KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Mittwoch, 25. März 2009, 16:23
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DISZIPLIN UND KREATIVITÄT

128. Kolumne


Skizze zum Thema Schreiben


„Der wahre Künstler liebt nur sich selbst und von sich selbst auch nur den schöpferischen Teil, während er den menschlichen Teil vernachlässigt oder nicht berücksichtigt oder mit irdischen Freuden ruiniert.“

[Marbot an seine Mutter]
Wolfgang Hildesheimer (1916-1991), „Marbot“


Die Disziplin setzt in der Formung des Materials ein, aber ich weiß, dass schon die Auswahl des Materials einem kreativen Akt unterliegt, nicht beherrschbar ist und auch nicht vollkommen beherrschbar sein sollte. Auch die Formung selbst, zu der eine gewisse Disziplin notwendig ist, geht natürlich einher mit schöpferischen Kräften, spontanen, intuitiven Ideen. Trotzdem: Disziplinierung ist nicht nur Handwerk, sie ermöglicht auch den richtigen Fluss der Kreativität. Ich wende mich gegen das schnelle Runterschreiben. Das kann hin und wieder gut gehen. Aber besser ist es, wenn der Autor seine Kreativität trainiert: Wenn er das Träumen vermehrt, indem er es sich vornimmt, sich damit beschäftigt, analysiert, interpretiert, Träume literarisch verwendet. Kreativität ist stimulierbar und trainierbar, wenn auch nicht immer abrufbar, aber es ist steuerbarer, als mancher glaubt. Mag sein, dass diese Begabung sehr unterschiedlich ist.

Ich stelle mir einen Schacht zum Unterbewusstsein vor, den ich öffne, wenn ich schreibe. Ich spüre nach einer Weile, wie die Sprache von allein fließt. Aber das kann ich steuern, jederzeit, und auch erst einmal zulassen, dann wieder anhalten. Ich schreibe morgens am besten – aber da muss ich arbeiten gehen, und am Wochenende komme ich morgens selten zum Schreiben. Jedes Mal in den Ferien, vor allen in den Großen, spüre ich, wie nach etwa einer Woche dieser kontrollierbare Prozess der Förderung aus dem Schacht immer besser wird.

Elias: Lieber Bergmann, ... „Man ist, was man träumt.“ Platon

Bergmann: Generelle Frage: Stehen literarische Fiktionen (ungefähr) auf der Ebene des Traums?

Elias: Es gibt ja Tagträume, Klarträume, Wunschträume, so eine Art Fantasie in schläfriger Form. Aufgeweckt wird Text daraus. Keine Ahnung, ob ich richtig liege.

Bergmann: Meine Frage war: Ob sich geschriebene Fiktionen so ähnlich verwirklichen wie Träume? Es geht wieder einmal um das Verhältnis Autor / Text.

Elias: ... Selbstredend zählte die „Traumdeutung“ zu Freuds wichtigsten Werken, wenn nicht dem wichtigsten überhaupt. Und er selbst meint, dass sie die Via regia zum Unterbewußten sei. Er geht noch weiter und erklärt, sie sei „...die sicherste Grundlage der Psychoanalyse.“ Manche Indianerstämme halten Träume für das wahre Leben und das Sichtbare nur für Trug. Vielleicht hat der Eros der Sprache seinen Ursprung im Traum. Das Spiel des Geschlechtlichen, in das sich alles und jedes sublimieren lässt, ist auch ein Sehen, das sich im Angesehenwerden spiegelt. Es gibt ja mittlerweile eine lebhafte Klartraumforschung in der Psychologie bis hin zum dem Fakt, dass man Träumen „lernen“ kann, ergo kann man auch lernen die literarische Fiktion gezielt aus Trauminhalten zu speisen. Vielleicht gibt es ein literarisches Träumen...

