca und Kauderwelsch oszillierend könnte eine Sprache der Kunst existieren, die fortgeschrieben wird auch und gerade durch sprachliche Eskapaden der Künstler, die zunächst vielleicht nur originell sein wollten. Die Rückkopplung erfolgt ja immer durch den Leser/Kritiker, der das Etikett 'Hermetik' erst aufkleben muss. Von selbst wird ein Gedicht nicht hermetisch. Es könnte schließlich auch einfach nur 'schwierig' sein. Möglicherweise behauptet der Autor die Hermetik, aber das ist nur Attitüde. Ein Rätsel ist immer nur vorläufig.
Insofern ist die Frage ob die Hermetik lebensnotwendig ist eigentliche irrelevant. Hermetik ergibt sich aus dem Drang zur Originalität, wenn die Ergebnisse dieses Drangs Ratlosigkeit beim Leser/Kritiker erzeugen.
Interessanter wäre, ob Eskapismus eine notwendige Bedingung des Künstlers darstellt.
mmazzurro:
@Treulieb: Endlich mal ein vernünftiger und fundierter Beitrag! Auf dem sich weiterreden lässt.
Treulieb:
@Werner: Als 'vernünftig' oder gar 'fundiert' werde ich eher selten beschimpft. Danke für die nette Abwechslung.
(Treulieb, legitimer Nachfahre Hermes Trismegistos, unter fortschreitendem Eskapismus leidend, nach Diktat verreist.)
Farnaby:
@Treulieb. Ein guter Beitrag. Auf deine Frage, ob "Eskapismus" eine notwendige Bedingung fürs Kunstschaffen ist, antworte ich mit einem klaren "Jein". Einerseits setzt Künstler-sein sicherlich nicht voraus, dass man weltfremd ist, im Gegenteil tut es der Kunst gut, wenn sie mit mindestens einem Fuß in unserer realen Welt verwurzelt ist. Andererseits ist ein gewisses Maß an Fantasie selbstverständlich Voraussetzung für Kunst, das Schaffen "eigener Welten" gehört dazu, am deutlichsten z.B. in einem Roman, einem Film oder einer Sinfonie. Diese "Welten" stehen aber nicht vollkommen für sich, sondern reflektieren im Idealfall die Realität auf eine Weise, dass diese dadurch klarer wird. Wenn man das "Eskapismus" nennen möchte, so soll man das tun.
@Ludwig. Schwurbeleien sind nicht das gleiche wie Hermetik, jedoch sind beide nicht unverwandt. "Schwurbeln" bedeutet ja einfach, wenn man sich unklar ausdrückt, drum-herum redet, mit vielen Worten wenig sagt. "Hermetik" bedeutet, dass etwas schwer zugänglich ist, dass etwas hinter den Worten steckt, was nicht so ohne weiteres beim ersten Lesen deutlich wird. Wenn man viel schwurbelt, erzeugt man daher Pseudo-Hermetik, der Leser mag den Eindruck gewinnen, dass hinter den vielen eigenartigen Worten noch irgendetwas steht. Und vielleicht, durch die Kunst der Interpretation, wird die Schwurbelei doch noch zur wahren "Hermetik", wie Treulieb vorgeschlagen hat.
Bergmann:
Ludwig sagt:
a) Hermetik verschließt sich
b) man flieht halt in die Richtung, aus der einem der geringste Widerstand entgegen steht - das ist in manchem Fall, aber nicht in jedem, man selbst - man flieht in sich hinein, so weit man eben kann.
c) Wer auf der Flucht ist, sucht nicht. Der flieht. "Auf der Suche nach der verlorenen Sprache" ist viel zu poetisch für eine Flucht. Ist Schnörkel(ei).
Axiom 1: Ich denke (a), dass das, was LuJa das Sich-Verschließende nennt, das Neue, zunächst Fremde ist, das Leser oft unmittelbar nach Erscheinen eines Werks nicht so gut verstehen wie Leser später. Wirklich gute und dauerhaft wirkende Literatur kommt in einer neuen Sprache oder Schreib-Weise daher. Manchmal ist ein Werk noch heute vermutlich nicht genügend adäquat verstanden, etwa Faust II, oder Ulysses oder Der Mann ohne Eigenschaften…
Hermetik will sich nicht verschließen, im Gegenteil, der hermetisch Schreibende schreib gar nicht verschlossen, sondern er reißt geradezu verschlossene Horizonte auf!!!
Axiom 2: Ich denke (b), es ist genau umgekehrt: Der größte Widerstand wurde beim Schreiben gesucht: Nämlich die unverstandene und verschlossene Welt aufzuschließen. Das geht nur mit einem neuen Schlüssel, mit einer neuen Sprache: Wittgenstein, Heidegger, Grass, Ionesco, Beckett, Jandl, Jelinek…!
Auch die Suche tief in sich selbst hinein ist keine Flucht, kein Ausweichen, sondern der Versuch, moralische Schranken und Erkenntnismauern einzureißen, um neue Sichtmöglichkeit zu gewinnen. Wer in sich geht, will sein Außen verstehen - und umgekehrt. So in Musils Roman „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“, rein sprachlich zwar konventionell, aber in den Bildern und in der Handlung nichts Geringeres als eine poetische Vorwegnahme von wesentlichen Erkenntnissen Sigmund Freuds und erste Ahnungen vom heraufziehenden Faschismus, der im Spätimperialismus seine Wurzeln hatte.
Ich denke (c), der so Suchende muss eine neue Sprache finden und sprechen, wenn er zu neuen Erkenntnissen gelangen will. Ob diese zur ‚Botschaft’ für den Leser werden, ist eine andere Sache; intendiert ist so etwas meist nicht, die Intention ergibt sich oft beim Leser a posteriori. Ich verstehe in diesem Zusammenhang Sprache im weitesten Sinne.
In diesen Zusammen gehört auch, was Treulieb sagt:
„Insofern ist die Frage ob die Hermetik lebensnotwendig ist, eigentlich irrelevant. Hermetik ergibt sich aus dem Drang zur Originalität, wenn die Ergebnisse dieses Drangs Ratlosigkeit beim Leser/Kritiker erzeugen.“
Axiom 3: Nicht nur der Künstler ist zum Eskapismus ‚genötigt’, sonder auch der Leser. Beim Lesen eines literarischen Werks treffen sich Autor und Leser, wenn sie aus ihren verschiedenen Perspektiven heraus die Welt (zu begreifen ver)suchen. Der Leser steigt wie der Schreibende auf in eine neue Dimension des Denkens und Verstehens. (So war es einst auch mit dem biblischen Erzählen.)
mmazzurro sagt:
Der einzige ‚wirkliche Hermetiker’ in streng logischem Sinne war Gott (als Künstler) bei der Erschaffung der Welt, denn da gab es vorher nix um ihn, er war auch materiell und geistig isoliert…
Ein weiterer ‚wirklicher Hermetiker’ ist vielleicht auch ein Künstler (eine Künstlernatur) ohne Kunstwerk!
