KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Mein kv - 11. Intermezzo III
762. Kolumne
Hier nenne ich einige Ungesehene: Vaga (Monika Brandenstein), Jaccolo alias Carmina alias Karin Maier, Frank Zosel und W-M (Werner Weimar-Mazur).
Es sind nicht alle, die mich beeindruckten, einige waren nicht lange auf kv, und doch kam es zu intensiveren Korrespondenzen per Mail oder PN (persönliche Nachricht im kv-internen Netz), teils auch in den Foren. Etwa: Bettina Brunstein alias Tina. Im Laufe der letzten 14 Jahre ist da viel zusammengekommen, man darf die Foren nicht unterschätzen, in denen es zum Gedankenaustausch kam.
Mit Vaga eint mich ein besonderes Band – es sind die Schlangegeschichten, die wir uns gegenseitig schrieben, manchmal wie ein Ping-Pong-Match, ohne fiese Schmetterbälle, wohl aber angeschnittene Bälle ... Manchmal legte ich eine Schlangegeschichte vor, Vaga griff sie auf, parodierte sie; manchmal entwickelte sich in der Parodie der Parodie sogar eine ernste Schlangegeschichte. Da neckte sie mich und ich sie, ohne zu einem oberflächlichen Flirt zu werden, und doch war es nicht selten etwas mehr als nur eine Liebeserklärung an die Poesie ... Ich will mal schauen, ob ich noch etwas davon finde. Hier ist so ein signifikanter Kommentar-Thead zu einem Gedicht von Vaga:
ritualisiert.
Tagebuch
von Vaga.
jetzt gehen sie wieder
und hämmern ihr flaches gewissen
mit schweren schritten
in grauen asphalt
tragen gestalten
auf hohen wagen
kasteien die schultern
zu wundigen malen
im rhythmus des volkes
das klatscht und schreit
und gnade erfleht
tritt stockenden blutes
was da floss dereinst
zurück in den kauernden vorbehalt
- - -
Bergmann: Ein politisch Lied - pfui! ein garstig Lied! (Faust I)
Ich bin überrascht, das Thema kommt in der ernsteren Lyrik hier so selten vor ... Die erste Strophe finde ich am besten! Aber insgesamt gefällt mir die Sprache gut, und der Vorbehalt reimt sich zuletzt noch auf den Asphalt, das Echo ...................... knallt ...
Vaga: Ich habe diese Verse heiß geschmiedet - und am Ende reimte sich da was zusammen! Danke für deinen Komm.
Bergmann: heiß geschmiedet ..., oh ... irritierend ...
Vaga: Diese Thematik entzündete mich so sehr, dass ich anstatt ‚mich medikamentös mit Antibiotika zu behandeln‘, Verse aus meinen Adern ließ. So war dieses ‚heiße Eisen‘ gemeint.
Bergmann: entzündete ... jetzt fehlt nur noch eine Lunte ...
Vaga: Möchtest du, dass ich ‚verbrenne‘?
Bergmann: Explosion genügt mir.
Vaga: Ich bezweifle, dass ich dem Anspruch gerecht werden kann. Doch habe ich mit meinen Zweifeln schon die schönsten Erfahrungen gemacht - nämlich dann - wenn ich sie mir selbst widerlegte. So bleibt Hoffnung: für und gegen alles, was möglichst surreal realisierbar ist.
Bergmann: Gut. Implosion ist auch eine Möglichkeit, also so ein umgekehrter Urknall, aus dem dann wieder was wird ... Es gibt nicht nichts. Schau dir einfach zu bei der Erschaffung deines Universums.
Vaga meinte dazu am 01.04.2007: Dann wäre ich die Göttin meiner Welt. Der Gedanke gefällt mir außerordentlich!
Bergmann: Von mir aus. Aber ich werde dich nicht anbeten.
Vaga: Das wäre dann wohl wirklich Blasphemie. Und: Soweit ich mich erinnere, müssen Götter keine Götter anbeten.
Bergmann: Da hast du natürlich recht. Aber: Aus Liebe zu dir kann ich mich in Menschengestalt verwandeln, bin Mensch und Übermensch, Gott und Übergott zugleich.