Bergmann: ... Parallelisierung Traum // schreibendes ErLösen der eigenen Irrationalität.
Mit meiner Frage war gemeint, ob der Schreibende im Schreibakt Fragmente aus dem Unterbewusstsein hebt, du nennst es literarisches Träumen.
In der Tat spüre ich, dass es (Es) mich manchmal zum Schreiben bringt, oder dass es (Es) sich (ab)schreibt, wenn ich schreibe. Und genau das lässt sich auch forcieren wie das Träumen. Wenn ich Träume aufschreibe, wenn ich sie erwarte, dann träume ich mehr. Wenn ich schreibe, träume ich mitten im Wachsein, so mein Gefühl. Allerdings sind diese Schreibwachträume nicht so bildreich, nicht so stark wie die Schlafträume - und doch bin ich in der Lage, den Keim des Schreibwachträumens im Schreibakt wachsen zu lassen, und ich erreiche dann manchmal Traumqualität. Es schreibt dann in mir von ganz allein, so geht das über einige Sätze, und der Rest ist dann die Ergänzung, Prolongation oder Extrapolation des so Angeträumten... In so einem Schreibakt schaue ich mir sozusagen beim Träumen zu, ohne zu wissen, dass ich träume. In dem Moment, wo mir bewusst wird, was ich wach traumschreibe, verliere ich die notwendige Unbefangenheit und bin dann in der Bearbeitung und ÜberFormung dessen, was sich mir fast wie von selbst schrieb.
Es geht nicht immer, aber es geht und ich spüre es im Wackelkontakt der Bewusstseinswechsel. Auch diese Bewegung erscheint mir dialektisch.

Elias: Das trifft mein Gefühl beim Lesen Deiner Texte ziemlich genau. Die teils seidenweichen Sequenzen, dieses Rausrutschen aus der Vernunft in Traumähnliches und natürlich die durch die Ratio bei vielen tabuisierten und gesperrten Themen, die sich bei Dir scheinbar mühelos hochspülen, sprechen schon für zumindest starke Perforierungen der Grenzflächen, ohne dass man dem pathologische Qualitäten zuschreiben muss, denn eine strukturelles Ganzes bleibt bei Dir immer gewahrt. Elias (27.01.2006)

Die Hirnforschung weiß noch nicht viel, was wir für diese Diskussion verwenden könnten. Ich vermute allerdings, dass das Schöpferische nicht aus dem Nichts kommt, sondern im Körper (im Hirn) angelegt ist und evozierbar ist. Im Tun selbst mag es dann oft so aussehen, als ob das Kreative dann erst entsteht, also vorher nichts war. Aber dagegen halte ich, dass dieses Tun, also die Disziplin oder Selbstdisziplin in der Formung des Materials, selber zu einem Teil Schöpferisches enthält, sodass vielleicht der gesamte Prozess der Kunstentstehung, ob er nun dialogisch oder dialektisch genannt wird, ein kreativer Prozess ist. Die bewusste Formung ist dann kein Widerspruch, sondern Bestandteil des Kreativen. Weiterhin gilt aber, dass Assoziationen, Träume, Ideen, Gefühle, Vorstellungen, Ahnungen usw. zu einem (möglichst kosmischen) Werk gestaltet werden sollten, jedenfalls solange wir Kunst als unbewusst und bewusst gestaltete Arbeit begreifen.

Ich denke, dass der, der ein wenig kreative Begabung hat, durch Vervollkommnung des Handwerklichen (also auch Vervollkommnung des Sprachlichen, also der Verfügbarkeit der sprachlichen Umsetzung von Eingebungen) mit der Zeit Kreativität steigern kann.
Ich bin kein Fachmann auf dem Gebiet, kein Psychologe. Ich kann nur aus meiner eigenen Erfahrung heraus schreiben, und ich gründe meine Auffassung auch auf Schilderungen einiger Kollegen.

Ich sehe den Schreib-Prozess bei belletristischen Werken als ein dialektisches Wechselspiel von provozierten kreativen Eingebungen und ihrer Disziplinierung (bewusste Steuerung), das ich während des Schreibens, meist in mehreren Phasen, überschaue, bremse, aufhebe, steigere, und dass der Ablauf dieses Gesamtprozesses selber wieder, auf einer höheren Ebene, kreativen und bewussten Aktionen unterliegt.
Ich denke, dass in der Regel die Bewusstmachung und Steuerung (das was ich Disziplin nenne, Beherrschung des Schreibprozesses) für die Entstehung eines Kunstwerks notwendig ist.

