KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Freitag, 30. April 2010, 18:48
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Tanzstunde vor 7 x 7 Jahren

195. Kolumne

Tanzstundenball 1961

Am Abend des Tanzstundenballs in dem kleinen Schwarzwaldstädtchen Neuenbürg an der Enz musste ich meine Tanzstundendame abholen, und zwar in einem Haus gegenüber der Post, im Haus nebenan wohnte der Künstler Hans Ludwig Pfeiffer, dessen Frau eine Kollegin meines Vaters war, Ärztin am Kreiskrankenhaus. Ich war 16 und hatte gerade den Schlips zu knoten gelernt. Vor dem Gasthof „Zum Bären“, in dem die Tanzstunden stattfanden, erzählten sich die Jungen, was sie schon mit Frauen erlebten, und zeigten gewagte Fotos... Aber die Erfahrungsberichte waren sehr zweifelhaft.

Als ich meine Dame abholte, fragte mich der Vater (die Mutter ließ sich nicht blicken), ob ich etwas trinken wolle: Ein Schnäpschen, bis die junge Dame fertig ist? Ich wollte ein Mann sein und sagte: Einen Schnaps.

Vor dem Ball - die Eltern saßen alle droben auf einem Podest, wir nannten es die „Drachenburg“ - musste ich eine Sektflasche öffnen. Das klappte nicht gut, der Korken knallte zwar an die Decke, aber ich erschrak und goss Sekt auf das Kleid meiner Abschlussballdame. In der Tanzstunde tanzte ich auch mit ihr, und da sie so groß war, passten wir im Tanzen nicht gut zusammen, außerdem konnte ich nicht gut tanzen und latschte meiner Dame dauernd auf die Füße.

Der Skandal des Abschlussballs war allerdings nicht die Sektpanne. Der Höhepunkt war das Missverständnis des Abends, als nämlich die Tanzstundenzeitung verteilt wurde, die ich zu einem großen Teil schrieb. Direktor Heldmair verstand das letzte Gedicht in dieser Zeitung als Obszönität. Das Gedicht, das ich aus der Tanzstundenzeitung meines Vaters geklaut hatte, hieß „Der Kuss“ und handelte von verschiedenen Arten, sich zu küssen, wo ich damals noch überhaupt keine praktische Erfahrung hatte. Der letzte Vers über die Küsse lautete: "... den längsten nennt man Dauerbrenner." Entweder interpretierte Heldmair das als eine Anspielung auf die intimste sexuelle Handlung oder aber ihm war schon das Durchdeklinieren der Küsse zuviel.

Jedenfalls wurde mein Vater schon am nächsten Tag, es war ein Sonntag, mit mir zusammen zu Heldmair nach Hause bestellt. Dort ging es lange hin und her, am liebsten wollte der Direktor mir das consilium abeundi erteilen, so nannte er den Rauswurf aus der Schule explizit, wir hatten ja von Sexta an Latein.

Mein Vater erreichte, dass der Direktor mir eine Chance gab. Bei der geringsten Kleinigkeit wollte mich aber (der sonst eher gutmütige) Direktor von der Schule werfen; offenbar stand er unter heftigsten Druck der damals erzkonservativen Kollegen. Der Witz lag darin, dass ich zu der Zeit ein vollkommen naiver Junge war in Sachen Liebe, ich hatte während der Schulzeit keine Freundin, war viel zu schüchtern. Ich hatte allerdings aus der Sicht der Lehrer eine ziemlich große Klappe.

Der jungen Lehrerin Dr. Einberger, die neu an der Schule war und wegen der ich die Englisch-AG besuchte, schrieb ich ein Gedicht - das war nach dem Tanzstundenball:


Der sehnlich Geliebten

Hinweg mit euch, ihr lästigen Vokabeln -
o heilig ist mein Drang und meine Wut,
mein Herz erbebt, de Seele lebt in Fabeln,
mein Geist ist Feuer, meine Augen Glut!

Denn eine Sonne brennt und strahlt,
und froh erscheint mir jede Stunde
und jedes Wort aus ihrem schönen Munde
und die Gestalt erscheint mir wie gemalt!

O laß der Liebe zartes Band ergrünen -
Dich liebe ich mit allen Qualitäten,
ich tu für Dich, was andre niemals täten,
o sag, wie kann mein Herz Dir dienen?

Dein toller Teint, Dein Charme, Dein Chique -
o sei umschlungen, holde Form!
Mich fesselt stets Dein Zauberblick,
mit einem Wort: Du bist enorm!

Ach, endlich strahlt im Schulgebäude
mal unerreichte Eleganz,
es brennt und flammt Dein Feuerglanz
und täglich schenkst Du neue Freude!

Auf in den Liebeskampf, mein Herz!
Ich fühle, schon durchdringt es mich -
und gibt's auch noch so großen Schmerz:
Du bist mein Stern - ich liebe Dich!

Ihr Anonymus


Ich steckte das Gedicht in ein Kuvert und warf den Brief, adressiert an Frl. Dr. Einberger, vor Zeugen in den Briefkasten vor dem „Bären“, in dem unsere Tanzstunden stattfanden, gegenüber der Bushaltestelle, an der wir nach der Schule immer noch eine ganze Weile standen, um mit den Fahrschülern zu quatschen und das Städtchen aufzumischen. Die waren dann Zeugen meiner Mutprobe...

Das Geheimnis der verbotenen Dinge war damals spannender als heute.



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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (30.04.10)
"...und da sie so groß warst, passten wir im Tanzen..." ?

Ansonsten: Etwas betulich, aber gerne gelesen.

 Lala (30.04.10)
Bei Geil! und Bravo! von Jack, konnte ich nicht widerstehen und musste lesen. Und das ging ganz gut. Betulich schrieb Rotmund, aber ich finde das passt schon. Der Erzählton stimmt und ist souverän.
Mich stört was ganz anderes, aber unterstelle mal demütig, dass ich den Clou nicht gerafft habe. Mir ging’s so, dass ich am Ende dachte: Warum denn jetzt die pubertäre Liebe zur Englischlehrerin ausgebreitet werden muss, wenn’s doch um’s Tanzen ging?
Oder sollte das sehr verbrämt vom Zungenkuss, vom French Kiss der französisch Lehrerin transponieren über von hinten – nein nicht griechisch - durch die Brust – nö auch nicht spanisch – zum BlowJob, also zur Englisch Lehrerin?
Obwohl die Englisch Lehrerin auch ohne diese Transponierung, in Sachen Liebe, dem Protagonisten mit der großen Klappe aber der geringen Brusthöhe, mehr als gewachsen und fordernd genug gewesen wäre.

Nun denn, vielleicht vermeint der Autor zu meinen, dass es auch heute noch, besser sei zu schweigen, wenn es um Tanzstunden oder Fickphantasien oder tatsächlich oder auch nicht oder sonstwie gehen sollte, damit es ein Geheimnis bleibe und sich die Geilheit im Verborgenen und im befriedigten Schweigen erhalte? Ich bleibe dennoch, trotz der Reinheit des Tones, textuell unbefriedigt.

Gruß

Lala
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