Vaga: Als Göttin darf ich mir wünschen, in welcher Gestalt du dich mir näherst: Ich hätte dich gerne als schwarzen Schwan - und natürlich als Untergott. Über mir zu stehen wäre für dich und für mich äußerst langweiliCH.
Bergmann: D‘accord. Mein Kollege Jupiter hat die Stellung auch schon mal in Weiß ausprobiert, aber er sang dabei noch nicht Wagner, da habe ich mehr zu bieten.
Vaga: In Weiß war alles schon einmal da - ja - in Schwarz bekommt die "Variante" einen noch erotischeren Touch! Ich muss mich jetzt leider wieder meiner irdischen ‚Arbeit‘ zuwenden. Nichtsdestotrotz werfe ich jederzeit, wenn ich will, mein göttliches Auge auf dich.
Baldachin: Feinstes Theater: ein hochwertiger Text, und nach der Vorstellung ein espritvoller Dialog der 68er-Humanisten. Beifall aus der letzten Reihe vom Herrn im geborgten Anzug. [2007]
Vaga: Lese gerade den Kommentarstrang noch einmal, und er amüsiert mich erneut. Fast fünf Jahre ist das jetzt her!!
Bergmann: Ja, da warst du in Hochform. Ich sehe, wie ich weiter gereift bin seit dieser Zeit, in der ich quasi noch meine Unschuld hatte. Ich staune über mich und sehe zugleich, dass mein Verhältnis zu dir dem Goethes gegenüber der Frau von Stein ähnelte. Du wirst es anders sehen und behaupten, du seist keine Frau von Stein. Ja, das ist wahr, du bist aus anderem Holz geschnitzt, und so ist es gut. [2012]
Und hier eine Vagaschlangegeschichte:
Sinnfrage
Die zarte Zeichenschrift ist eine Augenweide, deren Deutung stillt einstweilen unser sinnliches Begehren. Was tun, sagt Schlange, wenn wir wieder nicht den Sinn des Seins verstünden und den letzten Hoffnungsschimmer daraufhin verlören? – Gute Frage, liebe Schlange, deine Worte, jambisch exzellent geschrieben, tanzen durch den Raum der Logik wie Musik in einer Fuge oder Passacaglia! Müssen wir im Stockwerk überm letzten Stockwerk immer noch verstehen wollen, was wir sowieso nicht wissen können? Selbst die Götter blieben blind, der Übermensch weiß auch nichts. Doch ist die Liebe, die sogar den Himmel überragt und uns verbindet bis in alle Ewigkeit und weiter noch als jede potenzierte Transzendenz, nicht das höchste Wissen und Begreifen? Wer liebt, begreift die Welt und fügt sich in sie ein wie in das Paradies, das wir mit unsrer Liebe uns erbauen wie en Nest! So lass uns singen, liebste Vagaschlange, jenes Hohelied der gegenseitigen Erkenntnisgabe! Ich fühls, wie mich dein Schlangenleib umarmt und mir die Luft nimmt ohne jedes Gift, wie du mich ganz verwandelst in der Nähe des galanten Todes ... ach, da stockt das Blut im Hirn, es brandet auf der Rausch, der mich beim Schreiben dieser Zeilen schon betäubt ... und ich verstumme –
Jaccolo hielten wir lange für einen männlichen Autor, der umwerfende bayerische (bairische) Verse schrieb, bis sich Jaccolo als Carmina entpuppte: eine weibliche Autorin aus Bayern. Sie gab dann einen Band mit ihren bairischen Gedichten heraus, für den ich ein Nachwort schrieb.
In meinem Büchlein „Bildschirmgedichte“, in dem ich eine ganze Reihe von kv-Autoren vorstellte, finden sich einige Gedichte von Jaccolo. Hier wenigstens ein Beispiel:
regnbognforelln
de oan sagn
des
de andern sagn
des andere
de oan ham recht
de andern s große wort
s geht
durch mi durch
wia vo oam ufer
zum andern
manchmoi bleibt wos hänga
de forelln wissn s
Karin Maiers Mundartgedichte sind Gedankengedichte – die Hauptthemen sind Erkenntnis, Selbsterkenntnis, insgesamt: Skepsis gegenüber der Kultur und daher Sehnsucht nach einer einfacheren Harmonie, für die die Natur als Bild (weniger sie selbst im eigentlichen Sinn) steht.