Oft kann das dialektische Wechselspiel von schöpferischer Idee und Disziplinierung einem Schreibprozess vorausgehen, in dem diese Dialektik verschwindet oder zu verschwinden scheint. Ich denke an Bilder, die Picasso oder andere Künstler malten, denen viele Skizzen vorausgingen – so dass sich sagen lässt: Ein vermeintlich schnell hingemaltes Bild oder ein runtergeschriebener Text ist das Ergebnis desselben Prozesses, nur ist er hier anders strukturiert. Man könnte dann das so entstandene Werk eine Variation oder Kopie der Summe dieser Vorstudien nennen.
Die meisten Texte müssen erarbeitet werden. Der Maler Max Liebermann sagte, als man sein Genie lobte: 1 Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration.


Kommentare

Kommentar von apocalyptica (25.04.2006)
Nun, ich denke, auch hier hat jeder Mensch seine Eigenart: während der eine morgens besser schreiben kann, ist es beim anderen die Nacht, die inspiriert. Es gibt hier mit Sicherheit keine generelle Vorgabe.
Hinsichtlich der Kreativität teile ich deine Meinung absolut nicht, es gibt grundsätzliche Unterschiede zwischen mehr und weniger kreativen Menschen.
Kreativität auszubremsen und zu disziplinieren halte ich für wenig sinnvoll, denn dann werden die besten Ideen, die eigentlich von ihrer Spontanität leben, zunichte gemacht.

Du siehst den Schreib-Prozess bei belletristischen Werken als ein dialektisches Wechselspiel von provozierten kreativen Eingebungen und ihrer Disziplinierung, die dann deiner Ansicht nach zu einer höheren Ebene führen. Wieder bin ich grundsätzlich anderer Meinung...Kreativität kann man nicht provozieren (s.o.) und die von dir erwähnte höhere Ebene sehe ich daher in weiter Ferne.
Disziplin und Beherrschung des Schreibprozesses bedeuten doch wohl nur, dass man einen spontanen Text auf Grammatik- oder Rechtschreibefehler hin vor der Publizierung nochmals durchsehen sollte, für die Entstehung eines Kunstwerks ist jedoch die spontane Intuition sicherlich erheblich sinnvoller und notwendiger. Denn Allerweltswerke, die nach allen deinen angesprochenen Kriterien konstruiert werden, davon gibt es sicherlich mehr als genug...und eben diese halte ich für wenig lesenswert...weil tot und unlustig!
Und frag einmal einen Miro, wieviele Skizzen er angefertigt hat, bevor er seine Werke auf die Leinwand brachte!
Nun...ein Hoch auf spontane, kreative, undisziplinierte, LEBENDIGE Texte!

Bergmann meinte dazu am 26.04.2006: Offenbar hast du eine große Abneigung gegen das Wort Disziplin. Das Kreative betest du an, als ob es überhaupt nicht greifbar wäre. Ein alter Streit. Enzensberger, Poe und Majakowski sehen es wie ich. Und mich deutest du, als schlüge ich das Spontane/Kreative tot.

apocalyptica antwortete darauf am 26.04.2006: Man mag nun denken, wie man will, aber es ist sicher wenig kreativ, drei unterschiedliche Kommentare mit derselben Antwort zu rekommentieren, es ist auch nicht diszipliniert, sondern eher als respektlos zu werten.Ich erwarte von dir allerdings auch keinen Respekt.
Du irrst, ich habe keine Abneigung gegen das Wort Disziplin, ich habe grundsätzlich keine Abneigung gegen Worte, da sie lediglich eine Zusammensetzung von Buchstaben sind und teilweise auf unterschiedlichste Weise zu interpretieren sind. Selbst gegen den Inhalt des Wortes Disziplin habe ich keine Aversion, doch sie muss dort angewandt werden, wohin sie auch gehört, und hat sicherlich häufig eine bedingungslose Rechtfertigung.
Das Kreative bete ich nicht an, wenn es irgendetwas gibt, das es sich anzubeten gebietet, ist dies eine andere Dimension. Greifbar ist das Kreative nicht, da es meiner Ansicht nach mit der Seele gleichzusetzen ist. Das Kreative ist jedoch sicherlich eine Vorbedingung und Grundvoraussetzung für alles Künstlerische, ob in Wort, Bild oder Tönen.

