KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Dienstag, 06. Oktober 2020, 22:50
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Fingerübungen - Rainer Maria Gassen Lyrik (52)

733. Kolumne

Das Ende der Sonette ist dies wohl
noch nicht; als Fingerübungen wirst du
dich Ihnen immer wieder zuwenden;
Jahrzehnte sind nicht etwa wie im Flug, nein,

eher gemächlich hin gegangen, ohne
dass du ihre je wärst müd geworden;
und tatsächlich ist dir nichts begegnet,
dem die Form die Herrschaft nicht hätt sanfter noch

geliehen; mag sie hin und wieder ein
zu strenger Zuchtmeister gewesen sein –
die Zahl der aufgegebenen Versuche

hast du nicht gezählt – doch ist auch heute
noch gewachst zu haben, da ich ihm erst noch
ängstlich als eleven vor zu schlagen, schlicht


Die einzige Entscheidung, die du nie
bereuen musstest; alles andere
ist dir grandios misslungen; sei's darum; du

stehst so aufrecht auf den in den Jahren
alt gewordenen Beinen, wie du es als
junger Mensch nicht konntest; dich an Vorbildern

zu messen, hast du unterlassen; das
hat dir unendlich viele Stunden der
Entgeisterung erspart; den Vorwurf, du
wärst feige ausgewichen, lässt du gelten,

weil er nicht nur zutrifft, sondern weil du
weißt, wie sehr ein solches Ansinnen dir
die Begeisterung für jene Großen
unnötig und frevelhaft geschmälert hätte.

[Rainer Maria Gassen, 48. Doppelsonett]


Rainer Maria Gassens FINGERÜBUNGEN – 48 Doppelsonette - habe ich in einem Zug gelesen - sie sind zusammenhängender, als es der Titel zu sagen scheint, ein Zyklus, so etwas wie ein Lebensrückblick, eine selbstkritische Rechtfertigung, sicherlich nicht vollständig, aber Rainer Maria Gassen hat ohnehin schon in anderen Sonetten zurückgeblickt. Deutlich berührt er das Wesentliche, ob und wie er seine Anlagen ausgeschöpft und seine Lebenspläne umgesetzt hat. Es geht anfangs ein wenig um den Lehrerberuf, meistens aber um sein Schreiben, seine Poesie, die Sonette, die Frage, ob diese Einseitigkeit in der Hinwendung zum metrisch geordneten aber reimlosen Vers für ihn angemessen war und ist, es geht also um sein Werk, es geht um Ruhm und und Nichtruhm, um Wollen, Streben und Bescheiden, um das rechte Werk- und Lebensmaß. Also auch um Selbsterkenntnis, um Werden und möglichst viel Selbstvollendung. Das alles auch recht selbstkritisch, aber er ist alles in allem im Reinen mit sich. Das Werben um Zuneigung der Frauen, um Eroberung ist auch ein Thema, das im Zusammenhang mit dem Leben als Werk vorkommt, und hier liegt ein gewisses Kokettieren in der Kunst seines Formulierens ... Kurzum: Meisterhaft schließen die Fingerübungen mit dem 46. Doppelsonett und einem letztlich selbstversöhnlichen Epilog.

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