Noch nie war mir das Bayerische derart sympathisch wie in solchen Gedichten. Welch eine starke Sprache und sensibel zugleich. Bei Karl Valentin ist mir das Bayerische nicht so nah gekommen. Und auch die besten bayerischen Kabarettisten von heute schaffen nicht diese Dichte und die wunderbare Aufhebung des Derben, das jedem Dialekt innewohnt. Karin Maiers Mundartgedichte entwickeln eine unglaubliche Zartheit und Leichtigkeit, ohne an Tiefe zu verlieren. Dem Dialekt verdankt sich die Kraft und die Bildprägnanz nicht allein, es liegt vielleicht tatsächlich auch daran, dass die Dichterin im Bayerischen von innen heraus das Wesentliche so leicht sagen kann, dass es zugleich auf engstem Raum Tiefe gewinnt.
managarm (Frank Zosel) ist ein Autor, mit dem mich eine Autorin verbindet, die wir beide kannten: Anna Romas. Er kannte sie schon länger als ich. Ich lernte Anna Romas um das Jahr 2005 im Forum Literatur Ludwigsburg kennen, als sie schon gezeichnet war von ihrer Krebskrankheit, an der sie wenig später starb. Als ich einen Text über sie auf kv brachte, trafen sich managarm und ich, zwei Freunde der Autorin – und wir schrieben uns Briefe. Frank schickte mir eine Reihe von Gedichten, die er von Anna Romas hatte. Er zog bald aus Süddeutschland in die Eifel, und fast hätten wir uns dort getroffen.
Werner Weimar-Mazur ist schon lange Autor in der Bonner Literaturzeitschrift „Dichtungsring“, für die ich einige seiner Gedichte empfahl. Auch für ihn schrieb ich einmal ein Nachwort für einen seiner ersten Lyrikbände. Ich vermittelte ihm einen versierten Lektor, den Lyriker Holger Benkel in Schönebeck, mit dem er eine intensive Korrespondenz pflegt, wie ich auch. Werner war schon einmal beinahe zu einer Lesung in Bonn verpflichtet, das zerschlug sich leider.
Ich schätze seine Gedichte sehr. Da Werner die Neigung hat, gern Tiere in seinen Gedichten auftreten zu lassen – als metaphorische oder atmosphärische Farbe in seinen Versen -, habe ich mich mit diesem Aspekt einmal besonders befasst und schrieb einen kleinen Essay darüber unter dem Titel „Falter und Fische - Werner Weimar-Mazurs Gedichte – ein poetischer Zoo“:
Meine Analyse der letzten 38 auf kv veröffentlichten Gedichte des von mir sehr geschätzten Lyrikers W-M (Werner Weimar-Mazur) kommt zu den erstaunlichen Ergebnissen, die ich schon seit geraumer Zeit erahnte:
Ich sichtete eine geradezu fabelhafte Versammlung großer Teile der Tiergesellschaft auf einer Art Arche Noah unserer Zeit – in Werners Versen!
Die Tiere, die er in seine Gedichte aufnimmt, haben die Funktion, Bilder zu sein für eine bestimmte Atmosphäre, für Stimmungen, es sind Fabeltiere en miniature, adjektivische Kleinmythen sozusagen. Sie sind das Geheimnis eines Stils, der sich schon seit langer Zeit mit Erfolg behauptet, auch in den Print-Werken des Autors.
Die Intensität liebevoll-animalischer Kurzmetaphern ist einzigartig in der deutschen Lyrik-Savanne oder in den west- und mitteleuropäischen Biotopen der Poesie.
Ich will das attributive Getier nicht streng systematisieren, aber ein klein wenig kommentieren.
Fische und Fliegende Tiere (Vögel und Falter) kommen am häufigsten vor – Lebewesen unter Wasser und über Wasser. Unterbewusstsein und Gedankenflug. Der Mittelbau – Kriechtiere, Wirbeltiere, Säugetiere – ist auch stark vertreten.
Die Fische kommen als allgemeine Gattungsbezeichnung 10 mal vor, speziell noch als Hering, Lungenfisch, Schmetterlingsrochen, Waran, Wal (dazu kommen noch Qualle, Koralle, Algen und Schwämme, Muschel).