Diese Erweiterung des Künstlerbegriffs finde ich eine grandiose theologische Konstruktion, wahrscheinlich nicht völlig neu, aber im Zusammenhang mit Not und Eskapismus hochgradig geeignet, darüber eine Novelle oder ein Traktat zu schreiben! Gott als Künstler (und der Künstler als Gott im Kleinen) - das ist eine Idee, die mich schon lange sehr beschäftigt. An Gott als Künstler muss ich glauben (ich wünschte mir, ich könnte es; jedenfalls hätte ich gern so eine Schöpfung, ohne Krebs und Genozide, aber ohne paradiesische Langweile. So eine Schöpfung haben wir aber nicht - es liegt an uns, den Rohentwurf zu gestalten. Ebenbildlichkeit Gottes ist der Auftrag (oder die selbstgestellte Aufgabe) an uns Menschen, zu Künstlern zu werden, die unsere Welt als Kunstwerk begreift und zu einem lebbaren würdevollen Menschsein umgestaltet. Insofern schließe ich mich dem utopischen Wollen von Joseph Beuys und seiner Idee der sozialen Plastik an.
Ich frage mich: Wenn Gott so ein eskapistischer Künstler war: Welche Not hatte er, die Welt zu erschaffen? War es Not(!)wendigkeit, also ein logischer Zwang?
Ich will hier noch keine These oder ein Axiom formulieren. Ich suche noch nach Antwort.
Ich denke, Drogen helfen nicht viel - nicht für den Schreibakt. Drogen helfen nur für die Zeit, wo der Künstler nicht künstlerisch arbeitet. In dem Moment, wo er schreibt oder malt, ist der künstlerische Akt seine 'Droge', sein Lebensgrund.
Die Behauptung, dass Künstler nicht die Normalität eines durchschnittlichen Bürgers haben, trifft sicher bei vielen Künstlern zu - das lässt sich auch hier auf KV oft sehen oder wenigstens vermuten.
Fragen wir uns: Ob durchschnittliche Normalität / Gesundheit überhaupt anstrebenswert sind. Ich denke: Nein. Jedenfalls nicht für mich. Ich will nicht nur Tier mit Bewusstsein sein, dass nur frisst, eine Hütte baut, sich vermehr und dann stirbt.
Menschsein bedeutet, diese Grundbedingungen des Lebens zu transzendieren, zu überwinden, ein Werk zu schaffen. Dieses Werk muss kein künstlerisches im engeren Sinne sein. Ein solches Werk ist auch eine reiche Lebensgestaltung, die gute Erziehung der Kinder und die beseelte Berufsausübung.
Wir reden hier über Künstler: Der Künstler will ein Werk erschaffen, das anderen etwas mitteilt und gibt, indem der Rezipient das Werk benutzt, um sich selbst etwas mitzuteilen und zu geben: Der Künstler vermittelt (s)einen Erkenntnisfortschritt (seine Lebensbeobachtung etc.), so dass der Rezipient zu einer eigenen Erkenntnis gelangt. Manchmal geht es auch nur um Bestätigungen, Ermutigungen und Unterhaltung in einem nicht konsumistischen Sinn.
Letztlich ist jeder Autor eine Art Religionsstifter im Kleinen.
Nun zurück zur Ausgangsthese. Es ist klar, dass ein Künstler, der in und/oder an der Welt leidet oder in ihr tiefe Erfahrungen macht(e), die ihn verletz(t)en, mehr zu sagen hat und mehr bewegen kann im Rezipienten als zum Beispiel das Gefasel auf RTL-Niveau.
mmazzurro:
Also, ich verstehe ja nicht viel von Drogen und weiß auch nicht viel von Künstlern und ihren Kunstwerken unter Drogen (bin halt bissel dumm und ungebildet, lese zu wenig und schreibe zu viel), aber als "Fan" von Georg Trakl und Walter Benjamin nehme ich an, ohne Drogen wäre ihnen manches nicht so gut gelungen (im Schreiben, jetzt nicht im Leben) ... und:
Heute führen viele Künstler, gerade Schriftsteller, ein ziemlich normales, "bürgerliches" und alltägliches Leben (jedenfalls die wenigen, die ich irgendwie vom Lesen und die ganz wenigen sogar persönlich kennengelernt habe (meist sind die Frauen da "normaler" als die Männer, wie so oft im übrigen Leben auch) ... und gleich vorweg: ich begrüsse dies, die "Normalität". Die Zeiten des Mäzenentums sind vorbei, die manchen "Spinnern" Eskapaden und abgeschiedene Muse zum Schaffen/Schreiben ermöglichten ... Heutzutage muss sich ein Schriftsteller und Dichter auch viel persönlich um seinen Lebensunterhalt bemühen (er muss sich mit Übersetzungen, Rundfunkfeatures, Artikeln im Kultur- und Geistesleben über Wasser halten, neben paar guten grossen Romanen, Gedichtbänden) ... das is wenig mit Hermetik und Eskapaden (der hehre Musentempel, in dem der einsame, wo möglich noch verkannte, Künstler sinniert und den Weltroman oder DAS Gedicht erfindet, welch verstaubtes Klischée) ... Es kommt der Literatur nicht schlecht, wenn sie im Leben steht und aus ihm heraus wirkt ... Künstler sind nicht viel anders als andere Menschen, die können halt nur besser Schreiben, Malen, Komponieren oder sowas, andere Menschen können dafür besser ein Auto reparieren, einen Tisch schreinern, eine Software installieren oder Kontoauszüge prüfen ... Künstler haben fast alles genau wie andere Menschen auch, verlieben sich genau so glücklich oder unglücklich, haben ihre Probleme in der Kindererziehung, gehen einkaufen, machen Urlaub, sitzen mal faul im Strassencafé rum, stehn im Supermarkt an der Kasse, fahren Auto (so sie einen Führerschein haben), fahren Zug usw. usw. ... sie reflektieren vielleicht mehr über solche Dinge als andere, "gewöhnliche" Menschen, weil sie nicht anders können, das Gehirn immer in ihrer künstlerischen Richtung arbeitet (meist haben sie eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe), schliesslich ist das auch ihr "Material" (ihr Sujet), sie schöpfen daraus, verarbeiten dies zu einem Gedicht, einem Roman, einem Bild, einer Melodie etc. ... das ist das "Lebensnotwendige", aber sie tun dies nicht immer unbedingt sehr gern, es kommt ihnen halt oft so, weil es ihre "Fähigkeit", ihre "Besonderheit" ist, andere haben anderes, sammeln intensiv Briefmarken oder Teddybären mit der gleichen Leidenschaft und Intensität (Einsamkeit und Eskapismus). Ich würde nicht so sehr den Künstler herausstellen, er ist kein besserer oder schlechterer (auch kein viel anderer) Mensch als die meisten Menschen sonst ...
Zum Erziehungswert und zur reichen Lebensgestaltung: na ja, das sind schnell fragwürdige Dinge, da spricht der Lehrer aus Uli, ich bin da sehr vorsichtig, das ist mir zu "moralisch" und "belehrend", das hab ich nicht so gern, da sperrt sich schnell was in mir, das wertet gleich wieder, das gehört eher in die Religion oder die Ethik.
