KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Alte Sonette von jungen Leuten
221. Kolumne
SONETTE VON SCHÜLERN
Demian Schaller
Pflichtübung
Weh mir! welch Schicksal ließ mich ein Sonett erdichten?
Drei Tage Frist sind mir gesetzt: Welch streng Gebot!
Des Geistes Leere bringt Verderben, Pein und Not!
Wann endlich (bang ist’s mir!) wird mein Verstand sich lichten?
Groß ist des Reimes Wohlklangs Reichtum. O hätt ich den!
Doch dies allein mitnichten ist die schlimmste Not:
Das Metrum gerät mir nicht ins rechte Lot.
Zu elend scheint mir das Gedicht. Man mög’s vernichten!
Welch Wunder nur: Zwei Strophen stehn schon auf dem Blatt.
Fürwahr! Es naht das Ende meiner Schuldigkeit.
Vier Zeilen noch, hernach bin ich von ihr befreit.
Man möge mir verzeihn: Ich bin das Dichten satt!
Nur, dies habe ich erfahren in der Zeit:
Die Verse sind dem leeren Nichts ein schönes Kleid!
1981
Rosanne Tal
Nur der Form nach ein Sonett
Wer wird in Knittelversen | deß fluchen was ihn plagt
Wer wird um was zu schreiben | sein Auge alsbald richten
auf alles was er haßt | um nun drauflos zu dichten
dann bänglich drauf zu warten | bis ihn der Lehrer fragt.
Wer wird nach Reimen suchen | vielleicht gar, wenn’s schon tagt
Wer wird ein Wort nicht finden | und kann nicht drauf verzichten
und würde, ging’s nach ihm | das Werk schon jetzt vernichten
ist ihm doch klar: als Dichter | da hat er wohl versagt.
Man sollt es wohl verbieten | (’s sind ungeübte Leut)
erhabene Gebiete, | die andre schon betreten,
so gänzlich zu entweihn | (sie hätten sich’s verbeten).
Und sollt es wohl bedenken | (noch ist’s zu spät nicht heut)
ob man nicht erst versucht | Vorhandnes zu besehn
und mehr noch als bisher | es besser zu verstehn.
1980
Torsten Klein
Elegie
Daß jedes Mal, wenn er den Raum betritt,
der Schüler nicht mit freudigem Erwarten
mit altdeutschen Gedichten und Sonetten starten,
das hat ihn schon seit längrer Zeit bedrückt.
Statt seiner heißgeliebten Diskussionen
erfüllt meist Totenstille unsern Raum,
und wenn ein Schüler mal erwacht vom Traum
und etwas sagt, wird er ihn dankbar loben.
Wenn er gedenkt all der früh’ren Stunden,
wo er in Schüler- und Studentenrunden
so manches Wortgefecht gefochten hat,
dann seufzt er tief, doch tröst’ ihn der Gedanke,
daß nicht nur er der Jugend Leid verdanke,
vielmehr schon Walther von der Vogelweide klagt.
1980
Peter Heinen
Hausaufgaben
August. Die Schule, die hat angefangen.
Am Morgen heißt es früh sich aufzurichten
und sich zu mühen mit den neuen Pflichten,
um durch das neue Schuljahr zu gelangen.
In Deutsch nimmt uns Herr Bergmann in die Zangen
und füttert uns mit schwierigen Gedichten.
Wir sitzen da mit traurigen Gesichten
und wissen gar nicht recht, wo anzufangen.
Die Blicke wandern dauernd aus dem Zimmer,
um wieviel lieber möcht’ man draußen spielen,
an Fußball und ans Fahrrad denkt man immer.
Was dichten denn die andern nur, die vielen?
Von Versen haben wir doch keinen Schimmer,
da können wir noch besser Teller spülen!
1981
Julian Müller
Hausaufgaben
Wir wollen heute mal Sonette dichten,
das ist nicht einfach, doch man muß es tun,
man kann nicht immer nur im Bette ruhn,
man muß sich schließlich nach Herrn Bergmann richten.
Die Schüler sitzen all’ zu Haus und dichten,
das dauert Stunden schon, man glaubt es kaum.
Auch ich saß lange in dem dunklen Raum,
die Muse rief ich, doch konnt’ ich sie nicht sichten.
O meine Zeit! So hoffnungslos verschwendet!
So ohn’ Idee, Gedanken abgeblendet.
Wie muß ich trauern über den Verlust!
Was könnt’ ich tun, säß ich nicht hier im Zimmer!
Mir sinkt der Blutdruck, denken kann ich nimmer.
Herr Bergmann, bitte, nie mehr diesen Frust!
1981
Manuel Reich
Die Stadt
Große Häuser, schlechte Luft, viele Leute,
viele Autos, wenig Platz zum Leben,
Bauwerke zeugen vom menschlichen Streben –
die Stadt, eine errungenschaft von heute?
Keiner hat mehr Zeit, alle müssen hetzen,
Arme betteln in einer Einkaufsstraße –
rundherum Überfluß im größten Maße,
die Stadt, ein Schmelztiegel von Gegensätzen.
Der Mensch wird in die Isolation gedrängt,
er fühlt sich von seinem eignen Werk beengt,
er hat seinen Gemeinschaftssinn verloren.
Jeder will seine eignen Wege gehen,
keiner will mehr Gefühle andrer sehen –
der Mensch ist nicht für dieses Leben geboren.
1981
Cordula John
Sonettfragment
Ja, ich bin so still und ruhig und gelassen,
der Himmel ist grau im Traum, im Fieberwahn,
die ganze leere Zeit, die ist vertan,
ich muß doch vor des Lebens Widerspruch erblassen.
Schlinggewächs legt sich um Wade und um Knie,
vom einfach ungeschmückten Wort getragen –
wo man am meisten fühlt, weiß man nicht viel zu sagen,
und doch empfinde und erlebe ich es nie.
So gern hätt ich ein schönes Lied gemacht,
doch wie ich auch gesonnen mehr und mehr:
des Herzens Fluten wallten drüber her ...
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1980
Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag
Es ist ohnehin kaum voraussehbar, wie hoch einer beruflich oder künstlerisch steigt. Ich habe schon alles erlebt: Abstürze der intelligentesten Schüler und Aufstiege beharrlich arbeitender mittelmäßiger Schüler. Die in unseren Schulen so überbetonten kognitiven Aspekte der Bildung machen nach meiner Erfahrung für das spätere erfolgreiche Leben (beruflich und privat) höchstens ein Drittel aus. Daran sieht man den Unfug, der mit PISA von Seiten der Form-Konservativen betrieben wird. Entscheidend sind ganz andere Dinge, die in der Schule zwar auch gelebt werden (können), aber nicht genügend Beachtung finden. - Auch aus diesem Grund war ich so gern Theaterlehrer. Kognitiv sehr schwache Schüler konnten hier Großes leisten! LG, Uli
Freitag, 30. Juli 2010, 11:19:
Die Verse sind dem Nichts ein schönes Kleid - Gedanken zum Sonett. Dominik Riepe. Lyrik (34)
ich kann / darf diesen Text nicht eigenmächtig ändern, und es ist auch gar nicht notwendig, wenn du das "Nur" lang liest, und auch gar nicht sinnvoll (semantisch).
LG, Uli