Enzensberger und Poe in einem Atemzug zu nennen, ist eine sehr interessante Perspektive...Enzensbergers Texte jedoch halte ich persönlich wiederum für sehr kreativ. Zum letzten Punkt deines dreifachen, deshalb wenig kreativen Rekomms bleibt mir nur zu erwähnen, dass ich bedingungslos pazifistisch veranlagt bin und niemandem Totschlag unterstelle. Es bleibt jedoch bei meiner Meinung, dass jede Kunst das Spontane voraussetzt, um zum Leben erweckt zu werden, während (zu intensiv angewandte) Disziplin ihr das Leben nimmt.

Bergmann schrieb daraufhin am 26.04.2006: Deinem letzten satz - und der ist doch wesentlich - stimme ich zu. Das Geheimnis der Gelingens liegt in der goldenen Mitte - nicht zu viel Kreativität, nicht zu viel Disziplin.

Kommentar von mica (28, gesund@gmx.org) (25.04.2006)
Ich bin mir nicht sicher. Es ist ein Gefühl meinerseits: Kunst ist nicht disziuplinierbar. Wenn du Schaffen, Schöpfung disziplinierst ist es halbe Sache, nicht mehr kosmische Intelligenz. Kunst geht mit Faszination einher und Faszination findet einem oder man findet sie. Faszination und innere Überzeugung als der stärkster Antrieb des Schaffens. Disziplinieren, konditionieren kann ich mich nur in meiner Wachheit, in meiner Aufmerksamkeit in meiner ewigen Suche meine Idee zu finden. Wenn Kunst zum regelmäßigen Handwerk wird ist es ein Handwerk, kein Genie sondern (verzeih die Pauschalaussage) Monotonie. Sieh sie Dir an, all die "Großen" der Gegenwart der Vergangenheit. Der sogenannte Kunstmarkt ist untergraben von Drogenexzessen, völliger Entglaisung bis hin zum Selbstmord. Ob Musik, Literatur, Laufsteg, Hollywood.. Weil es ein Irrtum ist, weil die Menschn Kunst kommerziell vermarkten. Und das ist ein Trugschluss, weil man versucht Kunst zu disziplinieren, das göttliche, das Genie .. nenns wie Du möchtest auszuschlachten und unter dem Regelwerk der Marktwirtschaft auszuschwemmen, .. Es ist nur ein Gedanke, ein angerissener Gedanke, der keinen Anspruch auf Wahrheit erhebt. Eben: meinem Schaffen der nächste, oder sagen wir, ein Glaubenssatz aud Eléns Tagebüchern.
lg Dir

Bergmann meinte dazu am 26.04.2006: Offenbar hast du eine große Abneigung gegen das Wort Disziplin. Das Kreative betest du an, als ob es überhaupt nicht greifbar wäre. Ein alter Streit. Enzensberger, Poe und Majakowski sehen es wie ich. Und mich deutest du, als schlüge ich das Spontane/Kreative tot.

mica (28, gesund@gmx.org) antwortete darauf am 26.04.2006: Kommentar im Kolliektiv, klasse. Ich deute gar nichts, ich sage, es ist ein Gedanke ohne Anspruch auf irgendwas. "Diese offenbar hast du eine große Abneigung... bla".. mit dem hab ich wohl gerechet, diese Worte sind ja im Forum bereits angedeutet, viell. sogar rüberkopier, ich mabe keine Lust nachzusehen. Eins will ich an deiser Stelle noch dalassen, weil es liegt mir lang schon im Mund, nicht nur im Zusammenhang mir Dir, wohl mit der ganzen Seite, viell. sogar mit dem Leben, mit den Menschen grundsätzlich. Ich (will an dieser Stelle nur für meine Person reden) bin viell. jung in meiner Gestalt, haben um Jahre weniger Wissen als manch anderer, aber ich bin klar im Kopf und, ich trage einen Packen Leben mit mir rum. Zit. ich: ein grosser Geist mach noch lange nicht Weisheit aus. - Zit. Ende. Es ist keine gekränkte Eitelkeit, die aus mir redet, nur eine Zusammenfassung aus den letzten Forenbeiträgen, die ich so mitlas. Die Seite ist für mich die letzte Zeit schlechter Ort, weniger in der Literatur als im Diskurs. Mein Leben ist untermauert mit Decadénc, was soll ich mir das hier noch antun? - Ich werd die nächsten Tage drüber nachdenken. Ist ja nicht neu, der Kreis dreht sich nur immer schneller. Eine Frage des Bewusstseins..
liebe Grüsse