Bergmann:
Lieber Werner mmazzurro,
gleich vorweg: Ich liebe Normalität nicht. Hinter deinen Ausführungen zum Künstlertum steckt ein gleichmacherisches Menschenbild, das der Wirklichkeit nicht entspricht. Dein Künstlertum ist mir viel zu handwerklich und ruft nach jener Gesundheit, die ein wirkliches, echtes Künstlertum nicht hervorzubringen vermag. Das Besondere, das du ja immerhin erwähnst, verträgt sich nicht mit so einem Künstlertum, das den Handwerker übersteigt. Das Normale ist allzu sehr das Normative in seiner langweiligsten Form.
Und: Antiquiert- meine Ausführungen zu dem Thema? Nein. Deine Auffassung ist zu vulgär und zeitgeistgebunden, so dass dir mein Denken so vorkommt wie aus einer anderen Welt. Meine Gerdanken sind dir fremd, weil du dich im so genannten Gesunden aufhältst und dir so die Augen zubindest.
Und: Lehrerhaft - ? Ich lese tatsächlich (auch!) wegen der Erkenntnisse, die vermittelt werden, die ich mir selbst im Lesen vermittle. Deine Angst vor der Belehrung ist die Angst zu lernen! Übrigens bist du hierin auch zu sehr an den Zeitgeist gebunden.
Mit dieser Furcht, von anderen zu lernen, hängt deine unterschwellige Ablehnung des Elitären zusammen. Es ist nun einmal so, dass die Menschen nicht gleich sind (außer vor Gott und dem Gesetz...), sondern dass es immer und ewig eine Elite gibt, auch wenn sie schwer zu definieren und zu benennen ist.
Im Leben kann ein Künstler natürlich auch stehen (muss aber nicht!, schon gar nicht in der Art wie du es beschreibst in deiner Ablehnung des Nichtgesunden, Spinner, sagst du), aber diese Forderung ist banal. Seine Verbindung mit der Welt ist oft nicht so ungetrübt wie die deiner Schriftsteller-Handwerker.
Deine Ode an die Normalität trieft trübe und passt zu denen, die sich mit dem allzu Gewöhnlichen zufrieden geben.
mmazzurro:
Von Eliten halt ich nicht viel, die hatten wir schon zu oft, die Ergebnisse waren oft tödlich für das gemeine Volk. Ich halte es da mehr mit der volkstümlichen Kunst und den volkstümlichen Künstlern, von mir aus auch Schriftsteller-Handwerkern (die ganz früher, als es noch keine Griffel und Schreibmaschinen und PCs gab, ihre Zeichen in Stein gemeißelt haben) wie z. B. Homer mit seiner Odyssee oder Ilias, Shakespeare mit seinen vulgären Kommödien und seinen Bühnen-Zwischenspielen in seinen von-Sex-and-Crime-übervollen Tragödien oder Bert Brechts Liebesgedichte, die auch ich verstehe, oder den Romanen der derzeit besten lebenden, deutschsprachigen Erzähler, die da sind Peter Kurzeck und Wilhelm Genazino, die sich nicht in der Einsamkeit der Wälder und Höhlen verkriechen oder den Mangel suchen (der eine hatte ihn lange), die die Welt fliehen, sondern mitten in ihren Städten Mannheim und Frankfurt leb(t)en ... wozu also eine Hermetik wie die von ... ja, von wem eigentlich, mir fällt jetzt auf Anhieb keiner ein ... oder wozu Eskapaden wie ... ja ... die kleingeistigen Kräfte der Unterprivilegierten, die da Nagen wie die Ratten, an allem Papier, an den Stühlen der mächtigen Dichterfürsten, die in Poesiesälen thronen ... ganz allein, ohne Volk, ohne Leser, missverstanden von allen ... was soll das?
Bergmann:
Es geht nicht um mich, sondern um die Literatur, und immer wieder machen hier manche den Fehler (weil sie schwach sind und/oder die Argumente fehlen), statt die Sache zu behandeln und meine Argumente, auszuweichen aufs Persönliche (Lehrer, Unterstellung von Belehrung u. a.) - das ist miesester kommunikativer Eskapismus aus Denkschwäche.
Keine Gesellschaft kommt ohne Eliten aus. Sie sind da, sie existieren in jedem Beruf, in jedem Betrieb, auch im künstlerischen.
Das zu verkennen und immer wieder auf den Nationalsozialismus anzuspielen und alles damit zu vergleichen, erschwert die Diskussion. Immer wieder tappen so manche hier in die Falle falscher political correctness, verkennen Begriffe und landen dann zwangsläufig in Underdog-Denkweisen und in einem Welt- und Menschenbild mit Comic-Zügen.
Ich aber sage euch: Donald Duck und Astro Boy sind keine Künstler.
Treulieb:
Meiner Meinung nach verdient dieses Thema all die Aufregung nicht. Auch wenn ich das Bedürfnnis ein wenig herumzugeifern selbst oft übermächtig in mir spüre. Ich habe schließlich Familie und einen Job, da ist ein wenig sprachlicher Eskapismus im virtuellen Raum genau das Richtige nach einer öden Woche in der Normalität. Und Lehrer- und Klugscheißer-Bashing ist immer ein Bringer.
Künstler: die Bandbreite ist groß. Meiner Frau ihr Lieblingskoch ist für sie auch ein Künstler. Für die meisten Deutschen ist Joseph Beuys keiner, weil Fett aufm Stuhl kennen sie von zuhause und ne Badewanne iss zum Baden oder Bier kühlen da. Basta. Wer sind denn die größten Künstler aller Zeiten? Michelangelo? Schwul und durchgeknallt. Probleme mit Autoritäten sowieso. Leonardo da Vinci? So weit abgehoben vom normalen Volk wie Einstein vom 'deutschen Volk'. Goethe? 'Er frisset und saufet gar fürchterlich' (Jean Paul, nach einem Besuch in Weimar über den Dichterfürsten). James Joyce? Ire, Säufer, alles, bloß nicht normal. Franz Kafka? Muss ich da was schreiben? Van Gogh? Zuviel Absinth geht halt auf die Ohren.
Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Und Bert Brechts Eskapaden durch die Betten sind ebenfalls legendär.
Die Leute, die einst Höhlen in Dome verwandelten waren allem Anschein nach Schamanen, das heißt, die haben mit den Geistern der Vorfahren geplaudert. Noch Fragen, Werner?
Aber all das ist doch längst Allgemeinplatz. Selbst Lieschen Müller läßt den Jungs von Tokio Hotel das Outfit und Amy Winehouse die Drogen, weil das sind halt Künstler, die sind halt so. Wenn jemand in einer Karikatur einen Künstler darstellen will, wie sieht die Zeichnung dann aus? Seitenscheitel und Anzug?
