KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Gedanken über die Kunst
383.Kolumne
Bonn, 9.11.2013
Lieber Ekkehard,
meine Korrespondenz: Ich sammle nicht alles, aber vieles. Jedenfalls das Bedeutendste. So ist es seit Jahren factum, dass ich das Gedächtnis meiner Familie(ngeschichte) bin. Das meiste liegt im Computer (ich habe eine Backup Machine, die alles sichert), einiges auch in Ordnern.
Meine Texte: Sind ALLE ausgedruckt in Klemmheftern, 1,50 m breit im Regal. Und 5 Regale Veröffentlichungen (Lit.Zss.).
Kassel, dXIII – der grasüberwachsene Müllberg: Diese Idee hatte Hape Kerkeling in einem bitter-grotesken Film über den Alpentourismus schon vor über 10 Jahren!
Weitung des Kunstbegriffs: Ja, vielleicht in der Tiefe, aber in der Breite.
Erschöpfungsgesellschaft: Begriff von Rauterberg. Hat er gut gewählt.
Kunst: Kosmischer Aspekt: Das habe ich von einem Künstler, den ich mal kannte. Er war Professor an einer Stuttgarter Freien Kunstschule, seinen Namen habe ich vergessen, - jedenfalls habe ich auch durch ihn um das Jahr 1985 erst richtig erkannt, dass die drei großen Künste alle gleich sind in den wesentlichen Dingen. Ich konnte damals von der Literatur auf die Kunst schließen, ich entdeckte da erst die Kunst. Die Musik habe ich immer schon am besten begriffen. Aber hier blieb ich Hörer. Heute gelingt es mir, auch von der Kunst auf die Literatur zu schließen. In der Musik bin ich traumsicher. – Kosmischer Aspekt: Der darf nicht verloren gehen – bei aller schönen und wahren Spielerei ist das Werkganze wichtig als Spiegelung des Seinsganzen. Ich bin da sicher: Auch eine Alltäglichkeit muss im Kunstwerk das Ganze herleiten oder von ihm hergeleitet sein.
Ich bin da mit dir absolut d’accord.
John Bock: Den darfst du nicht unterschätzen. Schau dir seinen ‚Beckett-Raum’ an, da zitiert er Becketts Stück „Glückliche Tage“. Wenn die Zs. „art“ meint, Bock fabriziere „Höheren Blödsinn“, ist das einfach dumm getitelt. Rentmeister ist nicht stärker, nur anders. Bock ist kein Clown, seine Bonner Ausstellung ist kein Kalauer, sondern intendiert tatsächlich das KOSMISCHE PRINZIP.
Literatur-Portale im Internet: Es gibt Hunderte. Aber poetenladen.de und fixpoetry.com sind ziemlich oben. Auch der Dichtungsring gehört schon zu den etablierten ersten 50. – Meine Literaturseite philotast.com hat im Monat weit über 1.000 Besuche.
Honorarproblem: Ja, schlimm. Immer normaler wird es, dass Autoren auf Internetseiten ohne Honorar veröffentlichen. Irgendwie korrespondiert das mit dem Phänomen sterbender Buchhandlungen. Die Kunst hat es besser. Der Unikat-Begriff rettet die Künstler.
Der Schriftstellerverband wird immer bedeutungsloser. Vielleicht bald auch PEN etc. – Aber zahlende Verlage sind immer noch oben. Allerdings haben wir heute nicht mehr so ein einflussreiches Bildungsbürgertum, der Bildungsbegriff ist – ähnlich wie der Kunstbegriff – ungeheuer geweitet, das paralysiert sich selbst; und so, ganz ohne die geglaubten Autoritäten, nimmt Literatur und alle Kunst immer mehr Warencharakter an wie alles, was wir im EDEKA-Geschäft oder bei ALDI kaufen.
Du sagst, ich habe wenig Kapital geschlagen aus meinem Beruf, trotz Schülertheater (20 Inszenierungen) etc. Ja, das stimmt. Bedenke aber: Ich blieb immer frei. Ich bekam immerhin alle Kurse, die ich wollte. Ich konnte machen, was ich wollte. Mir genügt vollkommen meine Pension als Studienrat. Auf Karriere habe ich immer gepfiffen.
Im Literaturbetrieb bin ich einer unter vielen.
Urheberrechte: Der Dichtungsring hat immer die copy rights geachtet, auch wenn wir das nicht eigens vermerken. Das gilt auch für meine Beiträge. Alle Fotos sind von mir gefertigt.
Verwertungsgesellschaft Wort: Da bin ich auch drin. Es gibt nur wenig Geld, leider. Ich bin zu unbedeutend.
Gasometer Oberhausen: Ich war vor Jahren dort – und jetzt wieder. Christos Blase habe ich gesehen, und ich war überrascht, wie gut das wirkt. Eine Art Innenverpackung. Alterswerk. Reife.
Mir absolut unbekannt: Dass du auch Vernissagereden hältst. Ich habe seit 1985 über 40 Eröffnungsreden gehalten. Und dabei viel gelernt.
Interessant, wie du mich durchschaust: „... wieder die typische Bergmannsche Übersteigerung mit Absurdität und letalem Ausgang.“ Wenn man aufs Ganze geht/sieht, dann geht es nicht anders.
Die von dir genannten Künstler schätze ich auch, besonders: Kiefer (auch in Venedig 2011 gesehen), Bourgeois, Trockel (sehr wandlungsfähig, Witz), Kentridge, Cragg.
Natürlich meinte ich in meinem Essay für den Poetenladen bzw. Fixpoetry, dass die heutigen Künstler „inhaltlich teilnehmen am zeitgenössischen Leben, aber gleichzeitig als ästhetisch innovative neue Genies wahrgenommen werden wollen“.
Die Forderung nach ethischer Positionierung der Künstler (Mitmenschlichkeit): Ja, aber. Das bleibt offen. Kunst ist primär der Wahrheit verpflichtet, also dem, was Künstler erkennen), aber niemals irgendeiner Norm, also auch keiner Moral, keiner Ethik. Moral und Ethik sind Kategorien der Philosophie und Politik. Die Kunst muss frei bleiben, absolut frei.
Meine Urteile über Biennalen etc. sind immer ambivalent: Ich sehe das Kuratorenkonzept einerseits, andererseits einzelne Künstler.
Weibliche Kunst: Es gibt Kunst von Frauen, aber keine weibliche Kunst, es gibt auch keine männliche Kunst. – Während es in der Belletristik viele weibliche Autoren gibt, sind Musik und Kunst weiterhin männlich ‚beherrscht’. Mir ist das – im Hinblick auf Kunst – egal. Politisch gesehen ist es mir nicht egal.
ars est ars.
(Brief an Ekkehard Drefke, Künstler in Brühl)