Bergmann schrieb daraufhin am 26.04.2006: Liebe Andrea! Tut mir leid mit der Dreifach-Antwort. Ich war wohl noch zu sehr in Rage wegen des Threads. Ich hoffe, du bleibst bei KV. Décadence ist überall. Das ist völlig normal. Wir können uns doch auf die texte und Autoren beschränken, mit denen sich die Diskussion lohnt. Und: Gute Kommentare haben wir doch immer wieder auch - ich sage dir: mehr als draußen! Ich werde mich jetzt zähmen und weniger auf der Threadwiese spielen. Uli

eldude (29, doodarino@yahoo.de) äußerte darauf am 27.04.2006: ohne text oder kommentare gelesen zu haben, und nur auf die hier stehende ankündigung bezogen:
yea, bergmann. wenn du das machst - du wärst ein scheisscooler hund. auch, wo es dir wurscht ist, ob du ein scheisscooler hund bist.

Bergmann ergänzte dazu am 27.04.2006: eldude, verstehe ich dich richtig: ein scheißcooler Hund ist was enorm Gutes?
eldude (29, doodarino@yahoo.de) meinte dazu am 27.04.2006: !!!
:D

don.mombasa (27, mayence@gmx.de) meinte dazu am 30.04.2006: könnt auch sein, daß du dann ein scheißfucking wee bitty sucker bist, wie du willst oder auch wie du gesehen werden willst, von wem auch immer, status = hure, alles spirale, du verstehst...

Bergmann meinte dazu am 01.05.2006: Wenn die Welt ein Bordell ist, bin ich gern Hure.

Kommentar von zackenbarsch (26.04.2006)
Lieber Ulrich,
über Disziplin verfüge ich in ziemlich hohem Maße - seit meiner Jugend und nahezu in jeder Hinsicht. Ob ich kreativ bin, wage ich dagegen zu bezweifeln. Natürlich kommt mir bisweilen die eine oder andere kreative Idee. Und dann entsteht daraus vielleicht das eine oder andere künstlerisch angehauchte Gebilde - nicht nur Texte.
Aber zu Deinen Gedanken über den Zusammenhang zwischen Disziplin und Kreativität habe ich meine Zweifel. Zwar kenne ich die Anekdote von dem berühmten japanischen Maler Hokusai, der sich (scheinbar) Jahre Zeit ließ, als er dem Kaiser ein bestimmtes Bild malen sollte. Endlich riss dem Kaiser die Geduld und er stellte Hokusai zur Rede. Der Maler griff daraufhin zu Tusche und Pinsel und warf mit wenigen Pinselstrichen das perfekte Bild auf den Malgrund. Als der Kaiser jetzt noch mehr schimpfte, öffnete der Künstler wortlos ein großes Hinterzimmer seines Ateliers: einen Raum, angefüllt mit nichts anderem als Vorstudien zu dem Bild, das er gerade gemalt hatte.
Beherrschen muss der Künstler seine Mittel ganz sicher, aber ob er auch die Kreativität trainieren kann, wage ich zu bezweifeln. Da stehe ich der Meinung von Apocalyptica näher.
Herzlichen Gruß
Friedhelm