Eliten: Was ein unnützes Wort. Welcher Sachverhalt wird mit dem Wort beschrieben? Das eine Ende einer Gauss'schen Verteilungskurve? Oder das Züchten der 'Blonden Bestie'? Wenn die Nazis dafür verantwortlich sind, dass der Begriff bei uns Deutschen so unten durch ist, dann beruht das auf einem fulminanten Missverständnis. Mediokrere Führungseliten als im Dritten Reich suchte man vermutlcih vergebens. Da haben die Kleinbürger von der SA mit aller Spießergewalt die Macht ergriffen und alte Eliten (die Junker und die Juden) an die Wand gedrängt (oder gestellt).
Bestimmte Gruppen usurpieren Macht und etablieren ihren Genpool als Machtelite. Ist der Slilberrücken in der Gorillagruppe die Elite, oder nur einfach gentisch privilegiert?
Oder wird der Begriff nicht gerne gebraucht wenn eine Führungsclique generös bestimmte Auslese- und Drillanstalten etabliert um nützliche Idioten zu züchten.
Und wie gesagt, bestimmte nützliche Fähigkeiten sind in jeder Bevölkerung unterschiedlich verteilt aufgrund der normalen genetischen Varianz. Wenn manche Fähigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt gefragt sind, was heißt das dann für die Besitzer dieser Fähigkeit? Elite? Wenn sich da die Besten zusammentun und einen Verband gründen? Heutige Eliten sind oft einfach nur Privilegierte. Gerne auch mal unverdient. Deshalb ziehen sie auch Hass auf sich.
Wenn jemand besser klöppeln kann als ein anderer, dann macht ihn das nicht zu einem besseren Menschen. Aber er darf stolz auf seine Fähigkeiten sein. Wenn jemand besser und interessanter schreiben kann als ein anderer, dann sollte er sich hüten allzu stolz dareuf zu sein, weil er schnell den Verdacht erregen könnte elitär zu sein.
Insgesamt ist die ganze Spezies nicht ganz dicht und die babylonische Sprachverwirrung Allgemeinzustand, selbst wenn jeder die gleiche Sprache von sich gibt. Hermetik ist daher eigentlich normal. Also was solls.
giftpreisträger:
Geistige Völlerei endet in Diskussionen wie dieser hier. Wie alle andern Todsünden ist die Völlerei aus der Trägheit hervorgegangen. Die Trägheit des Geistes ist eine aus extrem unangemessenem Elitebewußtsein hervorgehende Degenerationserscheinung. Da sie ohne jede Krankheitseinsicht des Patienten verläuft, verlaufen Mission oder Behandlung meist erfolglos. Die dringende Empfehlung einer sofortigen, strengen geistigen Diät zur Abmilderung von Spätfolgen kann von den Betreffenden zwar gelesen, nicht aber geglaubt werden.
Treulieb:
Flüchten aus dem Alltag und Feiern und Drogen nehmen tut heut Jeder, außer Günther Beckstein. Keiner ist mehr normal. Entweder man ist voll Porno, oder voll schwul. Künstler ist auch jeder, entweder nach Beuys, oder nach Warhol (da aber nur ne viertel Stunde), oder weil jeder irgendwas kann mit dem er sich in eine Castingshow drängelt. Würde man bei all der Ablenkung eigentlich bemerken, wenn sich jemand wegschließt?
Das Verwenden von geheimen Zeichen ist ebenfalls nichts Ungewöhnliches. Hermetik ist nicht neu, nicht ungewöhnlich und auch nicht selten, ebenso wie Eskapismus. Solche Dinge benötigen Seltenheit und Risiko um bedeutend zu sein. Deshalb wäre in China diese Diskussion spannend. Hier nicht.
Farnaby:
@Giftpreisträger. Anlässlich ihrer unqualifizierten Beiträge platzt mir so langsam der Kragen. Warum in aller Welt beteiligen Sie sich ständig an dieser Diskussion, wenn diese Sie, wie sie ja behaupten, kein bisschen interessiert? Wollen Sie uns sagen, dass wir anstatt zu diskutieren lieber Casting-shows und Seifenopern gucken sollten, um uns so auf das geistige Niveau des Durchschnitts zu begeben? Das mag Sie jetzt vielleicht ein wenig schockieren, aber ich denke, es muss an dieser Stelle einmal klar und deutlich gesagt werden:
Intelligenz ist keine Geisteskrankheit.
"Dämlich simpel" ist diese Frage nicht, wohl aber ohne weiteres druherum erst mal sehr aus dem Wolken gezupft. Das Wort "Hermetik" beschreibt ja schwer zugängliche Kunstwerke und "Eskapismus" meint, wenn ich es richtig verstehe, so etwas wie Weltflucht. In einfachem Deutsch ohne Fremdwöter würde (in engerem Bezug auf Literatur) die Frage also etwa so lauten:
Ist das Verfassen/Lesen schwer zugänglicher Texte Weltflucht?
Meine Antwort darauf ist: "Kommt drauf an, was genau man unter Weltflucht/Eskapismus versteht." In gewisserweise entflieht man durch diese hohe Kunst ja schon den vermeintlich trivialen Dingen des Alltags, andererseits kann die Kunst (auch hermetische) ja durchaus die wahre Welt in sich Abbilden, vielleicht sogar auf eine, für den Kunst/Literaturliebhaber besonders "wahrhaftige" Weise. In diesem Sinne wäre es keine Flucht, sondern ein sich-stellen. Die "Flucht" ist ohnehin nur ein Bild, imho. Denn man kann der Welt ja gar nicht entkommen, alles was der Flucht dienen soll, ist ja bereits selbst wieder Welt.
LuJa:
"Ist das Verfassen/Lesen schwer zugänglicher Texte Weltflucht?"
... wäre eigentlich die "bessere" Überschrift, finde ich.
Doch dann kommst du und eröffnest, dass man "der Welt" nicht entfliehen könne, weil alles, was man schafft, auch wieder Welt ist (wenn ich das richtig wiedergebe). Das leuchtet mir ein.
Doch dessen ungeachtet wird jeweils "(irgend)eine Welt" geflohen. (X entflieht ihr).
Soweit ich mich über Eskapismus inzwischen kundig machen konnte, wird auch der "Rückzug in sich selbst" asl Eskapismus gewertet.
Daher denke ich, dass durchaus als Weltflucht gewertet werden kann, wenn man sich selbst in seinen Texte in sich zurückzieht, der Welt verweigert.
ABER (zifix) - setze ich da nicht voraus, dass der Autor sich tatsächlich mit seinem Werk in sich selbst zurückzog? Das muss doch gar nicht vorgegeben sein!
Ein Text (Werk) kann doch durchaus so gemeint und aufgestellt sein (Schrift-Stellung) dass er lediglich "für sich" in eine (ihm fremde? schnurz.) Welt gestellt wird.
[Ich glaube, Farnaby, dass das deiner Argumentation entspricht:
""andererseits kann die Kunst (auch hermetische) ja durchaus die wahre Welt in sich Abbilden,""
... wenigsten so in ungefähr ...]
Also schon hier, bei der Gegenüberstellung der beiden Begriffe - ist's schwieriger, als aufs den ersten Blick erscheint. Es kommt immer auf die Absicht des Autoren an - und die erschließt sich uns Lesern nicht durchs Lesen, meine ich.