Wesentlich beeindruckender ist die Vielfalt der fliegenden Weimar-Mazur-Tiere, insbesondere die Großgruppe der Falter. Hier haben wir 4 mal unspezifizierte Falter, Delfinfalter, Aurorafalter (2 mal), Schillerfalter (4 mal), Zitronenfalter, Apollofalter, Adonisfalter und Azurfalter (Mazurfalter ... ?). Und Graugänse (2 mal), Falken (2 mal), Eulen (2 mal), Vögel allgemein (4 mal), Hautflügler (2 mal), Sing-Schwäne (4 mal), Papiervögel, Schwarzstörche, Lerchen, Albatrosse (2 mal), Uhu, Tauben, Raben, Mauersegler, Kranich, Silberreiher, Hühner, Kolibri, Frostfliegen, Krähen, Enten, Insekten, Sturmmöwen, Lachmöwen, Stare und Schmetterlinge. Der Bezirk der Luft und der Höhenflüge überwiegt die lebendige Unterwasserwelt bei weitem. Das Reich der Ideen dominiert also.
Wie steht es ums Irdische, die Erdhaftung? Hier finden wir Tiere und Tierchen allgemein (4 mal), den Wolf, Hamster, Fuchs, Dachs, Waschbär, Schweine, Jaguar, die Wasserschlange (2 mal), Luchs und Luchsin (3 mal), den Berglöwen, die Hauskatze, Pferd und Holzpferd (okay, letzteres ist eine hybride Metapher), den Leoparden und die Schneeleopardin, Geißlein, Rehe, das Raubtier, Bären, Panther und Schaf. Und hinzu gesellen sich noch Weichtiere, Echsen und die Gottesanbeterin.
Viele dieser irdenen Tiere haben viel Kraft, sind schnell und gefährlich.
Alles in allem ist das eine reiche Palette von Attributen, derer sich die Gedichte zur Ausstattung des lyrischen Ichs bedienen.
Ich habe gerechnet: In 38 Gedichten tauchen auf oder fliegen und laufen vorüber 76 verschiedene Tiere, das sind 2 pro Gedicht. Wenn ich die Mehrfachnennungen berücksichtige, komme ich auf ungefähr 3 Tiere pro Gedicht.
Dem stehen nur relativ wenige Pflanzen gegenüber – das leuchtet ein, denn Pflanzen repräsentieren eher passive Eigenschaften: Rotdorn, Ahorn, Birken, Gras, Beeren, Blaubeeren, Nüsse, Mandeln, Dolden, Papyrus, Maulbeerbäume, Seetang, Rosen, Ginster, Mohn, Blumen und Oliven.
Natürlich habe ich hier nur einen Aspekt der Gedichte untersucht – die tierischen Wortfelder. An anderer Stelle habe ich Werner Weimar-Mazurs Lyrik ganzheitlicher betrachtet. Aber der hier analysierte Bereich der Metaphorik ist eine aufschlussreiche Ergänzung. Weimar-Mazurs Lyrik verwandelt die Technik der Äsopschen Fabelschreiber in moderne Art – sie wird nun leichter, atmosphärischer, ist den Clichés der Tiere nicht so verhaftet, sie löst sich also von festen Bedeutungen und in der Mixtur mit Tierarten, die bisher nicht als fabeltauglich galten, gewinnt das lyrische Fabulieren neue Bedeutungen. Weimar-Mazur geht spielerisch um mit seinem poetischen Zoo, er generiert das Prinzip Chamäleon für die Poesie. Wie gesagt, das fand ich bisher noch bei keinem Lyriker – diese neue Technik ist nützlich und sehr wirksam und sie verbündet uralte Tradition mit unserer Gegenwart. [2015]
Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag
Hast du noch Kontakt zu ihr? Ich würde gerne wieder etwas von ihr lesen.
Ja, ich denke gerne an unsere uns gegenseitig häufig inspirierenden 'Aus- und zuweilen auch schlagfertigen Abtäusche' zurück. Oftmals kamen dabei Kommentarstränge zustande, die mich nicht selten schmunzeln ließen. Aber manchmal auch überraschend 'ernsthafte' und (mich) geistig anspornende Dialoge.
Herzliche Grüße - (Vaga-)Monika