Bergmann meinte dazu am 26.04.2006: Offenbar hast du eine große Abneigung gegen das Wort Disziplin. Das Kreative betest du an, als ob es überhaupt nicht greifbar wäre. Ein alter Streit. Enzensberger, Poe und Majakowski sehen es wie ich. Und mich deutest du, als schlüge ich das Spontane/Kreative tot.

zackenbarsch antwortete darauf am 26.04.2006: Na, lieber Ulrich, wo bleibt denn da die Logik? Einem Menschen, der gerade gesagt hat, dass sein ganzes Leben von Disziplin bestimmt ist, kann man doch wohl kaum unterstellen, er habe eine große Abneigung gegen sie. Und von Anbetung der Kreativität meinerseits kann auch nicht die Rede sein; außer Gott bete ich niemanden und nichts an. Allerdings liebe ich vieles, vor allem Menschen, die mir nahe stehen. Und ich mag auch viele Dinge und schätze wirklich überzeugende Kunstwerke.
Könnte es sein, dass Deine Antwort gar nicht auf meinen Kommentar gemünzt war?
Mit lieben Grüßen
Friedhelm

Bergmann schrieb daraufhin am 26.04.2006: Doch doch, am Schluss sagst du ja, dass du Apocalyptica zuneigst. Aber wenn ich dir Unrecht getan habe, dann nehme ich meine Bemerkung zurück. Die Sache, über die wir reden, ist ja auch sehr diffizil, und soweit ich weiß, ist auch die wissenschaftliche Forschung noch nicht sehr weit. Nichts für ungut! Uli

Kommentar von AZU20 (26.04.2006)
Ich fand vieles von dem, was in mir vorgeht, wenn ich schreibe oder auch nicht schreibe, wieder. Disziplin und Kreativität schließen sich nicht aus. Herzliche Grüße.

Bergmann meinte dazu am 27.04.2006: Ja. Manche halten ein Gefühl schon für kreativ und denken (fühlen), dass sie das Gefühl ausleben müssten. Nur - das hat mit Literatur und Kunst nichts zu tun.

Kommentar von erasmus (26.04.2006)
Lieber Uli, in allem, was du zum Zusammenhang von Kreativität und Disziplin (vielleicht besser: Formwillen) schreibst, möchte ich dir bei vollem Bewusstsein und aus tiefstem Herzen und leidvollen Schreiberfahrungen zustimmen. Die folgende Frage sei erlaubt: Was verstehst du unter dem "richtigen Fluß der Kreativität"?
Viele Erwiderungen auf deine poetologischen Zusammenhänge gehen wohl noch von der romantischen Vorstellung einer "écriture automatique", eines rein kreativ zustande gekommenen automatischen Textes aus, was ja auch die surrealistischen Künstler um Breton glaubten und auch dein alter ego Nietzsche war davon überzeugt, dass es aus ihm heraus dichtete.
Du hast ganz recht, zum Kunstwerk gehört der Formwille notwendig hinzu.
Auch dein Bild der Steigerungsmöglichkeit der eigenen kreativen Energie (der zunehmende Fluss der Sprache und Sprachbilder entlang eines Schachts, der Unterbewusstsein und schaffendes Bewusstsein miteinander verbindet, durch Übung, die auch ein Sich-darauf-Einlassen ist) überzeugt mich. Dieses gewollte Sich-darauf-Einlassen scheint mir auch nicht ohne Kontrolle des Bewusstseins möglich.
Tritt Kreativität ohne Formwillen auf, kann es hübsche Bilder geben, denen der Rahmen fehlt, um ein Werk daraus zu machen.
Fehlt dem Formwillen, der als solcher kreativ im Sinne der Neuschöpfung sein kann, die kreative Idee, wirkt die Kunst oft bemüht, rein artifiziell (gekünstelt) und die Wirkung besteht allenfalls aus der Freude am Spiel mit Worten und Formen.
Daraus folgt, dass beides, Kreativität und Disziplin im Sinne von Formwillen, zusammenkommen muss, damit ein Kunstwerk daraus wird. (q.e.d.)