Also müssten wir zuerst einaml Übereinstimmung dazu erzielen, dass wir von der Annahme ausgehen, der Autor beabsichtige die Weltflucht (Egal, ob nach innen oder außen).
Bergmann:
Ich sehe, es ist einigen hier Diskutierenden lieber, das von mir angeschnittene Thema nicht zu vertiefen, sondern als Handwerker für eher vordergründige Texte wegzuschieben:
Schwer verständliche Texte...
Mein Gott, so ein Quatsch! Man muss nicht studiert haben, um zu sehen, dass eine derartige Reduktion völlig am Thema vorbeigeht.
Eskapismus bezieht sich doch auf das Gefühl und die Erkenntnis, dass viele Dichter die Welt (wie sie ist) nicht aushalten. Sie haben ein utopisches Wollen. Sie beschreiben die Welt aus dieser Perspektive heraus. Ja, Kafka.
Dem kann man doch nicht mit den seichten Piktogrammen LuJas beikommen, die nur epigonale Schwachheiten sind, auch nicht mit den psychiatrischen Angeboten des giftb(r)eiträgers und auch mit der jovialen Schwärmerei fürs Normale und Gesunde à la Treulieb.
Im Grunde wollt ihr Literatur nur als Unterhaltung im Chat-Maßstab. Das Schwere, die Arbeit des Lesens und Erkenntnisstrebens ist euch zuwider. Nun sagt nicht wieder, ich sei ja ein Lehrer, diese dumm-eskapistischen Polemiken sind stumpf, sind Ausflüchte.
Ihr belächelt das Hermetische eines Georg Trakl, die Hintersinnigkeit eines Thomas Mann, wollt lieber das handwerklich Gekonnte, die Tiefe und die Schwermut der Philosophie allenfalls als Bildungszitat oder umgebogen in den Scherz, in die Ironie, in EUREN seichten Eskapismus.
Die Verzweiflung, die Kleist oder Büchner oder Beckett oder Joyce ergriffen hat, die interessiert euch doch nicht, weil euch eure Welt, die ihr euch ganz handwerklich imaginiert, gefällt.
Ihr kennt die Welt nicht, wie ihr auch die Literatur nicht kennt - aber ihr spielt euch auf als die Gesunden, die Normalen mit dem trivialen Menschenverstand, Handwerker des Banalen.
Ich schreibe keinen Essay, und ich habe keine Beantwortungen angestrebt, ich habe dir und anderen gegenüber keine Vorurteile oder Berufsunterstellungen, ich beziehe mich nur auf das, was ihr hier schreibt, und da sehe ich eben nur diese partiell geistfeindliche Wurschtigkeit - eine Arroganz von hinten herum.
Natürlich muss ich mich auf ein paar wenige Werke beziehen dürfen - die genannten sind nur zum kleineren Teil Unterrichtsstoff.
Treulieb nennt die Tatsache, dass heute so gut wie jeder Weltflucht begeht. Das ist ein interessanter Vergleich. Wir müssten nur überlegen, ob die Flucht ins 'Feiern' dieselbe ist wie bei einem Künstler.
Teils ja. Beiden gemeinsam ist ein Leiden an der Welt. Erschiene dem Spielsüchtigen World of warcraft nicht schöner als das Reale, würde er sich ja lieber in der Wirklichkeit aufhalten. Aber der Spieler schreibt nicht, er verkommt im Konsumistischen.
LuJa:
Hier finden sich nach und nach Leute unterschiedlichen Kenntnisstandes ein, um über ein Thema zu diskutieren, das du vorgegeben hast. Da dauert es eine Weile und braucht eben die Einigung auf einen gemeinsamen Ausgangspunkt, bis man an einen Punkt gelangt, an dem man zur großen Umarmung ausholen kann.
Farnaby spielte einen Pass, den gilt es jetzt aufzugreifen, um sich einspielen zu können - Treulieb nahm den Querpass auf und ich hoffe, dass er ihn weiter durchspielt nach vorne - und du drischst den jetzt mal nicht uns vom Fuß weg ins Aus, du bist nämlich hier in der selben Mannschaft.
Also - Kurzpass ist angesagt und Doppelpass - Solodribblings vereinsamen und sind etwas für Eskapisten.
Wenn ich so lese, könnten wir hier weitermachen, oder?
Übereinstimmung dazu erzielt, dass wir von der Annahme ausgehen, der Autor beabsichtige die Weltflucht (Egal, ob nach innen oder außen)??? [Das frage ich, weil es wirklich nur zum Spiel kommt, wenn mit EINEM Ball gespielt wird. Den definieren wir uns jetzt zusammen. Sowas sieht immer wurstig aus, vor allem für Leute, die" mit so was" schnell fertig sind
TiLeo:
Die Fragestellung fand ich schon doof, da mMn absolut irrelevant. Treulieb hat 2 interessante Beiträge geschrieben.
Bergmann: "Wir müssten nur überlegen, ob die Flucht ins 'Feiern' dieselbe ist wie bei einem Künstler."
Was zur Hölle ist dieser ominöse "Künstler", wenn nicht ein Mensch? Warum soll Feiern und Drogenkonsum eine andere Art Flucht darstellen als beispielsweise das Schreiben? Du hast doch Trakl genannt, den man problemlos und wortwörtlich zur Drogen- Kultur zählen kann. Feiern ist Feiern und Drogenkonsum ist Drogenkonsum, ob du, ich, Trakl, egal wer, es tut. Was an solch einer Feststellung "geistfeindlich" sein soll, erschließt sich mir nicht. Ebensowenig verstehe ich, warum man so dramatisch von "Flucht" sprechen sollte, statt Ablenkung zu sagen. Das wär wohl nicht eindrucksvoll genug.
Was Fakt ist: Derartige Aussagen stehen dem Glaube an ein irgendwie geartetes Genie entgegen. Und das finde ich ziemlich vernünftig.
Bergmann:
LuJa:
Definition:
Manche (nicht DER) Dichter, Schriftsteller, Autoren flüchten aus der Welt und/oder in sich selbst; das geschieht mit und ohne Absicht. Grund: Die Widersprüche der Welt sind nur schwer auszuhalten und werden in der Flucht sublimiert, umgewandelt in eine schriftstellerische Produktion.
TiLeo:
Der Künstler ist ein Mensch, aber nicht der gleiche wie Jedermann - umgekehrt gilt dasselbe.
Wenn Jedermann im Garten den Grill aufbaut und Bier trinkt, reagiert er gegebenenfalls auch auf die Welt, unter deren Widersprüchen er leidet. Die Sublimation ist hier jedoch anders: Passiver, meist weniger bewusst, das Produktion fehlt oder wendet sich nur unmittelbar, meist mündlich, an die Mitfeiernden und indirekt (Partygeräusche) an die Nachbarn, die nach Mitternacht froh sind, wenns vorbei ist.
Farnaby:
Also ich, der ich ja quasi das Musterbeispiel eines großen Künstlers bin, leide gar nicht unter Widersprüchen. Ich genieße sie.
AndreasG:
Bevor das jetzt wieder in eine dieser leidigen Diskussionen zum Thema "Künstler" abrutscht oder in Beleidigungen endet: wie wäre es mal mit einer Definition der Begrifflichkeit? Immerhin wird Hermetik momentan überwiegend als schwammiger Esoteriküberbau verstanden und bei Naturwissenschaftlern steht ein "Hermetiker" etwa in einer Reihe mit Leuten, die aus dem Abfluss Stimmen hören. In beiden Fällen ist die Idee gemeint, dass in der Welt alles zusammenhängt und sich nicht nur beeinflusst, sondern direkt miteinander verknüpft ist (von der Geschichte, dass am Amazonas ein Schmetterling gegen einen Baum fliegt und dadurch in China ein Gewitter auslöst, hat bestimmt schon jeder gehört ...).
Als dritte (oder zweite?) Definition fällt mir die "hermetische Abdichtung" ein - ausnahmsweise mal nicht die Lyrik auf keinVerlag meinend -, die in Laboren eine sehr wichtige Rolle spielt.
Bei Eskapismus muss ich an Elfenbeintürme denken, was literarisch gesehen vermutlich nur die Bedeutung streift. Losgelöst davon steht Eskapismus auch für ein losgelöstes Betrachten, für eine sehr eigene Perspektive also, die in der Lage ist festgefahrene Strukturen zu erkennen und völlig neue Lösungsansätze zu liefern, aber immer Gefahr läuft die Bodenhaftung zu verlieren.
Dazu würde ich jetzt wirklich gerne von allen Beteiligten ihre Definition lesen. Am liebsten: die gefühlte Definition (und nicht die nachgeschlagene).
"Weltflucht" ist mir jedenfalls zu schwurbelig.
Owald:
Ja. Aber beim Definieren kommen wir - leidig oder nicht - auch am Begriff des Künstlers nicht vorbei.
Schließlich bezieht sich Ulis These nicht auf die Allgemeinheit (Hermetik ist lebensnotwendiger Eskapismus - immer und für alle), sondern auf Künstler bzw. Lyriker, bzw. genauer, wenn ich das richtig verstanden habe, Lyriker, die der "großen Literatur" zuzurechnen sind. Und da muß nun unbedingt eine Definition dieser "großen Literatur" oder wahlweise eben des Künstlertums her.
Mal ganz platt gesagt: Ich schreibe Gedichte, gelegentlich auch hermetische, bin daher Lyriker. Auf mich, das kann ich mit ziemlicher Sicherheit sagen, trifft Ulis These nicht zu. Stellt sich nun also die Frage: Bin ich nun in Ulis Sinne auch ein Künstler, sind meine Werke der "großen Literatur" zuzurechnen? - Ich ahne die Antwort bereits *gg*, aber: Wo fängt große Literatur an, wo hört sie auf? Auch das muß - neben den Begriffsklärungen von Hermetik und Eskapismus - erst einmal beantwortet sein, bevor man hier sinnvoll diskutieren kann.
Treulieb:
Das ich fürs Normale schwärmen würde? Jovial dazu. Und für was Gesundes? Das Wort Gesundheit nahm ich nicht auf die Tasten. Aber gelegentlich esse ich Zwiebeln auch weil sie gesund sind. Bitte lies meine Beiträge, Uli, bevor Du wild um Dich schreibst.
Ich bin gegen das Aufblasen von Allgemeinplätzen. Und egal wie man Hermetik und Eskapisms definiert, es kommt nur etwas bei raus, was weder neu noch aufregend ist.
Interessant wäre die Frage, wieviel Leiden an der Welt einen guten Lyriker formt. Ob ohne dieses Leiden gute Lyrik möglich ist? Ob das Leiden den geschärften Sinnen geschuldet ist oder der gesteigerten Intelligenz, die sich die täglichen Widersprüche der global kapitalisierten Welt nicht mehr schön lügen kann. Oder ob das ganze ein psychiatrisches Problem ist. Genie und Wahnsinn statt ödes Seminaristengeschwurbel. Und natürlich steht immer die Frage im virtuellen Raum, ab wieviel Oktan gilt ein Gedicht als Literatur und nicht mehr als Kunsthandwerk? ('Ey, Alder, wieviel Bergmann hastn auf dein letzten Text gekriecht? Was? 4 BM's, ey schwul, das iss ja Literatur'
Bergmann:
Owald schreibt:
"Auf mich, das kann ich mit ziemlicher Sicherheit sagen, trifft Ulis These nicht zu. Stellt sich nun also die Frage: Bin ich nun in Ulis Sinne auch ein Künstler, sind meine Werke der "großen Literatur" zuzurechnen? - Ich ahne die Antwort bereits, aber: Wo fängt große Literatur an, wo hört sie auf? Auch das muß - neben den Begriffsklärungen von Hermetik und Eskapismus - erst einmal beantwortet sein."
Auf mich, sage ich, Uli Bergmann, trifft meine These auch nicht zu. Ich leide dafür nicht genug an der Welt. Erlitten habe ich allerdings einiges, darunter war auch ich selbst manchmal. Große Literatur?: Die Zeiten überdauernde, die die Schriftsteller immer wieder beschäftigt und viele andere Leser auch, allerdings nicht die große Masse, und damit sind wir wieder beim Begriff der Elite, der, recht verstanden, nun mal real existiert und Sinn macht.
Treulieb sagt:
"Ich bin gegen das Aufblasen von Allgemeinplätzen. Und egal wie man Hermetik und Eskapisms definiert, es kommt nur etwas bei raus, was weder neu noch aufregend ist."
Du bist, sage ich, gegen jede intellektuelle (akademische) Vertiefung, vielleicht aus Faulheit; es ist so viel leichter, beim 'gesunden Menschenverstand' zu bleiben, sagst du dir. Aber ich sage dir, der gesunde Menschenverstand muss auch hinterfragt werden.
Wenn du kleingläubig denkst, es kommt eh nichts Neues raus bei unserer Diskussion, dann brauchte man nie zu diskutieren, und warum redest du dann überhaupt mit?
"Interessant wäre die Frage", schreibst du, " wieviel Leiden an der Welt einen guten Lyriker formt. Ob ohne dieses Leiden gute Lyrik möglich ist? Ob das Leiden den geschärften Sinnen geschuldet ist oder der gesteigerten Intelligenz, die sich die täglichen Widersprüche der global kapitalisierten Welt nicht mehr schön lügen kann."
Das finde ich eine gute Frage. Ich weiß die Antwort nicht, ich stelle schließlich keine Fragen in den Raum, wenn ich die Antwort schon ganz sicher wüsste.
Es gibt keinen bedeutenden Dichter, der nicht sehr genau das Leben betrachtet und gefühlt hätte. Die Schwere des Leids ist kein verlässlicher Maßstab. Wissen vom Leben haben setzt Anteilnahme auch am Schicksal anderer voraus.