Bergmann meinte dazu am 26.04.2006: Ich danke dir für deine luziden Bemerkungen. Du stellst mir eine sehr schwierige Frage: Was ich unter dem richtigen Fluss der Kreativität vorstelle.
Ich denke, dass Bréton und die Surrealisten sich da gar nicht vertan haben - es geht darum, Assoziationen und Ideenschübe vor allem während des Schreibens zu provozieren. Im Wachsein. Dafür muss das ganze Bedingungsfeld stimmen. Ich muss möglichst locker sein, frei von Stress im Beruf usw. Aber ich kann diesen Wachtraumfluss auch dann kreieren, wenn ich nicht entspannt bin. Es ist willentlich machbar. Nicht immer, aber oft genug. Ich weiß nicht wirklich, wie es geht. Ich bin Praktiker. Ich sehe, dass es funktionieren kann. Natürlich eiere ich hier. Das richtige Maß ist wichtig: Nicht zuviel Traum und Intuition, nicht zu wenig Bewusstsein. Ich habe kein rationales Trainingskonzept. C'est difficile.

Kommentar von Traumreisende (26.04.2006)
nun ich glaube aus der kollektivantwort falle ich raus ) allerdings wer sagt nicht, dass es mal richtig wäre, eine solche antwort mehrmals zu geben...
egal.. zum text. er hat mich so ziemlich am genick gepackt, lasse ich mich doch schwer irgend wohin disziplinieren.
sicher ich bin sehr pünktlich, arbeite meine vorgaben ab und und und, aber in bezug auf all das, was mir eigentlich selbst überlassen ist verdrudele ich sehr gern.
und doch begann ich zu spüren, dass eine kontiunität, (ich scheue hier den begriff disziplin noch) stätig weiterbringt.
und leider unterliege auch ich der "zeit" und schreibe lieber morgens , als abends und muss doch regelmäßig aus dem haus zur arbeit.
also habe ich es mir angewöhnt, eine stunde früher aufzustehen und mir diese zu gönnen, allein, in ruhe. so konnte ich nachtgedanken festhalten, die bis zum abend weggewesen wären... und wenn es nur ein feilen an ein paar sätzen war.
was mich erstaunt hat, ein ehemaliges KV mitglied, der beruflich schreibt, war früh immer zur selben zeit am pc um somit eine feste zeit für sein schreiben einzuhalten, eine disziplinierung????
das hat mir imponiert, glauben doch viele, der beruf eines schriftstellers lasse alle möglichen freiräume...
aber die beste disziplin wird nicht ohne den impuls der kreativität gehen, der schacht, der geöffnet werden will!!! ja will!
vielleicht gibt disziplin diesem schacht die beständige möglichkeit und kein jammern: "ich habe keine zeit" fällt dann auf den boden, der grundsätzlich alles verschiebt..
lg silvi

Bergmann meinte dazu am 27.04.2006: Ja - es kommt auf das ausgewogene Verhältnis von Wollen/Planen/Rationalisieren und Träumen/Zulassen von Assoziationen an.

Kommentar von Aguaraha (27.04.2006)
Du triffst da, einen für mich wunden Punkt. Danke, ...

Bergmann meinte dazu am 01.05.2006: Das macht mich aber neugierig!

Aguaraha antwortete darauf am 13.09.2006: Meine Eigenschaften sind Kreativität, Faulheit, dann bin ich Legastheniker und dazu Perfektionist.
Das ganze bildet einen Kreis – einen so genannten Teufelskreis.
Einen möglichen Ausweg ist DISZIPLIN – das ich das mal selbst sage (da muss ich mich noch daran gewöhnen).

Kommentar von locido (21, peter.dietze@stud.uni-erfurt.de) (27.04.2006)
ich könnte deine position so unterschreiben, ja. aber wie kann man die kreativität lernen, warum geht das bei dir und bei mir nicht. im moment fühle ich mich gänzlich unkreativ und es ändert sich seit tagen nicht. woran liegt sowas?
lg.l

Bergmann meinte dazu am 27.04.2006: Ich bin Autodidakt. Ich erlebe Kreativität auch nicht immer. Erzwingen scheint mir unmöglich. Geduldige Steigerungsversuche vielleicht - aber das muss jeder für sich herausfinden. Leider kann ich dir nicht mehr sagen.

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