Menschen, die an den Widersprüchen des Lebens leiden, egal ob diese Widersprüche sie selbst oder andere betrifft, setzen sich politisch ein zur Verminderung des Leids, oder schreiben, oder komponieren, oder sie malen oder philosophieren. Ich denke, dass solche Sublimationen (egal ob mit oder ohne explizite Intention) bis in die Unterhaltungskunst und -industrie hinein reichen und dort genutzt werden. Wenn es große und langfristige Welterklärungen sind, dann benötigen sie eine neue Sprache, neue Darstelluingsweisen.
Ich vermute, dass jeder Dichter (von Robert Gernhardt bis Goethe) durch Leid und Erfahrungen gehen muss und durch die im Schreiben gelebte Einsamkeit (die ich als eine Flucht ins Begreifen verstehe, wo die Suche zur Sucht werden kann) und schmerzvoll gewonnene Erkenntnisse zu ganz neuen Ansichten und Einsichten des Lebens gelangt - und in diesem Neuen liegt zunächst das Hermetische, das sich jedoch mit der Zeit entschlüsseln lässt, oft zu einem wiederum neuen Verständnis.
Ich denke, das ist kein Geschwurbel. Es wäre interessant, diese Frage an einzelnen literarischen Werken zu überprüfen.
Natürlich ist das Schreiben wichtiger als so eine Diskussion.
Andererseits macht jedes Reflektieren über das Schreiben bewusster.
Ich will an dieser Stelle mal betonen, dass mir diese Diskussionen einiges geben, jedenfall mehr, als ich hier offen zugebe. Ich bin auch deswegen gern bei KV, weil es immer wieder mal solche Diskussionen gibt.
Zur Diskussion:
Ich bin einverstanden damit, wenn die Begriffe Hermetik, Eskapismus, Leiden und Künstler konkreter gemacht werden - ich bin aber dagegen, wenn wir die komplexen Prduktionsbedingungen und -abläufe so vulgär (auf die Masse hin) herunterschrauben, dass am Ende die poetische Arbeit gleichmacherisch gesehen wird und mit jeder trivialen Tätigkeit verglichen wird.
Literarisches Schreiben ist ein sehr komplexer Vorgang. Die Bewertung eines literarischen Textes ist auch aus diesem Grunde schwierig.
Ich behaupte - in einfachen Worten -, dass ein Dichter von einigem Rang nicht nur ein Handwerker, ein in Worten geübter Mensch ist, der nach vorhandenen Schemata in einer konventionellen Sprache gute Bücher schreibt,
sondern dass ein solcher Dichter aufgrund genauer Beobachtungen und naher Erfahrungen sich derart in seine Inhalte vertieft und so speziell darin wird, dass er sich darüber am Ende kaum moch mit einbem anderen unterhalten kann,und immer einsamer wird,
zumal er zur Darstellung seiner Erfahrungen UND Visionen (egal wie intendiert diese sind) neue Strukturen und neue Sprachen entwickelt, die ihn verstärkt in eine hermetische Position bringen.
Letztlich erfährt der Dichter eine doppelte (oder ineinandergeschachtelte) Hermetik.
Was ist nun das Eskapistische daran?
Es ist auch ein Doppeltes: Der Dichter muss die Welt verlassen, um eine neue Perspektive zu ihr entwickeln zu können. Er bleibt natürlich, weil er leben will, in dieser Welt, er tritt aber geistig aus ihr heraus, um diese neue Perspektive zu gewinnen.
Der zweite Aspekt besteht darin, dass er die erfahrene und in Dichtung umgesetzte Welt flieht, weil er sie jetzt noch weniger ertragen kann als vorher. Er sublimiert.
Diesen zweiten Aspekt kennt jeder, der nach dem Stress des Tages ins Kino geht oder ins Bistro oder ein (leichtes oder schweres) Buch liest. Nach den Mühen der Ebenen will jeder in die Leichtigkeit des Seins einsteigen, in eine Fiktion oder in eine kurzfristige Harmonie der Dinge in der Umgebung. Eskapismus wird man so eine verständliche und nützliche Haltung nicht nennen können.
Wer aber aus der Realität flieght, um ihr überwiegend oder ganz zu entgehen - etwa in komplexen Computerspielen -, der verhält sich eskapistisch. Allerdings nicht wie ein Dichter. Dessen Eskapismus ist gerechtfertigt durch eine Auseinandersetzung mit der Welt und seiner Beziehung zur Welt, also auch mit sich selbst, diese Arbeit wird produktiv in einem schriftstellerischen Werk.
Fazit: Der so beschriebene Dichter gelangt durch eine besonders tief erfahrene (oft auch erlittene) Weltberührung bei gleichzeitiger Distanz (Isolierung) zu einer neuen Sicht der Welt in einwer neuen Sprache in neuen Schreibstrukturen.
Ob das einem Schriftsteller gelingt, der die Welt nicht so schmerzlich oder hart arbeitend erlebt, ist keine leicht zu beantwortende Frage. Ich denke, dass auch bei ihm der Schreibprozess grundsätzlich ähnlich sein müsste, wenn er eine überzeugende, authentische Welt darstellen will. Ich vermute, dass ein leicht durchs Leben gehender Schriftsteller keinen "Prozess" wie Kafka schreiben kann, auch keine Romane à la Balzac. (Ich lasse den Elite-Begriff hier heraus, ich komme auch ohne ihn aus.)
mmazzurro:
Ein Lyriker kann nur so schreiben, wie er verfasst ist."
Da stimme ich Uli zu! Das ist aber der Normalfall, der eigentlich für jeden Künstler gilt, eine banale und triviale "Erkenntnis".
"Wenn seine Situation sich immer mehr in Richtung Hermetik entwickelt, wenn er also zum Beispiel materiell und geistig isoliert ist, bringt er eben dies zum Ausdruck."
Ja, häufig ist das der Fall, nicht immer. Seine Situation selbst als Gegenstand seines Schreibens. Er hat keine andere Welt mehr und kreist um seine Lage.
Der Zustand der Isolation kann den Künstler aber auch an den Rand der Existenz bringen, die Not kann ihn derart lähmen, dass er die Worte, die Sprache verliert, also verstummt, nichts mehr schreibt! Im schlimmsten Fall kann die Not ihn in tiefe Depression stürzen, bis hin zum Selbstmord, der ja letztendes nichts anderes ist als ein Hilferuf an die Umwelt / die Mitmenschen. So lange er noch schreibt, den Hilferuf eben an eine Leserschaft richtet, ist er entweder ein sehr starker Künstler, der noch nicht am Rande seiner Existenz ist, oder die Not noch nicht gross genug.
"So ist der geschriebene Ausdruck des hermetischen Zustandes ein Ausweg. Kunst hat oftmals diese Genese."
Ein Ausweg für sich selbst, die Not, das Leiden erträglich zu machen oder ein Signal nach außen (s. o.).
"Ich finde, das ist eine interessante und wichtige These: Die Funktion der Hermetik als lebensnotwendiger Eskapismus des Künstlers."
Aber auch keine wirklich neue These. Das Interesse und die Wichtigkeit bei Uli sind unbestritten. Ich würde mir hier gerne ein paar Beispiele wünschen, die das untermauern. Interessant und wichtig für andere wird sich in der Diskussion erst weisen müssen, zumal solche "wertenden" und "subjektiven" Meinungsäußerungen der Diskussion erst mal wenig dienlich sind.
"Auch Alpha findet das und regt diesen Thread an."
Alpha meint viel, wenn der Tag lang ist, außerdem hat sie sich bisher wenig hier dazu geäußert.
"Kunst, also auch Literatur, dient der Befreiung der schrei(b)enden Seele, und das ermutigt die lesende Seele."
"Befreiung", ein stark strapaziertes Wort, "Befreiung" von wem, von was, wozu? Die "Ermutigung" wage ich zu bezweifeln! Ich denke eher, es zieht den Leser mit runter, außerdem lese ich nicht gerne anderer Leute reines Kreisen-um-sich-selbst, wenn dies nicht einer Änderung des eigenen Zustandes, einer Abhilfe der eigenen Probleme oder einen ernsthaften Ansatz beinhaltet, der Not zu entkommen. Und außerdem hat die Literatur auch noch ganz andere Probleme als die eigenen Befindlichkeiten, die Welt ganz andere Probleme. Der Künstler könnte auch versuchen, die Ursachen des Leidens abzuschaffen oder zu ändern, sie dadurch zu mildern, die Bedingungen zu ändern, es gibt dazu genug religiöse und soziologische Ansätze, auch politische. Der Dichter könnte arbeiten gehen und Geld verdienen, anstatt nur darüber zu schreiben, und so seine materielle und zum Teil auch damit zusammenhängende geistige Isolation zu mindern? Ist er unfähig, anderes als Schreiben zu können? Oder will er nicht? frage ich an dieser Stelle ganz provokativ, es gibt genug alternative Beispiele, er muss nicht seine Misere auch noch in "schöne" Worte fassen! Er wäre besser beraten, erst einmal seine Lebensgrundlage neu zu ordnen, eine Weile nicht zu schreiben und dann aus einer anderen Position heraus wieder Schreiben! Literatur sollte nicht nur aus eigenen Miseren bestehen oder diese zum Thema wählen. Wie gesagt: hier provokativ nach anderen Möglichkeiten gefragt.
"Und: Erst die Kräfte, die den Schreibenden zur Hermetik bewegen, WEIL ER ES ANDERS NICHT SAGEN KANN, bringen jene Authentizität hervor, die große Literatur ausmacht, um die es einzig geht."
Zur Authentizität ok! Ja. Aber der 2. Teil ist Unsinn. Gute Literatur entspringt zunächst einmal aus guter Sprache. Und, warum sollte es nur darum gehen, es gibt schließlich Wichtigeres auf der Welt als Literatur. Ohne Literatur kann der Mensch leben, ohne manche anderen Dinge nicht.
"Hermetik ist letztlich der Versuch, das Unsagbare doch noch zu formulieren. Der Eskapismus des Künstlers ist eine Flucht nach vorn auf der Suche nach der verlorenen Sprache…"
Für den, der nichts anderes kann oder nicht anderes will (gilt für Leser und Autor in gewissem Sinne gleichermaßen. Weltflucht ist eine schlechte Grundlage zum Schreiben, wenn es die Einzige ist. Weltsuchen käme manchmal dem Autor und dem Leser besser.
"Was meint ihr dazu? Ich freue mich auf die Diskussion!"
Bis zu einem gewissen Grade kann ich Ulis These folgen und bejahen ... mir geht sie aber dort zu weit, wo sie verabsolutiert und ausschließt. Es wurden zu wenig Alternativen überlegt und keine Beispiele gegeben. Ich will keine rein lamentiernden Dichter, die dazu nur um sich selbst und ihren eigenen Zustand kreisen, bitte keine reinen Selbstbefindlichkeiten. Im Übrigen halte ich das Lamentieren für eine überwiegend "typisch männliche" Angelegenheit (wennnicht nur Ulis?!), es ist zum Teil auch Faulheit, Bequemlichkeit oder Unfähigkeit / Unvermögen, andere Weltsichten anzunehmen oder sich darin einzufühlen bzw. die Dinge anzupacken, praktisch / pragmatisch und nach Lösungen zu suchen. Mit "Vision" oder "richtigem Reflektieren", auch eine wichtige Grundlage von Dichtung, hat das meiner Meinung nach wenig zu tun. Beispiele anbieten, auch positive, Vorbilder liefern (poetisch im Sinne von Metaphern), als sich nur in der eigenen Misere einrichten und wohlfühlen und diese gar zum Maßstab für andere zu machen, halte ich für sehr wichtig in der Literatur, speziell in der Poesie! Die Welt begreifbar zu machen, zu verstehen (oder zumindest der ernsthafte Versuch dazu) sind unabdingbar Größen und Themen der Litertaur.
kurz @Ulis letzten Beitrag: "authetisches" Schreiben / Dichten muss nicht aus der Not geboren werden, nicht aus einer Weltflucht eines Einzelnen, nicht aus der Isolation (das ist individualistisches Denken, wir können darüber streiten, ob es sinnvoll ist, nur die eigene Lage zu reflektieren als auch über die Zusammenhänge, auch die grösseren nachzudenken und sich darüber zu äußern, ich lasse es aber hier mal gelten und stehen) ... im Gegenteil, die Literatur entstand eigentlich in ihren frühen Ursprüngen und Ansätzen aus einem "Gemeinschaftsgefühl" anonymer und begabter Menschen (Schamanen, Medizinfrauen usw.), zum Beispiel in der liedhaften Verherrlichung einer Gottheit, eines Gruppenerlebnisses, einer Beschwörungsformel bei der Jagd, um Magie über ein gejagtes Tier zu erhalten und dem Jäger Fortune zu bescheren (und damit der ganzen Gruppe Essen) ... Marie Luise Kaschnitz versteht Poesie / Lyrik / Literatur / ihr eigenes "Erinnerungsschreiben" (jedenfalls, so wie ich sie lese) z. T. auch als einen Prozess der "Beschwörung" (ich interpretiere weiter, in meinem genannten Sinne) ... oder die Poesie (auch die gute) entstammt z. B. der Lust / Freude oder der Sehnsucht nach Lust / Freude (z. B. bei erfüllter Liebe bzw. unerfüllter Liebe) ... also, warum immer dieses reine Lamentieren und dem "wahren" Künstler nur den einen Platz zuweisen, dass der arme Kerl ... usw. ... die Hermetik und der Eskapismus sind nicht zwangsläufig oder lebensnotwendig (der Künstler kann sich nur leicht darin versteigen / verrennen, wenn er nicht weiter denkt oder auch einmal zur Seite schaut), ein prinzipieller Unterschied und auch ein qualitativ sehr wichtiger, der Künstler sollte weiter sehen können als andere und seine ihm eigenen oder entwickelten Fähigkeiten dazu nutzen, dadurch erst wird "neue" Sprache möglich, auch gute Sprache!